Über uns

«Sic transit gloria mundi - So geht alles zugrunde» (Thomas Hürlimann)

Bereichsleiter Kommunikation, Sekretär Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich
Simon Spengler

Gesamtverantwortung Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Katholischer Theologe und Journalist.

Simon Spengler
«Wenn eine Epoche zur Neige gehen will, dann endet sie eben – egal, ob ein ‘fabelhaft Ungeschickter’ oder ein ochsenstarker Katechon das Ende verhindern soll.» Dieser zentrale Satz in Thomas Hürlimanns neuem Roman «Der Rote Diamant», den ich in den Ferien am südfranzösischen Pool verschlungen habe, schwingt in mir noch immer nach.
08. September 2022

Mir ist bewusst, dass unter unseren Leserinnen und Lesern sicher einige ob des Namens Hürlimann die Augen rollen werden, dafür habe ich auch Verständnis. Aber wer sich für katholische Kirche, ihre Kultur und Unkultur, Geschichte und Gegenwart interessiert, für den ist dieses Buch Pflichtlektüre. Und ein Lese-Genuss der ersten Güte!

Aber aufgepasst: Jene, die Hürlimann ‘ Katechon‘ nennt, die ‘ Aufhalter‘, die dem Irrglauben verfallen sind, die Zukunft der Kirche hänge ab vom heroischen Verteidigen des vermeintlich ewig Gültigen, sollten die Finger besser lassen von diesem Buch, es dürfte für sie schwer zu ertragen sein. Denn am furiosen Ende des glorreichen Klosters in den Schweizer Bergen «Maria im Schnee», ein für die Ewigkeit errichtetes Gemäuer, bricht alles zu einem Haufen Schutt zusammen. Übrigens ausgelöst durch einen Papagei – der Vogel, der alles nachplappert, aber nicht selber denkt.

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Der Zufall wollte es, dass zeitgleich zum Ende meiner Roman-Lektüre das Smartphone aufgeregt vibrierte und mir Meldungen aus der Heimat über den «Skandal von Effretikon» übermittelte. Ach du heilige Jungfrau, erbarme dich unser!

Was war passiert? Da hat doch tatsächlich ein Weib die heiligste Passage des priesterlichen Hochgebets laut mitgebetet, und das noch vorne am Altar! Heilige Jungfrau, erbarme dich unser! Und noch schlimmer: Das breite Volk in der überfüllten Kirche, unter ihnen sicher die Hälfte U40 (ja, das gibt’s tatsächlich noch!), störte sich nicht mal daran, im Gegenteil, es fand das sogar richtig gut und stärkend für Leib und Seele. Lesen Sie hier ein Zeugnis eines Mitfeiernden (lateinisch: Konzelebrierenden). Heilige Jungfrau, erbarme dich unser und stehe unserem Bischof bei.

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Entschuldigen Sie meinen sarkastischen Unterton, aber ich weiss nicht, wie ich sonst auf diese neue Episode katholischer Psychopathologie reagieren könnte. Selbstverständlich, auch ich weiss, dass Rituale eine geregelte Form brauchen. Das ist nicht nur in unserer Kirche so, sondern auch in der Synagoge, im Hindu-Tempel und in der Moschee. Liturgie ist nicht beliebig und alle können damit umspringen, wie sie lustig sind. Bis hierher hab ich noch Verständnis für den Bischof.

Aber Liturgie ist für die Menschen da, nicht der Mensch Sklave der Liturgie! Und ich sehe weiss Gott nicht, wenn ich diesen vom Bischof verurteilten Gottesdienst anschaue, wo da beliebig mit liturgischen Formen umgesprungen sein soll. Ich sehe die berührt mitfeiernde Gemeinde, würdig zelebrierende Seelsorgende, ich höre stimmige Musik und sorgfältig formulierte Texte. Ausser eben, die Frau am falschen Ort, die Frau im falschen Moment und die Frau dazu noch in der Mitte, nicht der Mann. Dass das reicht, um per bischöflichem Communiqué in eiskalter Juristensprache Kirchenstrafen zu prüfen und eine Weiterleitung des ‘komplexen Missbrauchs’ an das römische Dikasterium für die Glaubenslehre – diese altehrwürdige Institution nannte sich früher die «Heilige Inquisition» – macht mich nur noch fassungslos. Oh heilige Jungfrau im Schnee, erbarme dich unser.

PS: Einen selbstkritischen Kommentar zur eigenen Berichterstattung veröffentlichte heute kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch – auch lesenswert.

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Frauen in der Seelsorge stossen täglich an Grenzen, welche ihnen von der männlichen Kirchenhierarchie gesetzt werden. Wir fragten erfahrene Zürcher Seelsorgerinnen, wie sie das erleben. Lesen Sie hier ihre Zeugnisse. In Freiburg i.Ue. diskutierten diese Woche katholische Frauen und Bischöfe einen Tag lang über genau dieses Problem und die Oberhirten bestätigten, dass Handlungsbedarf bestehe. Zum Abschluss gabs einen Gottesdienst. Diesmal streng nach Messbuch und in der guten alten Ordnung: vorn am Altar die Bischöfe, hinten in den Bänken die Frauen. Zumindest die, die noch geblieben waren. Die meisten waren vorher abgereist…

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Trotzalledem, das Kloster Einsiedeln, Vorbild für Hürlimanns «Maria im Schnee», steht noch. Tausende Gläubige vieler Konfessionen und Religionen finden auch heute bei der Schwarzen Madonna Trost und Kraft, das Internat ist quicklebendig. Kirche lebt, nicht nur dort oben «im Schnee», auch in Zürich. Nicht Katechonen gehört die Zukunft, sondern engagierten Menschen, die Zeugnis geben von ihrer Hoffnung und ihrem Glauben.

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Gedicht an der Klosterwand in Fahr

Wie die Schwestern im Kloster Fahr, die morgen und Sonntag zu einem spannenden Lyrik-Erlebnis einladen. Gedichte hören, sprechen, mit Musik im sakralen Raum erleben. Drei stündliche Aufführungen finden am Wochenende statt, Anmeldungen sind noch möglich.

Oder die beiden deutschen Vorkämpferinnen für Frauenrechte in der Kirche Maria Mesrian und Lisa Kötter, die sich nächste Woche Freitag in der Paulus Akademie mit dem provokativen Titel «Entmachtet diese Kirche» zur Diskussion stellen. Eine spannende Debatte ist garantiert.

Oder die Gläubigen verschiedener orthodoxer Kirchen, die heute Abend in einer farbenprächtigen Prozession durch die Zürcher Altstadt und anschliessendem ökumenischen Gebet in der Wasserkirche unsere Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius feiern. Alle sind eingeladen, auch zum Apéro.

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Nein, die Epoche DER Kirche ist nicht am Ende, aber die Epoche EINER bestimmten Form von Kirche. Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, wie auch die diese Woche erschienene Studie des Pastoralsoziologischen Instituts SPI zu Religionstrends in der Schweiz aufzeigt. Was die Entwicklung in finanzieller Hinsicht bringen könnte, zeigt sehr gut zusammengefasst ein Artikel des Soziologen und Kirchenexperten Michael Marti auf dem Portal religion.ch auf.

Wir sollten uns davon nicht entmutigen lassen, sondern anstacheln zum frohen, kreativen und wo nötig auch widerständigen Gestalten unseres kirchlichen Lebens. Und die heilige Jungfrau steht uns bei, da bin ich mir ganz sicher!

Ich wünsche uns allen ein erholsames Wochenende, den Zürcherinnen und Zürchern ein frohes «Knabenschiessen», wo ebenfalls unterdessen die Mädchen oft treffsicherer sind als die Knaben. Und auch wenn ich persönlich für jedes Adelsgedöns keinerlei Verständnis habe, so drücke ich den anglikanischen Gläubigen unter uns mein Mitgefühl aus im Wissen darum, dass die verstorbene Queen für zahlreiche Menschen im Vereinigten Königreich und darüber hinaus viel bedeutet hat.

Ihr Simon Spengler

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