Wir müssen laut sein
Die Walliser Abtei hat die Studie selbst in Auftrag gegeben, was ja löblich ist, allerdings nicht vom Abt, sondern von einem Verwalter. Und wieder einmal wird – von externer Seite her - festgestellt: Es wurde und wird weggeschaut und verharmlost.
Jetzt kann man sich fragen, was hat das mit uns, mit der Katholischen Kirche im Kanton Zürich zu tun. Das Wallis ist ja weit weg. Meiner Meinung nach ganz viel. Denn auch bei uns gibt es viele Stimmen, die nichts mehr mit dem Thema Missbrauch zu tun haben wollen. Irgendwie ja auch verständlich. Man will Ruhe, keinen Ärger, will in seiner Komfortzone bleiben. Aber wir dürfen nicht schweigen.
Es ist die Aufgabe aller in der Kirche, gegen Vertuschung und für Transparenz immer und immer wieder aufzustehen und darauf hinzuweisen: Das ist nicht DIE Kirche, das ist nicht Gottes Wille, das ist nicht richtig.
Und es geht nicht an, dass immer wieder eine Opferumkehr stattfindet à la: «jetzt hacken wieder alle auf den Priestern rum, die armen Pfarrpersonen, wieso gibt es soviel Misstrauen?». Eben darum! Weil immer noch bis in die heutigen Tage versucht wird, unter den Teppich zu kehren und schönzureden, was nicht ins Bild passt.
Kirchen und Hilfswerke, nicht nur als Organisationen, sondern jeder und jede Einzelne von uns muss sich die Gewissensfrage stellen: Ist das MEINE Kirche? Ist das tolerierbar oder müssen wir laut sein? Meine Meinung: Wir müssen zwingend laut sein. Und niemals aufhören, gegenüber Unrecht zu schweigen, egal von welcher Seite her dieses Unrecht passiert.
Dazu gibt es übrigens auch einen interessanten Beitrag von Bernd Nilles, Geschäftsleiter des Hilfswerks Fastenopfer, nachzulesen unter feinschwarz: «Warum Kirchen und Hilfswerke sich politisch einmischen (müssen)». Aber meiner Meinung nach eben nicht nur die Institutionen, sondern jeder und jede von uns.
Pfuhh. Das war nicht meine ursprüngliche Absicht, mich so in Rage zu schreiben und Sie lesen trotzdem weiter. Aber um was geht es überhaupt? Heute wurde an einer Medienkonferenz der Bericht einer unabhängigen Forschungsgruppe präsentiert über die Zeit von 1990 bis 2024 in der Abtei St. Maurice. Abt Jean Scarcella hat bereits einen Verweis vom Vatikan erhalten und fehlte offenbar an der Medienkonferenz (sic!).
Die Wissenschaftler zählten insgesamt 67 Fälle von sexuellen Übergriffen, davon waren 57 Betroffene zum Zeitpunkt der Taten minderjährig. Es geht um Kinderpornografie, Vergewaltigungen und die ganze Palette von Missbrauch.
Und dann gibt es «on top» noch diesen pädophilen Priester, der nach Stationen in Österreich, wo er bereits sanktioniert wurde, trotzdem Unterschlupf in St. Maurice fand. Er bewirbt sich aber 2024 als Pfarrer in einer Gemeinde in Bern. Die Anstellungsbehörde fragt St. Maurice für eine Unbedenklichkeitserklärung – und diese folgt dann auch. Details dazu nachzulesen im Bericht von Annalena Müller in der NZZ oder im Blick von Raphael Rauch.
Ja, ich weiss. Mittlerweile gelten beide als «rotes Tuch» bei einigen Kirchenoberen. Aber sie sprechen unangenehmen Klartext und geben lediglich in gekürzter Form, die unappetitliche Wahrheit der unabhängigen Studie wieder. Aber nicht die Journalisten und die Medien sind das Problem!
Das Fazit ist ernüchternd: Innerhalb der Gemeinschaft von St. Maurice wurde unter Duldung des Abtes geschwiegen und Prävention war scheinbar bis heute ein Fremdwort. Heisst, der fehlbare, eigentlich nicht mehr als Priester geeignete Mensch hatte wieder Zugriff auf potenzielle Opfer. Das zuständige Bistum Basel untersagt ihm aber (erst) im Februar 2025 den Einsatz im Kantonsgebiet.
Nun denn. Auch Eugen Drewermann, der heute seine 85. Geburtstag feiern kann, legte sich immer wieder mit der Amtskirche an. Wegen seiner Kritik an katholischen Glaubenssätzen verlor er seine Lehrbefugnis und sein Priesteramt. Dennoch gilt der streitbare Theologe, als «Prophet unserer Zeit». Es lohnt sich, mehr über diese Persönlichkeit zu erfahren. Kath.ch widmete ihm einen Beitrag.
Dass sich viele Menschen für die Schwächsten in der Gesellschaft engagieren, zeigt die Aktion «Beim Namen nennen», auf die meine Kollegin Saskia Richter bereits im Newsletter von letzter Woche aufmerksam machte. Auch hier ist es wichtig, nicht zu verschweigen, was mit den Tausenden Menschen passiert, die übers Mittelmeer versuchen, ein vermeintlich besseres Leben zu erreichen.
Private retten seit Jahren Menschen aus dem Mittelmeer (Tages Anzeiger vom 19. Juni) und schlagen auch konkrete Massnahmen vor, um das Sterben zu beenden. 21 zivile Organisationen versuchen die Rettungslücke zu füllen und werden als Schlepper verunglimpft.
Der politische Wille, etwas daran zu ändern, fehlt. Am Samstag finden weiterhin Veranstaltungen zum Flüchtlingstag beispielsweise in Winterthur statt und die Namen mit den über 60'000 Toten wehen weiter bei der St. Jakobskirche in Zürich.
Hier möchte ich noch ein Zitat übernehmen, dass ich diese Woche in einem Interview mit Stephan Klapproth, einem ehemaligen Nachrichtenmoderator, am 19. Juni in der NZZ lesen durfte. Er liess sich wie folgt zitieren frei nach Voltaire: «Ich hasse, was Sie sagen, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie es sagen dürfen.
Es geht nicht um weniger als Demokratie, um Humanismus und um eine «menschliche», inklusive religiöse Haltung, für die ich einstehe und die auch so in der Kirchenordnung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich festgehalten ist, also von allen Katholikinnen und Katholiken erst vor zwei Jahren an der Urne so verabschiedet wurde.
Ich möchte klar einem Katholizismus, wie er aktuell in Amerika in Mode kommt, dieser rechtskonservativen Welle, die eine Anziehungskraft für Rechte bildet, keine Chance geben. Papst Franziskus rügte diese Tendenzen in der Vergangenheit und verlangte eine «christliche Liebe, die auf Geschwisterlichkeit aufbaut und die ausnahmslos für alle offensteht».
Bruno Willi von der hiv-aids-Seelsorge wird an diesem Wochenende an der Pride Zürich aus diesem Anlass am Sonntag, 22. Juni, um 14 Uhr in der Augustinerkirche einen ökumenischen Gottesdienst leiten. Ein Interview dazu findet sich auf kath.ch. Danke für die Inklusion und dein Engagement, Bruno!
Die Kirche befindet sich in einem schwierigen Transformationsprozess, der nicht aufzuhalten ist, so sehr sich viele dagegenstemmen. Wie heisst es doch: «Die einzige Konstante ist die Veränderung.» Interessante Gedanken zu einem synodalen Katholizismus sind nachzulesen auf feinschwarz.com von Arnd Bünker, dem Leiter des Schweizerischen Pastoralen Institutes in St. Gallen.
Vergangenes Wochenende wurde in Chur der Beginn des Bistumsjahres gefeiert. Der Anlass war gut besucht. Einen Bericht dazu von unserer neuen Kollegin Manuela Moser finden Sie hier. Bischof Joseph Maria Bonnemain eröffnete seine Predigt mit den Worten: «Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen». Das Bistumsjahr steht unter dem Motto «hören, handeln, hoffen». Ich hoffe sehr auf das Handeln.
Von wegen Handeln: Dazu noch der Hinweis auf ein kleines Video aus Österreich, über das ich gestolpert bin von Pater Karl Wallner aus Österreich. Leider kann ich nicht auf Instagram verlinken. Aber es war ein Ausschnitt aus einer Predigt, die auf Youtube veröffentlicht ist – falls Sie der Wochenendhitze entfliehen möchten.
Erst kürzlich war ich in einem sehr intensiven Gespräch mit Seelsorgenden aus der Klinik- und Spitalseelsorge. Da leistet die Katholische Kirche einen unglaublich wichtigen Beitrag bei der Begleitung von schwerkranken Menschen beim Sterben. Wo sie sich mit ganzem Herzen einsetzt für die Würde und das Mittragen beim Abschiednehmen auf dieser Welt. Da gibt die Kirche Raum und Zeit für ganz viel Schönes.
Auch im Kinderspital ist die Kirche präsent, da wo es schwierig werden kann. In einem Raum der Stille wird die Möglichkeit zum Ausruhen und Innehalten gegeben, aktuell mit einer Kunstinstallation. Der klingende Vorhang aus Edelstahlglöckchen von Haegue Yang gliedert den Raum wie ein Paravent in zwei Teile. Beim Durchschreiten von «Sonic Droplets – Amber» ertönt eine feine Klangkomponente: Sobald der Ton der Glöckchen abgeklungen ist, betont er die Stille im Raum zusätzlich. Dadurch erhält der Ort eine zusätzliche Kraft.
Kraft wünsche ich Ihnen auch für das Wochenende und die nächste Woche. Nehmen Sie sich immer einmal Zeit zum Innehalten, zum Durchatmen und – vielleicht – auch zu einem kleinen Gebet zum Dank dafür, wie wir jeden Tag erleben dürfen: in Gemeinschaft, im Gespräch miteinander hoffentlich auf Augenhöhe und in gegenseitigem Respekt und Liebe. Dazu ein Link am Schluss zu einem Video auf Youtube von Lina Bò.
Herzlich
Sibylle Ratz
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
Sie können den Newsletter hier abonnieren
Tausend Dank für dein Grüss Gott Zürich Text zur Abteil Saint Maurice. Richtig, nicht die JournalistInnen sind das Problem, auch das eine Schuldumkehr sondergleichen. Ich persönlich sage, Gott sei Dank gibt es sie, ohne diesen Druck käme wohl so vieles nicht ans Licht. Auch Papst Leo dankt mutigen Journalisten: https://www.vaticannews.va/[…]e-church-message-peru.html.
Auch wenn es einen müde macht und erschöpft, die Stimme zu erheben, Schweigen ist keine Option und dient dem falschen Ziel. Danke dass du dich offen so klar positionierst, wir brauchen jede Stimme um Machtmissbrauch, sexualisierter Gewalt und Verharmlosung, Normalisierung und Vertuschung entgegenzutreten.
Hierzu braucht es Hinschauen und Handeln von mutigen Frauen und mutigen Männern. Danke Sibylle!
Liebe Grüsse
Annegret Schär
Dienststelle Missbrauch im kirchlichen Kontext
Es würde mich freuen, wenn der Newsletter auch einmal mit positiven Ereignissen beginnen würde.
Sie sind halt nicht so marktschreierisch wie das Negative. Der Fall St. Maurice ist schon lange bekannt und
über die aktuelle Situation wurde heute schon am Mittag am Radio berichtet. Sie schreiben:“… Es wurde und wird weggeschaut und verharmlost...“
Diese Verallgemeinerung erachte ich als gewagt. Zudem sind „gewöhnliche“ Priester für mich keine Exponenten der Kath. Kirche.
Gerade in den letzten Tagen konnten Sie z.B. bei Vatikan News lesen, wie in Eichstätt konsequent eingegriffen
wurde. Dass es in Zukunft weitere Fälle geben wird, ist traurig, aber kaum zu vermeiden. Die Konsequenzen des Wegschauens sollten indessen klar sein.
Um Eugen Drewermann ist es in den letzten Jahren ruhig geworden. Ich bin ihm vor Jahren einmal in Zürich in der Predigerkirche persönlich begegnet.
Ich behalte ihn in Ehren, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden war. Auch sein „ruhiges Verhalten“ in meiner Wahrnehmung in den letzten Jahren hat mich beeindruckt. Deshalb ist das Erinnern an seinen Geburtstag mehr als angebracht. Anderseits gibt es auch Exponenten der Kath. Kirche, deren hohen Geburtstage man erwähnen könnte.
Ich wünsche Ihnen ein schönes und nicht allzu warmes Wochenende.
Kommentare anzeigen