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«Ich steh zu Dir, aber nur zur Hälfte»

Bereichsleiter Kommunikation, Sekretär Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich
Simon Spengler

Gesamtverantwortung Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Katholischer Theologe und Journalist.

Simon Spengler
Endlich wieder katholische Pracht und Herrlichkeit an der Fronleichnamsprozession in meiner Heimat im Kanton Freiburg.
17. Juni 2022

Zweimal fiel sie wegen Corona aus, 2019 wegen schlechtem Wetter, gestern wurde nun wieder demonstriert bzw. prozessiert. Endlich alles wie früher? Nicht ganz. Der – ehemals katholischen – Lokalzeitung ist der Event nur noch eine Kurzmeldung unter «Vermischtes» wert und Zuschauer sind auf dem Föteli kaum auszumachen. Das war vor 20 Jahren noch ganz anders.

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Ja, vor 20 Jahren machte die Kirche auch noch andere Schlagzeilen als heute. Gerade diese Woche präsentiert eine neue Studie aus der deutschen Diözese Münster die abgrundtiefe Verdorbenheit eines Kirchensystems, das über Jahrzehnte Kindesmissbrauch nicht nur vertuschte, sondern Täter geradezu einlud, unter dem güldenen Priestergewand ihre Schandtaten zu begehen. Seit 1945 wurden 196 Täter bekannt, allesamt Kleriker, 353 dokumentierte jugendliche und kindliche Opfer. Das Forscherteam schätzte eine Dunkelziffer von bis zu 6'000 Betroffenen. In einer einzigen Diözese, die bekannt ist dafür, stockkatholisch, traditionsbewusst und wertkonservativ zu sein.

Die renommierte Kirchenjournalistin Christiane Florin fragt dazu auf Facebook: «Wie der Auftritt als moralische Instanz nach außen und die moralische Verkommenheit im Inneren, wie die süßliche Hirtenlyrik und die eiskalte Ignoranz gegenüber den Kindern und Jugendlichen zusammengehen – das kann auch diese Studie nicht vollständig klären. Aber sie zeigt das Un-Sittengemälde, beklemmend und eindrücklich.»

Ich will Sie nun nicht weiter mit diesem finsteren Kapitel quälen. Wer mehr zur neuesten Studie wissen will, dem empfehle ich wärmstens die zusammenfassende und gut lesbare Analyse der Theologin Regina Heyder.

 

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Zurück nach der Corona-Zwangspause ist nicht nur die Fronleichnamsprozession, sondern in Zürich auch ein Happening der ganz anderen Art. Morgen tanzt wieder die Pride kunterbunt durch die Stadt. Zwar gibt es sie erst seit 18 Jahren, aber mit einer von Jahr zu Jahr zunehmenden Akzeptanz. Tradition hat mittlerweile der ökumenische Gottesdienst zur Pride und auch in diesem Jahr werden Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding und Kirchenratspräsident Michel Müller ökumenisch-fröhlich mittanzen. Und der Stadtzürcher Dekan Marcel von Holzen erklärt im Interview: ««Steh zu Dir» ist das Motto der Pride. ‘Wir stehen zu dir!’ ist im Umkehrschluss unser Motto. Jeder Mensch ist Teil der Schöpfung. Dafür stehen wir ein.»

 

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Das mit dem Einstehen ist aber so eine Sache. Ein zwiespältiges Beispiel gibt unser Bischof in seinem Interview in der letzten NZZ am Sonntag (leider hinter der Aboschranke): «Ich kämpfe dafür, dass jede und jeder zu seinen Gefühlen stehen kann, auch wenn diese homosexuell sind», bekennt Joseph-Maria Bonnemain. Für diesen Satz zeichnet ihn die Schweizer Illustrierte mit der Rose der Woche aus.

 

Doch wie oft haben die Journalisten nicht genau gelesen. Nur wenige Zeilen weiter kommt der Hammer: «Was ich vorher sagte, betrifft die Neigungen, den Charakter. Das Ausleben ist etwas anderes.» Da ist sie wieder, die körperfeindliche Sexualmoral der Amtskirche. Schwule und Lesben werden zwar akzeptiert, aber nur so lange sie keinen Sex haben. Ist das nicht Zynismus pur? Ich stehe zu dir, aber nur zur Hälfte? Wenn Sexualität ein Geschenk Gottes ist, wie der Bischof sagt, wieso dürfen Schwule und Lesben sie nicht in verantwortlicher und selbstbestimmter Partnerschaft leben? Wie das mit dem neuen Verhaltenskodex zusammenpassen soll, kann wohl auch der gewiefteste Kirchenrechtler nicht erklären.

 

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In den Minuten, in denen ich diesen Newsletter abschliesse, wird in Zürich ein Mann zu Grabe getragen, dem kirchenrechtliche Winkelzüge und moralisierende Drohfinger Dornen in der Krone Christi waren. Franz Stampfli stand als Priester, Domherr und Kommunikator über viele Jahrzehnte ein für eine Kirche, die für die Menschen da ist – und nicht umgekehrt. Ich selbst habe ihn nur flüchtig kennenlernen dürfen. Aber mein Kollege Aschi Rutz war ihm seit 31 Jahren freundschaftlich und kollegial verbunden. Lesen Sie hier seine Würdigung des aussergewöhnlichen Kirchenmanns.

 

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Eine Kirche, die für die Menschen eintritt, vor allem die Armen, Verfolgten und Benachteiligten, zeigt sich an diesem Flüchtlingssonntag. Um 9.30 Uhr beginnt in Liebfrauen, Zürich, die interreligiöse Feier zum Abschluss der Aktion «Beim Namen nennen». Gemeinsam wird der 48'500 Menschen gedacht, die in den letzten drei Jahrzehnten auf ihrer Flucht nach Europa ums Leben kamen.

 

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Nachdenklich, aber auch in Vorfreude auf ein sonniges Wochenende, grüsst Sie herzlich

Ihr Simon Spengler

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Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.

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