Erhebet die Herzen, steht auf!
In dem Sinne ist der Aufruf «sursum corda», erhebt die Herzen, der Kern jeder Eucharistiefeier und damit «Mitte und Quelle des christlichen Lebens», wie es seit dem Konzil immer so schön heisst. Diesen Hinweis verdanke ich übrigens einem Artikel des Freiburger Jung-Theologen Silvan Beer.
Aufstehen und Losmarschieren werden am Samstag die Pilgerinnen und Pilger der Zürcher Wallfahrt nach Einsiedeln. Ihr Ziel ist die schwarze Madonna: Trösterin, Hoffnungsspenderin und Fürsprecherin seit Generationen von Menschen, die sich ihr anvertrauen. Trost und neuen Mut haben wir in unserem irdischen und kirchlichen Jammertal, weiss Gott, dringend nötig.
Aufbruch und ein neues Miteinander will auch unser Bischof Joseph Maria Bonnemain mit dem von ihm einberufenen «Bistumsjahr» auslösen. Mit einem feierlichen Gottesdienst mit grosser Priesterschar und einem Gratis-Zmittag für alle Teilnehmenden startete das Jahr. Aber was folgt aus der schönen Messe? Wohin aufbrechen? Wem zuhören? Wo handeln? Auf was hoffen?
Ausser dem wohlklingenden Motto «hören-handeln-hoffen» hört man zu den inhaltlichen Zielen der Übung wenig. Aber das wird hoffentlich noch werden. Der Theologe Stephan Schmid-Keiser nimmt den Ball des Bistumsjahrs auf und sieht in der «Koinonia», der Gemeinschaftsbildung, die grösste Herausforderung für die Kirche. Nicht nur in frommen Wünschen, sondern in Wirklichkeit. Sein Blog «Wagt mehr als Gottesdienste» kann vielleicht der Anfang einer fruchtbaren Debatte sein, gegen was und für was wir im Bistum Chur den Aufstand der Herzen wagen.
In diesem Zusammenhang ist vielleicht auch der jüngste Artikel des Religionssoziologen Arnd Bünker «Was kommt nach den Kirchenkrisen? Synodale Katholizität lernen» sehr hilfreich. An dieser Stelle muss ich nicht die diversen, in schönstem Soziologen-Deutsch beschriebenen, Krisen wiederholen, die kennen wir ja. Interessant scheint mir aber die kirchliche Zukunftsperspektive des Leiters des Pastoralsoziologischen Instituts zu sein:
«Die heutige Gestalt und kirchliche Praxis müssen also nicht «gerettet» werden. Sie dürfen unter den Krisen, die sie durchlaufen, vergehen. Den bisherigen Katholizismus noch möglichst lange zu erhalten, wäre nicht einmal wünschenswert. Als Verständnisrahmen für die einer synodal-katholischen Kirche entsprechende Organisation bietet sich das Konzept einer Agentur des Evangeliums an. Diese Agentur gibt vielfältigsten Möglichkeiten Raum, um das Evangelium zu entdecken. Zugleich verzichtet sie auf die Definitionshoheit über das Evangelium und übergibt das Suchen und Ringen um seine Wahrheit dem synodalen Gespräch aller, die ihr Abenteuer des Evangeliums wagen.»
Schön formuliert, aber eine grosse Herausforderung nicht nur für das traditionelle und immer stärker unter Druck stehende «pfarreilich-territoriale Modell» kirchlichen Lebens, erst recht für das männlich-autoritäre Leitungsmodell, aber auch für die staatskirchenrechtliche Organisationsform:
«Katholizität wertschätzt eine grosse Bandbreite von Zugehörigkeitsformen zur Kirche auch jenseits des im deutschsprachigen Raum bekannten Duos aus Taufe und staatskirchenrechtlich geregelter Kirchenmitgliedschaft.»
Eher zusammenpacken als aufbrechen muss wohl die altehrwürdige «Royale Abbaye de St-Maurice», wie der stolze Titel des ältesten, ohne Unterbruch bestehenden Klosters des Abendlandes lautet. Der vor einer Woche veröffentlichte Bericht über die vielen vertuschten Missbrauchsfälle der letzten Jahrzehnte hat den Ruf der Abtei ziemlich unrettbar zerstört. Meine Kollegin fasste die vernichtenden Ergebnisse schon letzte Woche im Newsletter zusammen.
«St-Maurice geht auch uns in Zürich etwas an», erklärte Synodalratspräsident Raphael Meyer am Montag anlässlich der Präsentation unseres neuen Jahresberichts. Er forderte, «Transparenz zu schaffen für all das Gute, das in der Kirche geschieht, aber auch Transparenz bezüglich der dunklen Ecken unserer Kirche». Und weil wir alle Teil der gleichen Kirche sind, sei auch Zürich nicht weit weg von St-Maurice.
Als mit seiner Wahlheimat verbundener Freiburg Katholik bin ich noch näher dran. Denn der in NZZ und BLICK zitierte Chorherr T.R., der in Deutschland und Österreich wegen seiner Vorliebe für kleine Mädchen Berufsverbot hat und der auch im Bistum Basel nicht angestellt werden durfte, dem hat die Abtei eine «neue Chance» gegeben. Er wirkt zum Beispiel weiterhin in meiner Nachbarschaft, im schönen freiburgischen Bergdorf Jaun. Dort hielt er noch vor wenigen Wochen die Erstkommunion und posierte auf der Pfarreihomepage stolz im Kreis der Kinderschar (seit gestern sind alle Foto mit ihm entfernt). Was sagt wohl der Freiburger Bischof Charles Morerod dazu? Bisher gar nichts. Einfach nur Beweismittel löschen und einen Zettel an die Türen hängen reicht nicht.
Zeitgleich zum Verfassen dieses Newsletters hat nau.ch einen ausführlichen Artikel zu dem Skandal von Jaun veröffentlicht. Dem Portal gegenüber erklärt die Sprecherin des Bischofs, der Priester habe kein Mandat des Bistums gehabt. Und auf einem Zettel an der Türe des Kirchleins zu Jaun steht zu lesen, der Bischof schliesse die Pfarrei in seine Gebete ein.
Aber auch das Schicksal von Christen in anderen Regionen unserer Welt gehen uns etwas an. Schockiert vom brutalen Terroranschlag in Damaskus auf die Elias-Kirche der griechisch-orthodoxen Kirche schliessen sich Synodalratspräsident Raphael Meyer und Generalvikar Luis Varandas dem Appell des dortigen Patriarchen an die neuen Machthaber in Syrien an, die Sicherheit aller religiösen Minderheiten zu garantieren. Sie fordern auch den Schweizer Bundesrat auf, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um in diesem Sinne auf die dortige Regierung einzuwirken.
Am Dienstag berichteten die Medien breit über eine neue Studie des Bundesamts für Statistik über Religiosität in der Schweiz. Wenig überraschend ist religiöser Glaube auf dem Rückzug. Aber in schwierigen Momenten sei «Religion oder Spiritualität» für viele noch wichtig. Wobei nicht geklärt wird, was man unter dem Allerweltswort «Spiritualität» versteht.
Man hört das ja öfter: Die Leute treten aus der Kirche aus, aber Spiritualität suchen sie weiterhin. Und manche Seelsorgende begegnen dem Trend mit möglichst vielfältigen und teils exotischen «spirituellen Angeboten». Ich bin etwas skeptisch. Spirituell kann ich mit mir allein im Wald sein oder sonstwo. Christ sein kann ich aber immer nur mit anderen und für andere. Deshalb ist «Kirche» oder «Gemeinde» eben nicht verzichtbar für Menschen, die die Nachfolge Jesu suchen. Das ist die Basis einer christlichen Spiritualität.
Nur verlassen gerade bei uns Katholiken sehr viele Gläubige die Kirche nicht, weil sie den Glauben verloren hätten, sondern weil sie sich von unserer Kirche abgestossen fühlen. Das ist für mich die zentrale Erkenntnis aus der Studie. Daran müssen wir arbeiten, dass wir als Kirche für die Menschen wieder glaubwürdig werden. Sursum corda!
Zum Schluss möchte ich den Preisträgerinnen und dem Preisträger des gestern im Rahmen der Synodensitzung feierlich überreichten Ethikpreises der Zürcher Kirche Céline, Lioba, Seraina und Tim herzlich gratulieren. Behaltet im künftigen Berufsalltag euren wachen Blick, die engagierte Haltung und die Neugier auf alles, was uns Menschen und der Schöpfung guttut.
Ihr Simon Spengler
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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