Fluch und Segen
Der Fall Ameti beschäftigt mich mehr. Nicht nur, weil der Ausgangspunkt des Skandals ein zerschossenes Madonnenbild ist oder weil auch christliche Brüder und Schwestern den unentschuldbar dummen Schuss ins eigene Knie als willkommenen Anlass für antimuslimische und sexistische Hetze nutzten.
Hier danke ich unserem Bischof, dass er dieser Hetze entschieden entgegengetreten ist und Ametis Bitte um Vergebung öffentlich nachkommt: «Ich vergebe Sanija Ameti und ich bitte alle gläubigen Katholiken, Christen, Muslime, jeder, der sich in seinen religiösen, menschlichen Gefühlen verletzt fühlt, mir zu folgen. Hass und Verfolgung können nicht die Antwort sein», schreibt Bischof Joseph Bonnemain in seinem Communiqué.
Auch die schon vorher abgegebene Stellungnahme der Bischofskonferenz ist beachtenswert. Nicht die Tatsache, dass ein religiöses Bild als Zielscheibe dienen musste, ist der Kern des Problems, sondern dass überhaupt auf Menschenbilder geschossen wird. «Auch wenn sie auf ein Bild einer anderen Frau mit einem anderen Kind geschossen hätte, wäre das für mich gleich schlimm und eine Verletzung der menschlichen Würde», sagte mir der Bischof im persönlichen Gespräch.
Ich möchte ergänzen: Auch wenn das Gesicht eines jungen Mannes in einer Soldatenuniform als Zielscheibe dient, wird damit die Würde des Menschen als Abbild Gottes mit Füssen getreten. Ich wünsche mir, unsere Bischöfe würden sich gleich mutig wie Papst Franziskus auch zur aktuellen Aufrüstung, Waffenexporten und Kriegsrhetorik äussern. Aber das ist ein anderes Thema.
Zurück zu Ameti. Mich bewegt hier noch etwas anders: Das politische und kulturelle Umfeld Ametis ist das säkulare, urbane, religionslose (grün-)liberale Milieu, für das Religion eine Privatangelegenheit von Ewiggestrigen ist, das vehement gegen Kirchensteuern ankämpft und wo Agnostizismus und Atheismus schlicht zum guten Ton gehören. So überrascht mich auch der gnadenlose Umgang der GLP-Parteileitung mit ihrem gefallenen Politstar nicht wirklich.
Begriffe wie Reue, Vergebung, Gnade, Barmherzigkeit kommen in ihrem positivistischen Menschen- und Weltbild schlicht nicht vor. Eine Generation bestens ausgebildeter Menschen, die aber bezüglich Religion nichts verstanden hat. Ich würde mir wünschen, dass auch in diesem Milieu ein Nachdenken darüber einsetzt, was der Verlust jedes religiösen Bezugsrahmens für unsere Gesellschaft bedeutet.
Was nicht heisst, dass Religion kritiklos zu überhöhen wäre, im Gegenteil. Religion ist immer ein zweischneidig Ding, kann Segen ebenso bedeuten wie Fluch. Letzteres wurde ja überdeutlich in der Missbrauchsstudie, deren Publikation sich gestern jährte.
Viel Positives hat diese Studie ausgelöst: Opferberatung hat eine neue Qualität und Priorität erlangt, Prävention ist aus kirchlichem Alltag nicht mehr wegzudenken. Ein segensreicher Kulturwandel bahnt sich endlich an.
Der Fluch ist aber, dass es keinerlei Strukturwandel gibt. Die sakrale Überhöhung des männlichen Amtspriestertums wird nicht angetastet, obwohl sie massgeblicher Faktor dafür ist, dass Missbrauch in diesem erschreckenden Umfang geschehen und vertuscht werden konnte. Frauen werden weiterhin strukturell diskriminiert und das mit «Offenbarung Gottes» theologisch gerechtfertigt.
Ich erlebe gerade in meinem persönlichen Umfeld wieder zwei Theologinnen, die an der systematischen Hintansetzung zu zerbrechen drohen wie schon so viele Freundinnen und Studienkolleginnen, die engagiert in den kirchlichen Dienst traten und es irgendwann einfach nicht mehr aushielten. Wie viele Opfer darf die klerikale Männerherrschaft noch produzieren, bis endlich was geschieht?
Das bewegt auch Amazonas-Bischof Erwin Kräutler, der in einem aufsehenerregenden Beitrag in der theologischen Zeitschrift «Herder Korrespondenz» mit seinem Freund Franziskus und der bevorstehenden Weltsynode arg ins Gericht geht. Ich weiss, dass es auch in der Schweiz Bischöfe gibt (zugegeben eine Minderheit), die ähnlich denken wie Kräutler.
Aber sie haben leider nicht den Mut, das auch öffentlich zu sagen. Dabei wäre das so befreiend. Sehr lesenswert ist auch das Gespräch mit dem Tübinger Neutestamentler Michael Theobald, der gründlich mit dem bibeltheologischen Habakuk aufräumt, Jesus habe halt nur Männer zu Aposteln berufen und deshalb könne die Kirche keine Frauen weihen.
«Betet, freie Schweizer, betet!» wird am Sonntag in vielen Gottesdiensten gesungen. Auch wenn der «Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag» viel von seiner Bedeutung eingebüsst hat, so bleibt das Anliegen doch aktuell. Das Gebet weist über uns selbst und unseren Horizont hinaus.
Nur da, wo auch gebetet wird, ist eine andere Welt denkbar. Ich bete für eine freie Schweiz, befreit von den Götzen Mammon, Eigennutz und Selbstzufriedenheit – und für eine Kirche ohne Trennung zwischen Eidgenossen und Ausländern, Sklaven und Freien, Männern und Frauen, in der alle eins sind in Christus – wie es der Apostel Paulus im Galaterbrief 3,28 schreibt.
Ich wünsche uns allen einen besinnlichen Bettag.
Simon Spengler
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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Ich danke Ihnen auch für Ihre Ergänzung, dass die Würde des Menschen als Abbild Gottes mit Füssen getreten werde, wenn das Gesicht eines jungen Mannes in einer Soldatenuniform als Zielscheibe dient sowie der Aufruf an die Bischöfe, sich mutig wie Papst Franziskus zur aktuellen Aufrüstung, Waffenexporten und Kriegsrhetorik zu äussern.
Und schliesslich Dein Insistieren auf der Kritik an einem sakralisierten Priester-Konzept, in dessen geistiger Gefangenschaft noch und wieder viele Priester verharren, treu in ihrem Dienst und blind für diesen verheerenden StandesDünkel, der sich auf einen Gott beruft, auf dessen gehorsame Willenserfüllung sich Kirchenleitende immer noch berufen: diese Machtkirche wagt es demütig nicht, einem zum Götzen erniedrigten Gott die Treue aufzukündigen.
Was für ein Gesellschaft und Kirche zusammenspannender Text unter dem Verheissungswort der Vergebung. Ja, hoffentlich merken es viele: die Kirche hat eine Verheissung weiterzugeben im Durcheinander und in Not und Elend (eine, die sie selbst dringend braucht), während unsere Gesellschaft, von einer "Sünderin" blossgestellt in ihrer heuchlerischen Unschuld die politischen und bürgerlichen Messer wetzt gegen sie! Ich danke Dir für diese ermutigende Stimme, die weit über den Anlass hin tönt.
Andreas Imhasly
Ich schätze Eure Anregungen oft sehr. In diesem Fall muss ich aber darauf hinweisen, dass Sie die glp als Umfeld Ametis genauso schubladisieren, wie dieser Blog es anderen oft vorwirft. "Das politische und kulturelle Umfeld Ametis ist das säkulare, urbane, religionslose (grün-)liberale Milieu, für das Religion eine Privatangelegenheit von Ewiggestrigen ist, das vehement gegen Kirchensteuern ankämpft und wo Agnostizismus und Atheismus schlicht zum guten Ton gehören. So überrascht mich auch der gnadenlose Umgang der GLP-Parteileitung mit ihrem gefallenen Politstar nicht wirklich.... Eine Generation bestens ausgebildeter Menschen, die aber bezüglich Religion nichts verstanden hat" usw.
Zu meiner Interessenbindung: Ich selbst komme aus christlichem Haus und versuche, die christlichen Werte in der heutigen Zeit zu leben, u.a. als kirchliche Umweltberaterin und Umweltbeauftragte. Ich bin glplerin und Kantonsrätin.
Bitte nehmen Sie sich die Zeit, unsere Voten im Kantonsrat zu Kirchenthemen zu lesen, den Umgang und Austausch verschiedener grünliberaler Behördenmitglieder mit Kirchenvertretungen wahrzunehmen, die verschiedenen Verknüpfungen von glp-Mitgliedern mit kirchlichen Organisationen kennenzulernen, zu fragen, wie wir Kirchenthemen intern ausdiskutieren. In aller Regel äussern wir uns differenziert und mit Rücksichtnahme auf unterschiedliche Befindlichkeiten, gerade, wo Emotionen im Spiel sind. Ein Beispiel für einen respektvollen, überlegten Umgang mit schwierigen Themen ist die Stellungnahme unserer Kantonalpartei zu dieser Thematik, hinter die ich mich stelle.
Vielen Dank, wenn Sie Ihre eigenen Beiträge so differenziert und respektvoll verfassen, wie Sie das auch von anderen einfordern.
Erstens zum Satz: "Religion eine Privatangelegenheit von Ewiggestrigen": Die Haltung, die strengere Trennwände zwischen Staat und Religion verlangt, indem sie bspw. überall religiöse Symbole verbieten will, ist weniger liberal, sondern vielmehr magisch bestimmt, von der Angst vor Symbolen, die sie nicht mehr versteht und die, wenn sie niemand mehr versteht, immer dümmer und bedrohlicher erscheinen.
Wenn Frau Ameti auf ein Madonnenbild schiesst, so hofft sie implizit wenigstens darauf, dass ihre symbolische Handlung noch so verstanden wird, wie sie gemeint ist. Das heisst, sie und andere mit ähnlichen Aktionen brauchen immer den Anderen, der das glaubt, was sie verachten, um überhaupt Wirkung zu erzielen. In einer Gesellschaft, wo niemand mehr Symbole versteht bzw. ernst nimmt, wird es nicht nur langweilig, sondern es wächst auch die Gefahr, dass man seiner Verachtung nicht mehr symbolisch, sondern vermehrt real freien Lauf lässt. Von allen verstandene Symbole sind daher von unschätzbarem Wert in jeder Gesellschaft, sie ermöglichen gerade auch solche harmlosen Verachtungsaktionen für aufgeklärte Gebildete.
Zweitens zum Satz: "So überrascht mich auch der gnadenlose Umgang der GLP-Parteileitung mit ihrem gefallenen Politstar nicht wirklich."
Auch mich erstaunt dies nicht...Denn das Etikett "liberal", ist, wo es nicht gepaart ist mit einem eigenen Engagement, mit einer eigenen Bindung an eine Sache (die selber Verletzbarkeit impliziert) eine wohlfeile Sache, die einmal diese, einmal jene Position hervorbringt, so wie es der Mainstream gerade verlangt. Ohne den einzelnen Mitgliedern einer Partei dies konkret zu unterstellen, bedeutet das Wort "liberal" politisch also auch oft die Unfähigkeit zur Toleranz, die ja verlangte, etwas auszuhalten, obwohl es einem nicht gefällt...sei dies das religiöse Gefühl der einen oder die unanständige Geste eines Parteimitglieds...
Danke dir für deine Wort im Newsletter, klar, deutlich und differenziert!
Zwischen der Kontaktnahme von «Blick» mit Frau Ameti (wohl irgendwann am Samstagmorgen) und dem Aufschalten des «Blick»-Beitrags dürfte etwas Zeit verstrichen sein.
Es gab aber doch ein respektables Zeitfenster von vermutlich etwa zehn Stunden, innerhalb dessen das politische Umfeld von Ameti sie informell hätte fragen können, ob sie – ich formuliere bewusst sehr zurückhaltend - sich bewusst sei, wie gravierend und explosiv ihr Post ist.
Offenbar ist es niemandem, gerade auch keiner GLP-Frau oder einem GLP-Mann gelungen, Ameti zu bewegen, diesen Post zu entfernen, bevor er weiteren Schaden anrichtet. Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir nicht einmal, ob sich im fraglichen Zeitfenster überhaupt jemand von der GLP auf Frau Ameti zubewegt hat.
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