Über uns

Es krächzt der Papagei

Bereichsleiter Kommunikation, Sekretär Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich
Simon Spengler

Gesamtverantwortung Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Katholischer Theologe und Journalist.

Simon Spengler
Schon länger hat mich kein Text zur Kirche so bewegt, wie jener der jungen Zürcher Autorin Darja Keller, auf den mich meine Kollegin Susanne Brauer hingewiesen hatte. Erschienen ist ihr Essay «OMG» in der Zeitschrift annabelle (4/2025).
23. Mai 2025

Keller stellt sich die Frage, warum sie als Frau und Feministin, die nicht an Gott glaubt, die eine potentielle Partnerin nicht mal in einer Kirche heiraten dürfte, trotzdem noch Mitglied dieser Kirche ist, die Frauen bis heute nicht die gleichen Rechte gewährt.

Ihre Antwort ist ernüchternd: Sie ist aus reiner Sentimentalität geblieben, wegen der schönen Erinnerungen ihrer Kindheit an Kerzen, Madonnen-Statuen, Weihrauch. Aber inhaltlich heute ohne jede Bedeutung für sie – weshalb sie beschliesst, «morgen» nun doch das Austrittsschreiben abzuschicken.

Was berührt mich an dieser Geschichte, die sich so oder ähnlich ja tausendfach in unserer Zeit abspielt? Es ist die schonungslose Reflexion einer Vertreterin jener gut ausgebildeten, urbanen und ent-kirchlichten Generation, die wir als Kirche gerade verlieren. Gerade deshalb halte ich es für wichtig, dass wir uns als Kirche mit ihren Gedanken auseinandersetzen. Denn, wenn wir ehrlich sind, haben wir für diese Generation bis heute keine adäquate Antwort gefunden. Mehr dazu im Blog auf unserer Homepage.

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 Wenn Darja Keller die jüngste Meldung aus dem Bistum Lugano liest, wird sie einen Grund mehr für den Austritt finden. Dort hätte am 17. Mai in der Basilika Sacro Cuore eine «Andacht gegen Homophobie» für homo- und bisexuelle Menschen und deren Angehörige gehalten werden sollen. Der bekannte Pfarrer Don Italo Molinaro war einverstanden, sogar der diözesane Administrator, Weihbischof de Raemy, hat seinen Segen gegeben. Bis ein rechtskatholisches Grüppchen Rabatz machte. Kritik von rechts scheuen Bischöfe aber noch mehr als der Teufel das Weihwasser. Sofort knickten die kirchlichen Autoritäten ein, die Andacht fand deshalb in der reformierten Kirche statt. Das Heilige Herz wird schmerzhaft bluten.

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Mehr Rückgrat wünsche ich dem neu gewählten Bischof von St. Gallen, Beat Grögli. Mit ihm hat sich in der Gallusstadt einmal mehr der interne Favorit durchgesetzt, das war bereits beim Vorgänger Markus Büchel so. Wie dieser vertritt auch Grögli eine offene pastorale Linie. Zwar soll der Liebhaber der Dommusik weniger Gourmand als Büchel sein, aber trotzdem zugänglich und freundlich. Aber hoffentlich standhafter als sein Vorgänger, den bei aufziehendem Ärger schnell der Mut verliess. Dabei hätten die pastoralen Experimente, die unterhalb des offiziellen Radars amtskirchlicher Aufsicht im Bistum «geduldet» werden, durchaus auch Signalcharakter für den Rest der Kirche Schweiz.

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Das pure Gegenteil vertritt der emeritierte Weihbischof von Chur, Marian Eleganti. In seinem Newsletter wettert er gegen alles, was er als Fehlentwicklung der heiligen Kirche eigener Prägung taxiert. Was er sich allerdings diese Woche geleistet hat, sprengt jede Vorstellungskraft. Mit seinem «Schwert der Wahrheit» (sic!) schlägt er wild um sich wie eine Furie, hetzt gegen Muslime, Hindu, orthodoxe Juden, den interreligiösen Dialog, die Ökumene, die verirrten Protestanten. Sie alle seien nicht unsere Geschwister, meist auch nicht Freunde, höchstens unsere Nächsten, die man zwar wie die Feinde lieben solle, mit denen wir aber sonst nichts gemein hätten.

«Dialog» kann für ihn nur dieses eine Ziel haben: «Die Annahme des katholischen Glaubens, der Taufe, der röm.-kath. Kirche in ihrer Sichtbarkeit, Einzigartigkeit, Katholizität und Apostolizität, ihrer Sakramente, ihrer apostolischen Sukzession und ihrer Einheit sub Petro et cum Petro». Tja, lieber Herr Weihbischof, was hat Sie so wütend gemacht? War es vielleicht die Ansprache des neuen Papstes Leo im Gottesdienst zu seiner Inthronisierung? Der predigte ganz anders:



«In dem einen Christus sind wir eins. Und das ist der Weg, der gemeinsam zu gehen ist, innerhalb der Kirche, aber auch mit den christlichen Schwesterkirchen, mit denen, die andere religiöse Wege gehen, mit denen, die die Unruhe der Suche nach Gott in sich tragen, mit allen Frauen und Männern guten Willens, um eine neue Welt aufzubauen, in der der Friede herrscht.»


 
Eine Frage stellt sich mir noch: Wie lange schaut unser Bischof von Chur noch stumm dem Treiben seines emeritierten Weihbischofs zu? Ich würde mir eine klare Stellungnahme sehr wünschen.


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 Klar und deutlich war diese Woche der Rabbiner Ruven Bar Ephraim der Jüdisch-Liberalen Gemeinde Zürichs. Im BLICK verurteilte er schärfstens das Gemetzel der israelischen Armee in Gaza. «Ich finde es schrecklich, was die israelische Regierung in Gaza tut und schäme mich als Israeli dafür», so der Rabbiner. Und er geht noch weiter: Die Welt müsse sich «seriös überlegen, Israel wirtschaftliche Sanktionen aufzuerlegen». Die kritischen jüdischen Stimmen mehren sich, aber erstmals äusserte sich hierzulande auch ein Rabbiner dazu. Danke.

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Wenn wir schon bei unseren älteren jüdischen Geschwistern sind, passt hier der Hinweis auf ein besonderes Projekt: Die Psalmen in Mundart. Diese Texte prägen seit Jahrtausenden das Gebet von Juden und Christen – über alle Konfessionen hinweg. Nun sind alle 150 Psalmen in einer Schweizer Mundart-Fassung erstmals als Hörbuch zugänglich.

Der reformierte Mystiker und Künstler Josua Boesch hatte bereits die Psalmen aus dem Hebräischen «uf Züritüütsch» übertragen. Boesch wollte uns ermutigen, in Schwiizertüütsch zu beten, der Sprache unseres Herzens. Über 30 Sprecherinnen und Sprecher aus allen Deutschschweizer Regionen haben seine Texte nun in ihren Dialekten aufgenommen. Hier kann man reinhören: YouTube Playlist oder Spotify Playlist.

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Bleiben wir bei der Bibel. Im aki findet am nächsten Dienstag, 27. Mai, der Studientag «Aufstehen – Aufstand – Auferstehung» des Netzwerks Migrationscharta und des Instituts für Theologie und Politik Münster (ITP) statt, an der auch der Jesuiten-Flüchtlingsdienst beteiligt ist. Im Zentrum steht die Bedeutung der Bibel im gegenwärtigen Migrationsdiskurs. Am Abend wird Michael Ramminger vom ITP einen Vortrag halten zum Thema «Die europäischen Demarkationslinien der Menschlichkeit. Eine politisch-theologische Verteidigung des Universalismus gegen seinen Verrat». Zur Tagung ist eine Anmeldung nötig, der Vortrag ist öffentlich.

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Heute Abend können wir schweizweit Kirche ganz neu, ganz anders, ganz überraschend an der Langen Nacht der Kirche erleben. Im Kanton Zürich stellen fast 70 katholische, christkatholische und reformierte Kirchgemeinden gemeinsam ein Programm mit rund 250 Veranstaltungen auf die Beine. Vom Lindy Hop in Bruder Klaus (Zürich) bis hin zum spirituellen Tanz in der Alten Kirche in Fluntern (Zürich) klingt und swingt es überall im Kanton. Natürlich gibt’s auch Literatur, klassische Orgelmusik, Gesang und Gebet. Klicken Sie oben aufs Bild und lassen Sie sich vom bunten Programm überraschen.

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Ganz eigen interpretiert übrigens Pater Martin Werlen in seiner Propstei St. Gerold die «Lange Nacht». Hier sind alle eingeladen, die enttäuscht sind, dass «die Kirchen so eingeschlafen sind und nichts vorwärts geht». Einen Tiefschlag erhielt ich gestern mit der Meldung, dass das Pfarrblatt Bern gestern seine profilierte und kompetente Chefredaktorin Annalena Müller Knall auf Fall entlassen und per sofort freigestellt hat. Begründung: strategische Neuausrichtung.

Da lachen ja die Hühner! Vielmehr dürfte nach dem Personalwechsel im Vorstand des Pfarrblatt-Vereins (dessen GV war gerade kürzlich) die Kritiker-Fraktion, die schon die Anstellung verhindern wollte, eine neue Mehrheit gefunden haben. Schliesslich hatte Müller es einfach nicht sein lassen können, auch der kirchlichen Obrigkeit unbequeme Fragen zu stellen und überhaupt immer die falschen Fragen zur unpassenden Zeit – was den Zuständigen in ihrem Bistum Basel und der Bistumsregion Bern gar nicht passte.

Die Redaktion des Pfarrblatt ist geschockt, ich selbst hab im Moment nicht mal mehr die Kraft, über diese Ungeheuerlichkeit wütend zu sein, ich bin nur noch traurig und möchte heulen ob der von oben diktierten Auto-Destruktion katholisch-kirchlicher Publizistik. Immerhin war Annalena Müller aktuell die mit Abstand profilierteste Stimme in der kirchlichen Medienlandschaft, die auch in der säkularen Medienwelt wahr- und ernstgenommen wurde. Leider wohl vorläufig auch die letzte, denn unterdessen gilt der Papagei als Wappentier kirchlicher Kommunikationsarbeit.

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Lassen wir uns trotzdem nicht entmutigen. Die Kirche ist grösser, als so manche glauben. Und unter dem Pflaster, ja da liegt der Strand.

Ich wünsche Ihnen allen heute eine aufregende und aufweckende lange Nacht und dann ein erholsames Wochenende. Da wir in der Kommunikationsstelle schon länger unterbesetzt sind, fällt «Grüss Gott Zürich» über das Auffahrts- und Pfingstwochenende aus.

Ihr 
Simon Spengler


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Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.

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