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Notstand

Informationsbeauftragter des Generalvikariates bis Ende April 2023
Arnold Landtwing
Arnold Landtwing
Klimanotstand. Energienotstand. Pflegenotstand. Personalnotstand. Beinahe inflationär alarmistisch fliegen uns derzeit Notstände um die Ohren, so auch vergangene Woche. Doch wann genau ist der Notstand ein Notstand? Diese Frage lässt mich nicht mehr los.
31. Januar 2023

Notstand als Notlage. Mit Unverständnis habe ich diese Woche Berichte zur Kenntnis genommen, dass in unserem Land Menschen, die der Sozialhilfe bedürfen, vielerorts ihr Pensionskassengeld an die Gemeinde abtreten müssen. «Wer in der falschen Gemeinde wohnt, kann seine Altersvorsorge verlieren» titelte der Tagesanzeiger.

Die Caritas Schweiz weist besorgt darauf hin, dass diese Vorsorgegelder später für die Existenzsicherung fehlen und damit in die Altersarmut führen. Als unwürdige Lotterie bezeichnet sie dann auch den Umstand, dass von Wohngemeinde zu Wohngemeinde eine unterschiedliche Praxis herrscht, die eine Gemeinde den vollen Zugriff auf Pensionskassenguthaben fordert, andere diese unangetastet lassen. Wenn sich zur Notlage noch Rechtsungleichheit gesellt oder ein Beamter den Entscheid würfeln kann, ist dies für Betroffene eine himmelschreiende Notlage.

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Notstand am Zugersee. Hier geht es nicht um den Pegelstand des Sees, sondern um den Kontostand von Daniel Vasella. Gemäss Medienberichten soll der Ex-Novartis-Chef um die 400 Millionen Franken verdient haben und versuchte, dem Steuervogt im Kanton zu entkommen. Jeder Lohnausweisbesteuerte wünscht manchmal Erbsenzähler vom Steueramt ins Pfefferland, wenn ein Abzug, der die Steuern ein wenig minimieren würde, nicht akzeptiert wird.

Für einmal gibt es ein Daumen-Hoch für genau diese Akribie von Beamten, die dem Millionär nachweisen konnten, dass er zu tricksen versucht hat. Eine kleine Übersicht bietet der Blick. Ein Detail: Vasellas posteten nur schon für 100 bis 200 Franken Kaffeekapseln. Pro Woche! Und der Mensch lebt ja nicht vom Kaffee allein. Was da wohl Sozialhilfeempfängern durch den Kopf geht, die sich mit 300 Franken im Monat durchschlagen müssen und sich kaum eine Tasse Kaffee auswärts leisten können? 

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Notstand in der Küche. Man sieht sie nur noch selten auf dem Tisch in der Beiz: Die Giftküche – andere nennen das Gestell mit Salz, Pfeffer und Zahnstocher vornehmer «Ménage». Fehlt noch was? Ah ja: Aromat. SRF hat in der Sendung 10vor10 die kleindosige Mononatriumglutamatbombe zum 70. Geburtstag gewürdigt. Praktisch gleichzeitig rief der Boulevard den «Aromat-Notstand» aus, weil wegen einem Preisgerangel hinter den Kulissen die Gestelle vorn im Laden leer bleiben. Die Verkaufszahlen sind im Sinkflug, ich vermute, meine Generation hat etwas richtig gemacht und dem eigenen Genpool vermitteln können, wie man fantasievoll gewürzt Kulinarik feiern kann.

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Notstand der Kinder. Frühe kindliche Erinnerungen an kulinarische Höhenflüge fernab von Aromat verbinde ich mit mediterranem Pranzo bei italienischen Freunden. Das war in den 60-er-Jahren des letzten Jahrtausends. Mario und seine Familie waren zwar keine Saisonniers, wurden damals aber als «Tschinggen» trotzdem argwöhnisch beäugt. Ihre Kinder gingen hier zur Schule und waren dann bald integriert. Für Saisonniers hingegen war Familiennachzug lange verboten. Kinder, die trotzdem in die Schweiz kamen, mussten sich verstecken oder kamen ins Heim. «Kulturplatz» von SRF beleuchtet mit «Die versteckten Kinder der Saisonniers» ein dunkles Kapitel Schweizer Geschichte.

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Notstand behoben. Im Rückblick sind mir aber auch einige erfreuliche Ereignisse begegnet. So hat Bischof Joseph-Maria den Notstand im Domkapitel behoben und mit der Einsetzung von vier neuen Domherren das Gremium wieder komplettiert. Einen mit Bildern des Domfotografen angereicherten Bericht dazu findet sich auf der Bistumshomepage. Während der Fotograf ob dem Blitzlichtgewitter erschrak, jubelt die Bistumssprecherin «Unsere Liebe Frau zu Chur hat wieder ein komplettes Domkapitel. Halleluja!». 24 Domherren, sechs residierende und 18 nicht-residierende, bilden das Domkapitel. Aus Zürich wurde Pfarrer Matthias Horat installiert. Wir gratulieren ihm und wünschen dem ganzen Kapitel eine zünftige Brise des Heiligen Geistes – vor allem, wenn es dereinst eine der wichtigsten Aufgaben wahrzunehmen und einen neuen Bischof zu wählen gilt.

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Am 4. Februar werden in Zürich vier verheiratete Männer zu Ständigen Diakonen geweiht und damit auch in den Stand der Kleriker aufgenommen. Warum lässt sich ein mit Lebenserfahrung reichlich ausgestatteter Theologe und Deeskalations-Fachmann wie Andreas Bolkart weihen? Das hat mich wundergenommen und ich habe ihn zum Interview getroffen.

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Ob mit der kontinentalen Phase des synodalen Prozesses der vielfältige Notstand in der Kirche behoben wird, ist offen. Auf jeden Fall treffen sich vom 5.-9. Februar in Prag 200 Delegierte in Präsenz sowie 390 online aus ganz Europa.

Aus der Schweiz sind vier Personen vertreten, unter ihnen Tatjana Disteli, die früher im Generalvikariat Zürich gearbeitet hat. Sie hofft, «dass die vielleicht letzte Chance gepackt wird, echte Begegnungen zwischen verschiedenen Lebenswelten zu ermöglichen und ehrlich über Glauben, Tradition und das Handeln der Kirche zu reflektieren - auf dass neue glaubwürdige Verkündigung der Frohbotschaft möglich wird.» Worst Case wäre für sie, wenn der Auftrag verraten würde, Salz für die Erde zu sein: «Das wäre verheerend für Kirche und Gesellschaft jetzt und über unsere Generation hinaus.»

Aus dem Zürcher Kommunikationsteam ist Kollege Simon Spengler berufen worden und von Wislikofen aus online nach Prag zugeschaltet. Ob er wegen der Entwicklung in Prag oder wegen der stundenlang aufgesetzten Kopfhörer rote Ohren kriegt, wird sich weisen. Im Idealfall hofft er, «dass die verhärteten kirchlichen Verhältnisse zu tanzen beginnen in einem Reigen, der Gott und den Menschen gefällt.» Der schlimmste Fall tritt für ihn ein, «wenn frömmlerisches Geschwafel darüber hinwegtäuschen soll, dass nichts in Schwingung gekommen ist.»

Bis der Prozess in Prag abgeschlossen ist, vergehen ein paar Tage, in denen die Frage nach der Entscheidungskompetenz aktuell wird. Ein zwar langer, aber sehr lesenswerter Beitrag von Benedikt Heider über vatikanisches Synodalitäts-Denken hilft die Zeit des Wartens zu überbrücken.

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Wer sich newsletternd durch die Woche kommentiert, hat auch Pflichtstoff zu berücksichtigen und hier für einmal in eigener Sache. Karma halt. Ich habe bewusst alle fünf bis sieben Jahre meine Stelle gewechselt, um in Bewegung zu bleiben. Jetzt nehme ich eine neue Herausforderung an und wechsle auf 1. Mai als Fachstellenleiter Kommunikation für die Vereinigung der Katholischen Kirchgemeinden des Kantons Zug (VKKZ). Auf verschiedensten Kanälen haben mich viele und persönliche Rückmeldungen erreicht. Vorerst sage ich einfach ein grosses DANKE!

 

An diesem Wochenende wird vielerorts der Blasiussegen gespendet. Holen Sie ihn. Oder segnen Sie sich gegenseitig. Und bleiben Sie gesund.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.

 

Arnold Landtwing
Informationsbeauftragter Generalvikariat

 

PS: Prinzessin Kate hat einen Notstand behoben: Sie trägt jetzt als neue Haarfarbe ein sattes Schoggimousse-Braun mit extra viel Glanz. So hat sie das Dessert zwar nicht vor Augen, aber wenigstens doch auf dem Kopf mit dabei.

 

PPS: Wer es tiefgründiger mag und meditierend in die eigene Mitte eintauchen möchte, kann sich von Simon und Ingeborg Peng-Keller am 4. Februar in die christliche Kontemplation einführen lassen – oder geht in Johann Krawleskis Kunstinstallation in der Paulus Akademie den Pilger in sich entdecken.

 

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Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.

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