Schneeweiss
Ein Thema, dass sich nicht so schnell in Wasser auflöst, ist und bleibt das Subjekt Missbrauch. Wer dennoch findet, dass es sich dabei um Schnee von gestern handelt und nichts mehr darüber lesen möchte, begibt sich gern zum dritten oder vierten Absatz und fährt dort, garantiert mit einem anderen Thema, fort.
Die Veröffentlichung der Studie im September hat eine Lawine ins Rollen gebracht. Immer mehr Betroffene trauen sich an die Öffentlichkeit. Fälle wie der jahrzehntelange Missbrauch an Kindern und Jugendlichen im Kloster Saint-Maurice oder der Missbrauchsfall des 39-jährigen Josef Henfling, bei dem sogar vier Priestern Missbrauch vorgeworfen wird, darunter ein noch heute amtierender Pfarrer aus Chur sowie der deutsche Bischof Walter Mixa, zeigen, es scheint sich nicht mehr nur um Einzelfälle zu handeln, sondern um ein Vorgehen mit Struktur.
Es ist perfide, wie sich ein solches System über Jahrzehnte entwickeln und perfektionieren konnte. Massgeblich dafür war sicher, dass alle an einem Strang zogen, vom Kirchenoberhaupt bis hin zu Familienangehörigen, für die geweihte Personen unfehlbar waren und die dem Opfer nicht glaubten oder Angst vor der Reaktion des Umfelds hatten, wäre ein Missbrauch öffentlich gemacht worden. Das System, das auf Machtmissbrauch, Angst und Druck aufgebaut ist, scheint auch heute noch ganz gut zu funktionieren. Auch wenn es langsam ins Bröckeln kommt.
Glücklicherweise hat auch die Katholische Kirche im Kanton Zürich mittlerweile erkannt, dass es nun wirklich zu handeln gilt. In den letzten Wochen hat sich einiges getan, damit Kirche transparent und glaubwürdig gestaltet werden kann. Folgende drei Massnahmen sind erste Schritte in die richtige Richtung:
- Unser niederschwelliges Meldesystem «Kirche schaut hin» wird neu extern betreut. Die Opferanwältin Andrea Gisler (56) nimmt nun die anonym gemeldeten Fälle von Fehlverhalten im kirchlichen Raum unabhängig und direkt entgegen.
- Die kanonische Voruntersuchung von Bischof Bonnemain gegen vier seiner Bischofskollegen wird durch zwei externe Fachpersonen unterstützt. Der Neuenburger Kantonsrichter Pierre Cornu und die Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Zürich, Brigitte Tag.
- Eine von der Schweizer Bischofskonferenz, der Katholischen Ordensgemeinschaften der Schweiz und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz geforderte Selbstverpflichtung soll dafür sorgen, dass keine Akten mehr vernichtet oder Daten gelöscht werden, die dazu beitragen können, Fälle von sexuellen Straftaten und Machtmissbrauch aufzudecken. Auch Bischof Bonnemaine hat für das Bistum Chur mittlerweile einen offiziellen Auftrag erteilt, sich hier NICHT an das kanonische Recht zu halten.
Des einen Leid ist des anderen Freud. Findige Geschäftemacher profitieren mittlerweile von der Austrittswelle der Kirche. Ein Austritt ist keine schwierige Angelegenheit und in aller Regel, bis auf die Briefmarke zum Versand des Austrittsgesuches, auch kostenfrei, wenn man weiss, wie es geht.
«Ein Blatt Papier mit einem Satz und einer handschriftlichen Unterschrift an die Kirchgemeinde genügt, um aus der Kirche auszutreten», weiss unser Kollege Simon Spengler.
Doch viele Austrittswillige sind sich des einfachen Verfahrens nicht bewusst oder wissen aufgrund langjähriger passiver Mitgliedschaft gar nicht, an welche Kirchgemeinde bzw. Pfarrei sie sich mit ihrem Gesuch wenden müssen. Dies nutzen einige Anbieter aus und bieten vermeintliche Unterstützung. Vom Kirchenaustrittsformular für rund 30 Franken bis hin zur Übernahme der gesamten Abwicklung des Versandprozesses zur Einreichung des Austrittsformulars braucht man sich um nichts zu kümmern. Nur darum, dass genügend Geld vorhanden ist, die Unterstützung zu bezahlen.
Also besser sich nicht davor scheuen, ein letztes Mal bei der hiesigen Gemeinde anzurufen und nachzufragen, ob sie einem – natürlich kostenfrei – beim Austritt behilflich sein kann. Vielleicht ergibt es sich ja dabei, dass man beim direkten Gespräch mit der freundlichen Person am anderen Ende herausfindet, «meine Gemeinde ist gar nicht so schlecht, wie ich dachte und hat eigentlich das ein oder andere Angebot, das mich interessieren würde».
Die Aufteilung der Weltbevölkerung mit Blick auf das Geschlecht ist relativ ausbalanciert. Mit 50,3 Prozent gibt es geringfügig mehr Männer auf der Erde wie Frauen, die einen Anteil von 49,7 Prozent an der Weltbevölkerung haben. (Vereinte Nationen, Stand: 2022)
Dennoch sind Frauen überdurchschnittlich benachteiligt. Vom geringeren Verdienst, dem für Männer konzipierten Gesundheitswesen, über die oft kostenlose Care-Arbeit an der Gesellschaft bis hin zu verharmloster und tabuisierter Gewalt, müssen Frauen einiges hinnehmen. Es ist kaum zu glauben, aber auch in der Schweiz kommt es jede zweite Woche zu einem Mord an einer Frau durch ein männliches Familienmitglied. Im Kanton Zürich rückt die Polizei durchschnittlich sogar 15-mal am Tag wegen familiärer Streitigkeiten oder häuslicher Gewalt aus.
Die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen», die 1991 von der Initiative «Women’s Global Leadership» ins Leben gerufen wurde, will mit Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit einen Beitrag dazu leisten, genauer hinzuschauen und geschlechterspezifische Gewalt zu bekämpfen.
Jährlich findet die Aktion an den 16 Tagen vom 25. November bis 10. Dezember statt. In diesem Jahr steht das Thema psychische Gewalt im Fokus. Ich empfehle allen, nicht nur das sehr eindrückliche Video auf Youtube zu schauen, sondern auch im eigenen Umfeld stets ein waches Auge zu haben und sich aktiv gegen Gewalt an Frauen einzusetzen, sei es auch nur ein offenes Ohr für eine mögliche Betroffene zu haben.
Eine starke Persönlichkeit, die sich seit Jahren für die Rechte der Frauen, innerhalb und ausserhalb der Kirche, einsetzt, ist die Benediktinerin Philippa Rath. Am Sonntag erhielt die Ordensschwester in Göttingen für ihr Frauenrechtsengagement den Edith-Stein-Preis verliehen.
Im Sommer 2022 war Philippa Rath mit ihren beiden Büchern «Weil Gott es so will – Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin» und «Frauen ins Amt! – Männer der Kirche solidarisieren sich» in der Paulus Akademie zu Gast. Fast wie eine Anschlussveranstaltung dieses Podiums scheint das Referat «Mächtige Frauen» in der Paulus Akademie, dass am Dienstag, 5. Dezember, ab 18:30 Uhr Frauen in leitenden Funktionen in den frühen Gemeinschaften von Judentum, Christentum und Islam ins Zentrum stellt.
Frauen an den Spitzen der Kirchen, sind also sehr wohl kein Novum.
Heute ist Welt-Aids-Tag. Die Krankheit hat mittlerweile ihren Schrecken verloren, Betroffene können mit medikamentöser Behandlung ein relativ normales Leben führen.
Dennoch sind die schätzungsweise 17 500 HIV infizierten Menschen und 10 228 mit Aids diagnostizierten Personen in der Schweiz gesellschaftlich immer noch vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt. Die HIV-Aidsseelsorge möchte mit der musikalischen Gedenkfeier heute, Freitagabend, ab 18 Uhr in der Wasserkirche in Zürich, für mehr Solidarität und Toleranz gegenüber HIV- und Aids-Betroffenen sorgen.
Ebenfalls immer wieder Diskriminierung ausgesetzt und vielfältig nicht im gesellschaftlichen Leben sichtbar sind Menschen mit Behinderung. Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen am ersten Adventssonntag, 3. Dezember, ist eine gute Gelegenheit, auf das Thema aufmerksam zu machen und sich für die Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen einzusetzen.
In Zürich findet bereits am 2. Dezember eine Kundgebung für Menschen mit Behinderung statt.
Auch Papst Franziskus hat sich kürzlich mit dem Thema befasst und ein Video veröffentlicht, in dem er uns im Dezember dazu einlädt, «die Diskriminierung zu beenden und … offen zu sein für die Beiträge und Talente dieser anders begabten Menschen, sowohl in der Gesellschaft als auch im Leben der Kirche».
Es wäre ein entscheidender Schritt, wenn Inklusion nicht mehr diskutiert werden müsste, weil Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen und überall in der Gesellschaft sichtbar und integriert sind – auf Spielplätzen, in Restaurants und Cafés, in Betrieben, im Schwimmbad … Aber dafür braucht es sicher noch etwas, denn wahre Inklusion bedeutet auch Arbeit – Arbeit an der Infrastruktur, an der eigenen Einstellung und Arbeit an einer ganzen Gesellschaft.
Nach all den schweren Themen, möchte ich am Ende wieder zu ein wenig lichteren Inhalten kommen. Am Sonntag beginnt die Adventszeit und mit ihr das neue Kirchenjahr. Eine angenehme Zeit, wie ich finde, in der ich ein wenig zur Ruhe kommen kann.
Eine schöne Tradition, welche die besinnliche Stimmung dieser Zeit aufnimmt, ist das Kerzenlabyrinth in der Predigerkirche. Vom kommenden Montag, 4. Dezember, bis Donnerstag, 7. Dezember, brennen dort 500 Kerzen und formen ein eindrückliches Lichtlabyrinth, dass zum Abschalten und Luftholen einlädt.
Am Donnerstag, 7. Dezember, gibt es dann ein weiteres Advents-Highlight auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Münsterhof. Monika Schmid lädt uns ein, dem Weihnachtswunder auf eine ganz andere Art zu begegnen. Um 7 ab 7 wird sie im Kulturzelt auf die Weihnachtszeit einstimmen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen ersten Advent.
Ihre Saskia Richter
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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