Kirche aktuell

Aktuelle Ausgabe forum Pfarrblatt «Der Hund ist auch ein Seelsorger»

Tiere wecken positive Emotionen und damit neue Kraft, um das Leben zu bewältigen. Zwei Seelsorgerinnen sind darum mit ihren Hunden zu den Menschen unterwegs.
24. November 2022 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Lesen Sie diesen und weitere Artikel im
aktuellen Pfarrblatt forum

Im Innenhof vom Frauen-Untersuchungsgefängnis Dielsdorf ist der Labradoodle Barney eine willkommene Abwechslung – und für viele Frauen auch eine erste Begegnung mit einem Hund, der nicht als «böser Wachhund» an einer Kette liegt. Daher beobachten ihn einige zuerst aus sicherer Distanz. Andere freuen sich schon darauf, ihm Leckerli an den unmöglichsten Orten zu verstecken. Barney muss sie suchen und dabei manches Hindernis überwinden. «Die Frauen sind im offenen Vollzug und können sich daher nach der Arbeit innerhalb der Gefängnisabteilung frei bewegen», erklärt die reformierte Pfarrerin Carola Jost. «Sie wissen, wann ich mit Barney komme, und jene, die wollen, finden sich dann im Innenhof ein.» Entzückend sei die Begegnung mit einer jungen Mutter gewesen, die ihr viermonatiges Baby – wie das in Dielsdorf möglich ist – bei sich hatte. «Es war ihr so wichtig, dass ihr kleiner Sohn mal etwas anderes sieht als die Gefängnismauern und das Gitter über dem Innenhof, wo man höchstens mal einen Vogel durchfliegen sieht ...» Ganz zart sei der Hund mit dem Kind umgegangen, und dieses Stück Alltagserfahrung für den kleinen Jungen habe alle berührt. 

f24_2022_p01_CarolaJost_chw_bl-2000x1152-1440x829.jpg

 

Positive Emotionen

Der achtjährige ausgebildete Therapiehund Barney hat Erfahrung: Er war mit Carola Jost viele Jahre in der Psychiatrischen Universitätsklinik Rheinau im Einsatz, dann auch auf der Palliativ-Station des Spitals Winterthur. «Wenn ich mit Barney komme, berührt es mich jedes Mal neu, welch positive Emotionen das Tier wecken kann», erzählt sie. In Rheinau hat sie jeweils fünf Treffen für einzelne Patientinnen oder Patienten angeboten, immer mit einem anderen Schwerpunkt. Ein Spaziergang, Spiele, selber Ideen entwickeln, was man mit dem Hund machen könnte ... «In der Psychiatrie steht ja die Erkrankung im Vordergrund. Das Tier jedoch weckt spontane Freude, gesunde Emotionen, die sich von Treffen zu Treffen vertiefen», erzählt die Pfarrerin. Dies habe ihre Art der Seelsorge verändert. «Ich gehe nicht direkt auf die Menschen zu und frage, was sie bedrückt. Das kann überfordern oder jemanden blockieren. Komme ich mit Barney, steht nicht das Problem im Mittelpunkt, sondern der Hund beziehungsweise die positive Energie, die er ausstrahlt.» Dies gebe dann «unheimlich viele positive Anknüpfungspunkte» für Gespräche. 

«Natürlich hat nicht jeder Freude am Hund», ist sich die Seelsorgerin bewusst. «Im Spital haben wir immer mit der Pflege besprochen, wen ich mit dem Hund besuche, damit es keine negativen Überraschungen gibt.» Und natürlich ist sie als Gemeindepfarrerin in der meisten Zeit ohne Hund unterwegs. «Es ist wichtig, dass ich nicht nur das Frauchen von Barney, sondern eine eigenständige Person für die Leute bin», hält Carola Jost fest. 


Fast einziger Besuch

Die bald vierjährige Hündin Emma springt aus dem dunkelblauen Kombi. Sie wedelt und marschiert an der Seite von Kerstin Willems zielgerichtet über das Hürlimann-Areal zum Tertianum Zürich Enge. Vom Fenster aus winkt schon Frau Hausmann, die weiss, dass heute Emma kommt. «Wir sind fast der einzige Besuch bei Frau Hausmann, da sie keine Angehörigen mehr hat und all ihre Bekannten gestorben sind», erklärt Kerstin Willems. Die Polizeiseelsorgerin ist ehrenamtlich Teil des Aktivierungsprogramms im Tertianum. Sie besucht auf Wunsch ältere Menschen auf ihrem Zimmer oder geht mit Emma in den Aufenthaltsraum. Das ist möglich dank der Ausbildung zum «Helferhund», die sie mit Emma in fünf Modulen absolviert hat. Viermal wurde sie zusätzlich von der Ausbildnerin bei Besuchen im Heim begleitet, wo sie auch die Prüfung abgelegt hat. «Emma ist ein Podenco-Mix aus einem Tierheim in Spanien. Glücklicherweise hat sie dort offenbar nicht Schaden genommen, denn sie ist nicht schreckhaft und hat einen ausgeglichenen, sanften Charakter. Sonst wäre diese Ausbildung nicht möglich gewesen.»

Frau Hausmann steht schon an ihrer Zimmertüre und lässt, auf den Rollator gestützt, Hund und Hundehalterin freudig ins Zimmer. Die schlanke, braune Hündin stellt ihre grossen Ohren auf, ist aber abgelenkt durch Journalistin und Fotograf und schaut Frau Hausmann partout nicht an, obwohl diese sie freundlichst begrüsst. «Das gehört zum Tier: Es hat seinen eigenen Charakter und macht nicht immer, was wir uns vorstellen. Gerade dadurch werden diese Besuche für alle Beteiligten spannend», erklärt die Seelsorgerin. Dann steckt sie Frau Hausmann ein Leckerli zu, das diese Emma hinhält – welche es blitzschnell verputzt. Dann legt sich die Hündin flach auf den Boden. «Bisch e Liebi, bisch e Fuuli», schmunzelt Frau Hausmann und bückt sich von ihrem Stuhl aus, um die Hündin zu streicheln.


Total präsent und offen

Vor dem reformierten Pfarramt Wil-Hüntwangen-Wasterkingen springt auch Barney aus dem Auto und begleitet Carola Jost in ihr Büro, wo er sich allerdings noch eine Weile nicht in sein Körbchen legt, da hier auch heute wieder neue Düfte zu erforschen sind, an einem Ort, wo viele Menschen ein- und ausgehen. «Natürlich kommt Barney nicht immer mit ins Büro, nur wenn er einen Einsatz hat», erklärt Carola Jost. Und er weiss, wann es zur Arbeit geht: Dann zieht ihm sein Frauchen ein besonderes Hundegeschirr an, während sie den entsprechenden Rucksack buckelt. Darauf steht: «Therapiehunde-Team».  

«Barney hat uns selber gezeigt, dass er ein Therapiehund ist», erzählt Carola Jost. Als ihre Tochter im Matura-Stress jeden Abend total nervös und erschöpft nach Hause gekommen und sich aufs Balkon-Sofa geworfen habe, sei Barney, damals noch ein Welpe, immer zu ihr gegangen, habe sich auf ihren Bauch gelegt und sei ganz ruhig dort geblieben. «Für einen jungen, aktiven Hund ist das nicht selbstverständlich. Er hat unsere Tochter total beruhigt. Sie haben miteinander den Stress ausgeatmet und neue Energie eingeatmet.» Da wurde ihr klar: Wenn ein Hund dem Stress, den er ja spürt und riecht, nicht aus dem Weg geht, sondern merkt, dass er zur Beruhigung einen Beitrag leisten kann und das auch will, dann ist das ein Therapiehund. Daraufhin habe sie Barney zur Aufnahmeprüfung für die Ausbildung angemeldet. Und hat es nie bereut: «Barney unterstützt mein Anliegen von Seelsorge: dieses totale Präsentsein, Offensein, diese positive Energie und das tiefe Urvertrauen – ich würde sagen Gottvertrauen – das tut einfach gut. Auch ein Hund hat eine Seele, unbedingt», sagt sie und lacht. «Barney ist auch ein Seelsorger.» 

Text: Beatrix Ledergerber