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Mit Abt Urban Federer das Kirchenjahr entdecken

Mit Abt Urban Federer das Kirchenjahr entdecken
Im neuen forum: Der Abt von Einsiedeln verrät, was ihm Advent, Weihnachten und die anderen Feste des Kirchenjahrs bedeuten.
15. November 2018 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Weitere Themen im aktuellen forum: THC Chur: Attraktiv in die Zukunft; Seid demutig; Nein zur Überwachung von Versicherten

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Abt Urban Federer nimmt uns in seinem ersten Buch mit auf den Weg durchs Kirchenjahr. Immer wieder entdeckt er darin Quellen seiner Gottesfreundschaft.

 

Mit 50 Jahren haben Sie Ihr erstes Buch geschrieben.
An meiner Dissertation mit ihren rund 500 Seiten habe ich über Jahre geschrieben. Offenbar war die Zeit für ein nicht wissenschaftliches Buch reif. Viele Menschen, die mich vom Predigen her kennen, haben mich darum gebeten. Nicht nur ich mache mir mit diesem Buch ein Geschenk, sondern auch jene, die mich darum gebeten haben.

An wen richten Sie sich?
An Menschen, die ihrer Sehnsucht nach Glück nachgehen und die sich auf eine Beziehung mit Gott einlassen wollen.

Wie viel Detailwissen setzen Sie voraus?
Es geht wohl eher darum, vermeintliches Wissen über Gott zu hinterfragen und beziehungsfähig zu sein. Es reicht, wenn jemand offen ist, etwa das Kirchenjahr (neu) zu entdecken.

Wer Ihr Buch an einem Stück liest, mag ein Zuviel an Gedanken mitbekommen.
Ja. Deshalb schreibe ich im Vorwort zum Buch: «Dieses Buch muss nicht zusammenhängend gelesen werden. Es kann dort aufgeschlagen werden, wo wir uns im Kirchenjahr gerade befinden.» Das Buch sollte eher häppchenweise gelesen werden, weil es zur Meditation führen möchte – und meditatives Lesen funktioniert anders als das Verschlingen eines Romans.

Der Begriff «Gottesfreundschaft» stammt aus der Bibel, aus dem Johannesevangelium.
Was heute schon fast niedlich tönt, ist in der Geschichte der Religionen eigentlich revolutionär: Um mit Gott in Beziehung zu treten, brauchte es mit Christus keine Tieropfer mehr, Gott musste durch nichts mehr zufriedengestellt werden. In der Freundschaft mit Christus konnte die Gottesbeziehung plötzlich als eine Beziehung der Freundschaft gesehen und erfahren werden.

Wie muss man sich Ihre besondere Beziehung zu den mittelalterlichen Gottesfreunden erklären?
Ich habe sie über meine Doktorarbeit kennengelernt und habe gespürt, dass diese Art, Spiritualität zu leben, noch heute modern sein kann. Mir hat gefallen, wie die Menschen in Zeiten grosser Krisen einander begleiteten und einander Stütze waren auf ihrem Weg, in Gott Glück zu erfahren.

In Ihrem Buch erwähnen Sie mehrmals Ihre Mutter.
Meine Mutter und meine Familie sind eine Quelle meiner persönlichen Gottesfreundschaft. Durch sie habe ich gelernt, wie wichtig Beziehungen für mich sind und wie ich solche leben kann. Ich bin dankbar dafür, dass ich in meinem Leben gewollt war und geliebt worden bin. Das ist alles andere als selbstverständlich.

Der Gedanke, Glaube als Beziehung zu begreifen, mag für viele gewöhnungsbedürftig sein.
Viele Menschen haben in der Kirche Gebote kennengelernt und können nicht verstehen, was das mit Religion zu tun haben soll. Ich durfte Gebote – Gott sei Dank – als Wegweiser kennenlernen, um Gott zu suchen und mit ihm in Kontakt zu stehen.

Was gehört zu einer Freundschaft?
Das Vertrauen, auch wenn im Leben etwas schiefläuft. Die Offenheit und das Sich-aufeinander-Einlassen.

Wieso steht im Untertitel Ihres Buches «Mit Abt Urban durch das Kirchenjahr»?
Weil das Kirchenjahr die Folie ist, vor der ich meine Gedanken entfalte. Das Kirchenjahr beginnt mit dem Advent, mit der Sehnsucht nach Gott, geht über Weihnachten, die Fastenzeit und Ostern hin zu meinem persönlichen Glauben, der auch über die Erfahrungen vieler Heiliger genährt wird. Das Kirchenjahr ist 2000-jährige Erfahrung und eine Quelle, die mir auf der Suche nach Gott hilft.

Wie wird bei Ihnen das Kirchenjahr zur Quelle der Gottesfreundschaft?
Es lässt mich in meiner Beziehung zu Gott keine Rosinen picken, sondern fordert mich durch seinen wechselnden Charakter und die dazugehörenden Lesungen der Bibel immer wieder heraus, Gott neu zu befragen und zu suchen – dort, wo ich stehe, nicht dort, wo ich gerne sein möchte.

Wie halten Sie beispielsweise einen Karfreitag aus?
Der Glaube ist nicht dazu da, das Leben abzukürzen. Ich muss auch heute noch einen Karfreitag aushalten können. Im Bewusstsein, dass die Erfahrung von Leid und Tod auch meine Erfahrung ist. Natürlich hilft mir dabei die österliche Hoffnung, dass Gott lebt und für mich leben will.

Sie predigen seit einem Vierteljahrhundert über die gleichen religiösen Fragen, die gleichen Stellen des Evangeliums und die gleichen Feste. Wo stehen Sie mit dem Begreifen?
In zwei Monaten ist Weihnachten. In einem ersten Moment denke ich dann jeweils: Was, schon wieder Weihnachten? Doch wenn ich mich dann an die Predigtvorbereitung mache, merke ich, dass ich im Leben woanders stehe als noch vor einem Jahr. Ich stehe eigentlich immer wieder am Anfang mit diesen Festen und damit, den Glauben zu begreifen und zu leben.

Wie gehen Sie mit diesem Anfängerdasein um?
Für meinen Ordensvater, den heiligen Benedikt, ist dieses Dasein wichtig, um sich im Glauben nicht bequem einzurichten. Er sagt darum ausdrücklich, er habe seine Regel für Anfänger geschrieben. Ich darf mich darum ruhig als Anfänger begreifen.

Welche Feste des Kirchenjahrs haben für Sie eine besondere Bedeutung?
In meiner Kindheit waren dies der Advent und Weihnachten. Heute hat für mich auch das Pfingstfest eine grosse Bedeutung. Und immer wieder Ostern, ohne das ich nicht glauben könnte.

Wie bereiten Sie sich auf Weihnachten vor?
Durch die Texte und Rituale des Advents. Ich werbe darum dafür, den Advent bewusst zu feiern. Persönlich versuche ich dabei Folgendes: Ich habe eine Outlook-Agenda, die mir mit ihren vielen Daten dauernd vor Augen führt, was ich alles noch zu tun habe. Deswegen liegt über den Tagen des Advents ein violetter Balken. Der soll mir visuell sagen: «Denk daran, du darfst auch einmal etwas nicht machen.»

Inwieweit ist das Kirchenjahr mit seinen Ritualen und seinem Brauchtum Platzhalter?
Das Kirchenjahr bringt Stationen unseres Glaubenslebens zur Sprache: etwa Gottes Menschwerdung an Weihnachten, seine Auferstehung an Ostern. Was ich damit mache, hängt mit meiner eigenen Suche zusammen. Das Kirchenjahr will Raum und Zeit für den Glauben an Jesus Christus öffnen.

Ist es nicht langwellig, immer dieselben Feste mit denselben biblischen Texten zu feiern?
Wenn es nicht mit dem eigenen Leben und der eigenen Suche verbunden ist, kann es langweilig werden. Nach Ostern bin ich jeweils froh, wenn diese strenge Zeit von Kar- und Ostertagen vorbei ist. Aber bald wieder einmal beginne ich mich zu fragen, warum ich ein österlicher Mensch sein möchte. Und spätestens in der Fastenzeit freue ich mich wieder auf Ostern.

Was antworten Sie jemandem, der von leerem Herunterbeten von Formeln spricht?
Wer selbst versucht, sich auf diesen stets neu beginnenden Kreislauf des Kirchenjahres einzulassen, merkt, dass meditatives Gebet und das sich wiederholende Eintauchen ins Kirchenjahr frei macht und mit dem Wesentlichen des Glaubens in Verbindung bringt. Richtig verstandene Wiederholung kann sogar Ausdruck ungeheurer Vitalität sein.

Als Benediktiner beten Sie Woche für Woche sämtliche Psalmen – immer und immer wieder.
Die Psalmen sind ein Leitmotiv, das jeden einzelnen Mönch in seine eigene Geschichte und Tiefe führt. Sie leiten und motivieren mich in meinem Beten. Wer die Psalmen kennenlernt, wird merken: Sie bringen das Leben in seiner ganzen Spannbreite zur Sprache.

Aus Ihrem Buch kann geschlossen werden, dass Sie Ihren Leitmotiven folgen und Sie vom Evangelium immer wieder neu bewegt werden.
Neben dem Kirchenjahr und den biblischen Texten leitet und motiviert mich der Alltag. Da kann auch einmal ein Gespräch, das ich im Zug mithöre, Ausgangspunkt für eine Predigt und damit für meine eigenen Gedanken werden.

Was erhoffen Sie sich als Echo auf Ihr Buch?
Ob ich nun predige oder ein Buch schreibe: Ich teile mich andern mit und bin so mit anderen Menschen zusammen unterwegs. Heute gibt es eine grosse Scheu, über Glaube und Religion zu sprechen. Ich freue mich, wenn ich mit diesem Buch andere ermutigen kann, ihren eigenen Weg zu gehen. So darf ich für eine Wegstrecke mit anderen zusammen unterwegs sein.

Text: Urs Gusset, Einsiedler Anzeiger