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Was oder wem kann man noch glauben?

Informationsbeauftragte, stellvertretende Bereichsleiterin
Sibylle Ratz
Sibylle Ratz
Das Foto mit Papst Franziskus in einem luxuriösen weissen Wintermantel hat diese Tage die Runde gemacht. Es ist ein Fake-Foto, das aber nicht als solches erkennbar ist. Die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) werden in enormem Tempo immer grösser. Die Grenzen zwischen Fake-News, Fake-Bildern und echten, glaubhaften Nachrichten sind immer schwieriger zu erkennen. Was und wem kann man überhaupt noch glauben?
31. März 2023

1‘000 Menschen – unter anderem auch Elon Musk und weitere Technik-Expertinnen und -Experten – fordern in einem offenen Brief einen Entwicklungs-Stopp für KI-Modelle, die leistungsfähiger sind als das umstrittene Sprachmodell GPT-4 der Firma OpenAI. Auch der deutsche Ethikrat warnt vor der KI. Textgeneratoren wie ChatGPT können immer mehr Fragen beantworten und sogar programmieren. KI-Bilder sehen täuschend echt aus. Persönlichkeiten wie der Papst oder Politiker werden so in Situationen dargestellt, die nie passiert sind. Zuerst brauche es eine «unabhängige» Überprüfung, bevor mit dem Training neuer Systeme begonnen werde. «Wir stimmen zu», schreiben die Verfasser des Briefes. «Der Zeitpunkt ist jetzt.» Scheint vernünftig.

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Ist das Foto vom Papst im weissen Wintermantel echt oder nicht?
Der Chatbot selbst meint dazu auf Anfrage von 20 Minuten: «Ein Stopp für die KI-Entwicklung kann helfen, um Sicherheitsprotokolle und ethische Richtlinien zu schaffen.» Gleichzeitig äussert er aber auch die Befürchtung, dass die Entwicklung in denjenigen Staaten, die bremsen, ins Hintertreffen geraten könnte. Es gibt aber auch Zweifel und Kritik an dem Brief. Und auch Hinweise darauf, dass gar nicht alle, die als Unterzeichner aufgeführt wurden, diesen auch tatsächlich unterschrieben haben. Na, was denn nun? Eine gute Zusammenfassung dazu gibt es auf Watson.

Die Welt wird komplizierter, was viele Menschen dazu bringt, an Altem, Altbewährtem festzuhalten. Die Auseinandersetzung mit den Fragen zu Ethik und was wir als Gesellschaft in Zukunft wollen, lässt sich aber nicht aufschieben, ist wichtig und nötig.

Fragen nach Ethik und Doppelmoral muss sich auch unser Bischof Joseph Bonnemain in diesen Tagen stellen. Dies wegen Toni. Toni Ebnöther, Priester im Dienst des Bistums Chur, wirkte in den 1950er-Jahren an verschiedenen Stationen in der ganzen Schweiz. Und zeugte mindestens sechs Kinder, die es nach der Lehre dieser Kirche gar nicht geben dürfte. Der Regisseur Miklós Gimes hat sich mit der Geschichte der Kinder, die sich an der Beerdigung ihres Vaters erst überhaupt kennenlernten, auseinandergesetzt.

Der Film «Unser Vater» startet nächste Woche in den Schweizer Kinos. Vielerorts finden dazu auch Podien und Diskussionsrunden statt, auch mit Bischof Bonnemain. Dieser war gestern im Talk täglich von Tele Züri und hat Stellung genommen.
«Die Opfer haben mich verändert», sagt Bonnemain in der Sendung. Er rief auch nochmals dazu auf, dass sich wirklich alle Opfer melden sollten. Seine Betroffenheit nehme ich ihm ab. Früher habe er zuerst die Institution Kirche in Schutz nehmen wollen. Seit er Bischof ist, habe er sämtliche Akten zugänglich gemacht. Es sei aber wohl in früheren Jahren auch vieles nur mündlich besprochen worden. Im September wird eine Vorstudie zu Missbrauch in der Schweizer Kirche der Uni Zürich veröffentlicht. Warum das alles so lang ging? Die Schweizer Bischofskonferenz wollte, dass alle mitmachen, auch die Ordensgemeinschaften, begründete Bonnemain die späte Aufarbeitung.

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Regisseur Miklós Gimes

Nochmals zu Bischof Joseph Bonnemain. Natürlich kam in den vielen Interviews und Anfragen, die rund um den Film auch die Frage nach dem Zölibat und dem Umgang von Priestern mit der Sexualität auf.

Zum Zölibat befragt, wich Bonnemain mehrheitlich aus, aber keinen Millimeter von der vatikanischen Haltung ab. Dies, obwohl hinlänglich bekannt ist, dass es auch aktuell in der Schweiz und anderswo Priester gibt, die eheähnliche hetero- oder homosexuelle Beziehungen pflegen. Zölibat hin oder her. Was nicht sein darf, wird einfach ignoriert. Gerade mit dieser Doppelmoral setzen sich auch der Synodale Weg und der Synodale Prozess auseinander. Mutig wäre es hier, endlich, endlich, Zeichen zu setzen. Da warten viele noch. Sowohl auf Papst Franziskus wie auch auf unserem Bischof. Generell ist zu wünschen, dass an Schlüsselpositionen nicht bloss Würdenträger, sondern Menschen mit echten Führungsqualitäten sind, die bereit sind, Entscheidungen eigenständig und für die Menschen und das Leben zu fällen - und nicht dagegen.


Daran hat es wohl bei der Credit Suisse gefehlt. Was hat der Fall eines Wirtschaftsunternehmens in einem Newsletter der Kirche zu suchen, werden Sie sich vielleicht fragen. Für mich sehr viel. Denn auch dort mangelt es offenbar an kompetenten Führungskräften, die zum Wohle der Gemeinschaft entscheiden; dafür kennen wir jetzt zu viele, die sich für das schnelle und viele Geld entschieden haben. Andersherum geht es in der Kirche wohl um viel Macht.

Tatsache ist, dass Tausende Arbeitsplätze und damit nochmals mehrere Tausend Menschen direkt vom Untergang der Bank betroffen sind. Es ärgert mich masslos, dass für die Credit Suisse innert weniger Tage Milliarden von Franken aus dem Hut gezaubert werden. Eine Woche später präsentiert dann der Bund bereits Sparpläne für die AHV, bei der es wohlgemerkt zwar auch um einen hohen Betrag geht, aber um einen wesentlich geringeren.

Tatsache ist auch, dass, wenn der politische Wille da wäre, die Sozialwerke von AHV über IV und Sozialhilfe schon längst saniert sein könnten. Das Geld wäre nämlich vorhanden. Dann müssten sich IV-Antragsteller und Sozialhilfebedürftige nicht einem erniedrigenden Prozedere unterziehen und über jeden einzelnen Franken Rechenschaft ablegen, sich mit Vertrauensärzten herumschlagen, die sich kaum Zeit nehmen, richtig zuzuhören, geschweige denn, gleich beim ersten Antrag zustimmen. Dann wäre es auch nicht so, dass Jugendliche immer noch aktuell über ein halbes Jahr auf einen dringend benötigten Termin bei einem Psychologen warten müssten. So viele Probleme würden sich lösen lassen: nicht mit künstlicher Intelligenz, sondern mit dem Willen, das Problem zu lösen, mit menschlicher Intelligenz und Liebe.

Der theologischen und gesellschaftlichen Diskussion stellt sich die Redaktion von feinschwarz.net immer wieder. Letzten Sonntag durften die Redaktorinnen und Redaktoren, allesamt mit Doktortitel in ihrem Fachgebiet, die meisten auch mit Professur, den Preis der Herbert-Haag-Stiftung – für Freiheit in der Kirche - entgegennehmen. Gleichzeitig ging der Herbert Haag Preis 2023 auch an Julia Enxing, Professorin für Systematische Theologie an der Technischen Universität Dresden. Sie ist ebenfalls Mitglied des feinschwarz-Feuilletons.

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Preisverleihung der Herbert-Haag-Stiftung an die Redaktion von feinschwarz.net
Mit Scharfsinn und schwer widerlegbaren Argumenten nehmen sie Stellung im religiösen und gesellschaftlichen Diskurs. Und haben auch die Argumente schon mehrfach und längstens zerpflückt, dass Frauen in der katholischen Kirche keine «heiligen» Handlungen vornehmen dürften. Es ist eigentlich auch nachvollziehbar, dass das Zölibat weiterbestehen kann, aber eben auf freiwilliger Basis. Das würde wohl Fälle wie von Toni Ebnöther kaum verhindern, aber es würde denjenigen, die heute Beziehungen und Kinder haben, ein Leben in Anstand und Würde ermöglichen. Ich habe von diesem Ansinnen noch nicht Abstand genommen und hoffe doch, dass ich das in der katholischen Kirche in der Schweiz, der ich mich zutiefst verbunden fühle, noch erleben darf.


Lesenswert auch Raphael Rauchs letztes Rauchzeichen. Scharfsinnig analysiert er die aktuellen Aufgabestellungen der Kirche sehr genau. Pflichtlektüre, würde ich sagen, für alle in der katholischen Kirche mit dem Auftrag verbunden, sich wirklich ernsthaft darüber Gedanken zu machen; Veränderungen tun im ersten Moment weh und können Angst machen. Aber es wäre für uns alle zum Segen und zum – ehrlichen – Weiterbestand der katholischen Kirche. Danke, lieber Raphael, dass du kath.ch so lesenswert gemacht hast.

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Raphael Rauch hat in seinen drei Jahren bei kath.ch die Redaktion nachhaltig geprägt.

Ich weiss, ich weiss. Schimpfen ist nicht schön. Aber der Ärger musste wieder einmal heraus. Und ich hätte auch nie gedacht, dass so viel im Argen liegt in den Strukturen der Kirche. Aber je genauer man hinschaut, desto klarer wird leider das Bild. Dabei gibt es auch ganz, ganz viel Schönes und Gutes in der Kirche. Gerade eben hatten wir einen Austausch mit dem Kommunikationsteam von Caritas Zürich. Ja, auch das ist katholische Kirche. Und die Caritas hat ganz viele tolle Projekte, welche die Schwächsten in der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht unterstützt. Doch das gibt halt in den Medien keine Schlagzeilen her.

Hier ein ganz persönliches Statement. Ich erlebte vor ein paar Jahren einen Tiefpunkt, an dem ich mich an die Caritas wendete. Ich bekam einen Rückruf von der zuständigen Sachbearbeiterin. Sie reagierte auf ein E-Mail von mir. Direkt weiterhelfen konnte sie mir zwar nicht direkt. Aber sie hörte zu, zeigte Verständnis, sie machte mir Mut, verwies mich an eine andere Stelle, die mir weiterhelfen konnte. Es waren zwei, drei Sätze, die mir wieder auf die Beine halfen, als ich am Boden war. Es war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich bin heute noch dieser unbekannten Frau dankbar. Es braucht nicht viel. Aber es braucht Menschen, die es tun.

Gefreut habe ich mich an einem Film über Mario Botta, in der Sternstunde von SRF zum seinem 80. Geburtstag. Ich bin nämlich nicht nur ein Fan von Karin Iten, sondern auch von Mario Botta. Seine Kirchen im Tessin sind wunderbar, «Architektur der Stille», wie es im Film genannt wird. Der Bau auf dem Monte Tamaro bringt einem den Himmel näher. Der Bericht, seine moderne Interpretation von sakralen Bauten, inspirieren mich. Prädikat: sehenswert.

Zurück zu meiner Ursprungsfrage: Was und wem kann man noch glauben? Der Mensch darf und soll zweifeln. Dafür sind wir mit Verstand ausgestattet worden. Wie dieser genutzt wird ist zweifellos unterschiedlich. Die Verwendung ist auch nicht immer uneigennützig. Aber ich glaube nach wie vor an das Gute im Menschen, auch an das Gute in der Kirche und die Kraft der Masse, an den Veränderungswillen (mit dem Frauenstimmrecht in der Schweiz war es ja auch jahrzehntelang zäch, aber am Schluss gelang es dann doch) und an Gott.

Passend zum Thema noch der Veranstaltungshinweis auf nächsten Mittwoch, 5. April: In der Paulus Akademie in Zürich gibt es von 12.30 bis 13.30 Uhr Lunch & Lecture - Brainfood zum Zmittag zum Thema «Künstliche Intelligenz für alle? ChatGPT, Dall-E &Co.».

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Palmzweigen sind Symbol für den Frieden.
Die Feierlichkeiten zu Palmsonntag stehen dieses Wochenende an. Mit dem Palmsonntag beginnt die Karwoche und wird des Einzugs Jesu Christi in Jerusalem gedacht. Zum Zeichen seines Königtums jubelte das Volk ihm zu und streute Palmzweige. Es beginnen die stillen Tage vor Karfreitag und Ostern. Nehmen Sie sich Zeit für sich und für Versöhnung. Versöhnung mit sich selbst, mit anderen.

Eine gesegnete Karwoche wünscht Ihnen herzlich
Sibylle Ratz

Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.

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