Zum 100. Geburtstag der Buber-Rosenzweig-Bibel Lichtdurchlässig. Biblische Begegnungen neu erzählt
Vor 100 Jahren übersetzten die beiden biblischen Religionsphilosophen Martin Buber und Franz Rosenzweig die Schriften der hebräischen Bibel neu in einer bislang völlig ungeahnten Sprache. Dieses Werk hat bis heute nichts von seiner Faszination verloren und inspirierte auch den Vorarlberger Theologen Tom Sojer, 17 biblische Geschichten der Gottesbegegnung neu zu erzählen: 17 Versuche der Frage nachzugehen, wie sich jenem namenlosen Du begegnen lässt, das unverfügbar bleibt und uns im «Du» doch ganz nah ist.
Die Buchvernissage fand im Rahmen von zürich liest am Donnerstag, 23. Oktober, statt.
Wie spricht man mit Gott? Was bedeutet es, jemanden anzureden, der nah ist und sich doch jeder Festlegung entzieht? Antworten darauf gibt es viele – von «Gott ist da, aber verborgen» bis «das ist alles nur sinnbildlich gemeint, also eine Kommunikation als ob». Mir fiel auf, dass es für mich einen Unterschied macht, ob ich alleine in einem Raum eine Geste vollziehe – etwa ins Leere zwinkere bzw. meine Hände erwartend ausstrecke – oder ob ich laut ein «Du» ausspreche. Die Gesten bleiben leer, doch das gesprochene «Du» eröffnet eine eigene Qualität: Es lässt eine unerwartete Gegenwart eintreten. Ob sie in mir ruht, um mich kreist oder von fernher kommt, bleibt offen. Ihr Ursprung wandert zwischen eigener Stimme und Stille. Gott kann in beidem Gestalt annehmen. Was bleibt, ist eine Präsenz, die jede Einordnung verwehrt.
Diese Faszination für das unbestimmbare und doch spürbare «Du» führte mich zu den Werken von Martin Buber und zur Bibelübersetzung, die er 1925 gemeinsam mit Franz Rosenzweig begann.
Ihre Übersetzung wollte mehr sein als die blosse Weitergabe von Information: ein lebendiges Gespräch, getragen von Gefühl und Melodie. Im Hintergrund steht das Geheimnis der Begegnung.
Echte Begegnung – so verstehen es die beiden jüdischen Religionsphilosophen – geschieht leibhaftig: Menschen aus Fleisch und Blut fühlen, spüren, berühren einander. Die Betonung des Körperlichen kommt aus einer tragischen Verlusterfahrung. Aufgrund einer schweren Krankheit war Franz Rosenzweig fast vollständig gelähmt. Er konnte nur noch mit den Augenlidern kommunizieren.
Buber und Rosenzweig wollten in der deutschen Sprache erfahrbar machen, was das Hebräische den Propheten erlaubte: Sinnfragen sinnlich wahrzunehmen.
Biblische Begegnungen gehen unter die Haut, sie fordern alles, sie berühren tief. Um das spürbar zu machen, arbeiteten die beiden mit Sprachmelodien, Atembewegungen und Affekten hinter den sichtbaren Worten. Im Lesen verschmelzen Atem und Blick. Das Ergebnis ist eine Übersetzung von eindringlicher Wucht. Siegfried Kracauer bemerkte spöttisch, sie lese sich, als hätte Richard Wagner die Bibel vertont. Über die ästhetische Wirkung lässt sich streiten – entscheidend bleibt das Anliegen: Musik und Bedeutung verweben sich so, dass daraus eine tonale Faser entsteht, die zwischen den fühlenden Körpern des Hörenden und des Sprechenden schwingt – als leibhaftiges Resonanzgeschehen.
Von diesem Anspruch aus begann ich, den biblischen Begegnungen neu nachzuspüren. 17 Szenen liessen mich nicht mehr los.
Aus der Auseinandersetzung mit den Texten entstanden eigene Erzählungen in der Gegenwart. Sie spielen an Übergängen und Grenzorten des Menschseins: in Nachtzügen, im Spital, einsam vor dem Computer.
Inspiration fand ich in den Schreibtechniken des Magischen Realismus – einer Literaturform, der auch Buber nahe stand. Hier tritt das Unmögliche selbstverständlich und still in den Alltag, und das Alltägliche gewinnt das Gewicht des Unvorstellbaren. Die Literatur des Magischen Realismus trägt in sich eine Spiritualität des Ungesehenen und Unscheinbaren: ein Wahrnehmen dessen, was sich nicht sofort zeigt, aber im Verborgenen darauf wartet, entdeckt zu werden.
So verbinden sich in Lichtdurchlässig 17 biblische Begegnungen der Buber-Rosenzweig-Übersetzung mit 17 modernen Erzählungen zu einem vielseitigen Spiegelkabinett biblischer Motive und Themen. Den roten Faden bildet die Frage, wie sich jenem namenlosen Du begegnen lässt, das unverfügbar bleibt und doch ganz nah ist.
Zum 100. Geburtstag der Buber-Rosenzweig-Übersetzung ist im Theologischen Verlag Zürich Lichtdurchlässig. Moderne Erzählungen zu biblischen Begegnungen im Oktober 2025 erschienen – grosszügig unterstützt von der Katholischen Kirche im Kanton Zürich: Lichtdurchlässig | TVZ
Der Autor freut sich, das Buch und die Fragen und Themen des Buches in Pfarreien und Gruppen der Katholischen Kirche im Kanton Zürich vorzustellen. Bei Interesse kann gerne Kontakt aufgenommen werden: thomas.sojer@uni-erfurt.de
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