Kirche aktuell

Ökumenische Feier im Grossmünster Für die Kirchen gehts um die Wurst

Jürg Bräker* ist Mennonit, eine Kirche der Täufer-Bewegung. Von Reformatoren, Katholiken und Staat einst brutal verfolgt, feiert der Mennoniten-Generalsekretär das 500-Jahr-Gedächtnis des berühmten Wurstessens mit Kirchenratspräsident und Generalvikar im Grossmünster. Was ihm das bedeutet, erklärt er im Gespräch.
23. Februar 2022 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Simon Spengler: Die Szene im Stefan Haupts Zwingli-Film, die mir selbst am stärksten im Gedächtnis geblieben ist, ist der letzte Schrei des Felix Manz, bevor er in der Limmat ertränkt wird. Sie stehen in der Tradition des Täufers Manz. Wie hallt diese Szene in Ihnen nach?

Jürg Bräker: Es war tatsächlich für mich sehr bewegend. Die erste «Gläubigentaufe», also freiwillige Erwachsenentaufe im Jahr 1525 im Umfeld von einigen Gefährtinnen und Gefährten Zwinglis und dann zwei Jahre später die Hinrichtung des Felix Manz, der ein politischer Mord war, gehören zu wichtigen Ereignissen in der Entstehung unserer Bewegung. Sie prägen uns bis heute.

Zwingli rechtfertigte diesen Polit-Mord.

Seine Haltung ist nicht ganz eindeutig. Einerseits ja, er rechtfertigte die Verfolgung, hegte aber wohl auch Zweifel ob der Gewalt. Im Film kommt das gut zum Ausdruck: Zwingli, der vom Ufer aus schweigend und mit starrem Gesichtsausdruck zuschaut. Hat er gespürt, dass das, was da geschah, nicht das sein konnte, was er sich unter einer erneuerten christlichen Kirche vorstellte? Man darf auch nicht den Kontext ausblenden. Die Täuferbewegung und die damalige Bauernbewegung, die gegen Obrigkeit und Staat revoltierten, waren für damalige Beobachter schwer zu unterscheiden. Politische, theologische und kirchenpolitische Kämpfe waren ineinander verzahnt und führten zu der fatalen Verfolgung der Täufer.

Der Täufer Felix Manz wird in der Limmat ertränkt. Szene aus Zwinglifilm © C-Films
Der Täufer Felix Manz wird in der Limmat ertränkt. Szene aus Zwinglifilm © C-Films

 

Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger predigte dann: «Wir haben mit ihnen rein gar nichts gemeinsam!»

Tatsächlich kann man die Verschärfung des Konflikts zwischen der reformierten Bewegung und den Täufern mehr als Werk Bullingers sehen, denn als Zwinglis Erbe. Nicht ohne Grund fand der historische Versöhnungsgottesdienst 2004 zwischen der reformierten Kirche und uns im Bullinger-Gedächtnisjahr statt.

Am sechsten März predigen Sie nun 500 Jahre nach dem Wurstessen, auch ein Gründungsereignis der Reformation, gemeinsam mit dem reformierten Kirchenratspräsidenten und dem katholischen Generalvikar ausgerechnet von der Kanzel Zwinglis und Bullingers im Grossmünster. Was bedeutet das Ihnen?

Für mich und alle mennonitischen Gemeinden in der Schweiz ist es erst mal eine grosse Freude, dass dies möglich ist. Es ist wichtig, dass wir nach der Versöhnung von 2004 nicht beim Nebeneinander stehen bleiben, sondern auch gemeinsame Wege beschreiten. Wir sollten nicht nur der schwierigen Vergangenheit gedenken, mittlerweile gehört auch die Versöhnung zu dieser Vergangenheit. Daraus sollten wir Perspektiven für die Zukunft gestalten, gemeinsame Hoffnungszeichen setzen, auch wenn es nach wie vor Differenzen gibt. Wir haben unterschiedliche Traditionen und leben Kirche auf unterschiedliche Weise. Aber wir alle sind Christinnen und Christen in dieser Welt.

In dieser säkularen und multireligiösen Welt von heute sind wir als Christen ja alle in der Minderheit. Weniger als die Hälfte der Zürcher Bevölkerung ist heute noch Mitglied einer der beiden grossen Kirchen.

Ja, als Christen sind wir eine Minderheit. Das ist aber nicht schlimm. So tritt auch mehr in den Vordergrund, dass Kirche und Bekenntnis zusammengehören. Wir gestalten unsere Gesellschaft über unsere Überzeugungen mit, nicht durch Machtausübung. Je länger desto weniger gehören wir einfach ‘aus Gewohnheit’ zu einer Kirche. Wir müssen uns ernsthaft überlegen, was uns der Glaube bedeutet, wie wir Glaube in unserer Welt leben.

Können Sie das konkretisieren?

Wir sollen alle für Friedensanliegen einstehen und uns für Verfolgte einsetzen. Angesichts der Ukraine-Krise ist das hochaktuell. Ich habe mich in der Pandemiezeit schon gefragt, warum so viele Menschen, auch Christen, gegen die Corona-Massnahmen revoltierten. Aber kaum jemand protestiert gegen Migrationsgesetze, die grauenhafte Flüchtlingslager in Libyen und tausende Tote im Mittelmeer in Kauf nehmen. Wenn die Kirche keine formale Macht hat, befreit das auch. Wir können uns kritisch und konstruktiv in die Welt einbringen und nach neuen, gewaltfreien Wegen suchen.

Wie ist ihr Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche heute? In der Reformationszeit protestierten die Täufer ja radikal gegen die Papst-Kirche, aber in der Verfolgung bot ihnen der Fürstbischof von Basel im Jura über 1000 Metern Schutz.

Gut, auch hier muss man fragen, ob der Bischof tatsächlich aus Sympathie für die Täufer handelte, oder ob dahinter politisches Kalkül gegen die reformierten Berner stand. Wie auch immer, viele der heutigen mennonitischen Gemeinden im Jura und auch anderswo pflegen ein gutes Verhältnis zu katholischen Pfarreien. Man kennt und respektiert sich und feiert gemeinsam Gottesdienste. Auf offizieller Ebene gibt es aber in der Schweiz noch keinen Dialog zwischen beiden Kirchen. Insofern ist der gemeinsame Gottesdienst mit dem Zürcher Generalvikar auch ein historischer, erster Schritt. Es wäre schön, wenn daraus mehr entstehen könnte.

Nach diesem Gottesdienst vom sechsten März geht es ja buchstäblich um die Wurst. Zunächst mal um die auf dem Grill. Aber vielleicht auch im übertragenen Sinn?

Die Frage habe ich mir so noch gar nicht gestellt. Aber ja, das historische Wurstessen deckt sich natürlich mit reformatorisch-täuferischen Anliegen, Einspruch und Protest gegen alles einzulegen, was Menschen einengt und versklavt. Damals waren es die Gesetze der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit, gegen die die ersten Täufer im Rahmen der Reformation im Namen Jesu aufbegehrten. Für mich sind heute unsere Migrationsgesetze ein Beispiel dafür, wie bei uns Menschen an der Entfaltung ihres Menschseins und ihrer Würde eingeengt werden. Hier sollten wir Christen auch Einspruch erheben.

Da treffen Sie sich ja wieder mit dem Papst von Rom…

(lacht) Ja, der Einsatz für bedrängte Menschen eint uns. Das ist wahre Ökumene. Papst Franziskus geniesst viel Sympathie unter uns Täufern.

 

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*Jürg Bräker (55) ist Theologe und Generalsekretär der Konferenz der Mennoniten der Schweiz. Die Nachfolger der reformatorischen Täufer-Bewegung leben heute in 13 Gemeinden im Jura, Bern, Emmental und Basel. Ihnen gehören rund 2100 Gläubige an, weltweit zählt die Mennoniten-Kirche über zwei Millionen Mitglieder. Mennonitische Gemeinden engagieren sich stark in der Friedens- und Flüchtlingsarbeit.