Advent, Advent
In jüngerer Zeit höre ich immer wieder den Vorwurf, meine «Grüss Gott Zürich» seien nicht motivierend, nicht aufbauend, nicht positiv. Darüber kann man sicher ernsthaft diskutieren, denn tatsächlich bin ich kein Freund von Halbwahrheiten, billigem Trost und erst recht nicht von Ablenkungsmanövern. Ich bin überzeugt: Nur wer Probleme ungeschönt ausspricht, kann sie auch lösen.
Trotzdem nehme ich mir die Kritik zu Herzen und versuche es heute ganz anders. Den Anstoss verdanke ich einem lieben Freund, der mir vor längerer Zeit eine Karte schrieb, deren Rückseite mir tatsächlich erst vor wenigen Tagen auffiel. Dort ist nämlich ein Text der Theologin Dorothee Sölle abgedruckt, wie für mich geschrieben:
«Jetzt habe ich mir vorgenommen
jeden tag drei sachen zum loben zu finden
Dies ist eine geistlich-politische übung
von hohem gebrauchswert
Sie verbindet mich
mit den müttern und vätern des glaubens
desselben kontraktes
sie lehren mich sehen
auszumachen was alles sehr gut ist»
Also, drei Sachen zum Loben will ich suchen. Als braver Katholik fange ich ganz oben an, beim Heiligen Vater. Der hat diese Woche einmal mehr überrascht. Unmissverständlich erklärte er, das Schlussdokument der Weltsynode, an dem er kein Jota geändert hatte, sei «Teil des ordentlichen Lehramtes». Die konservativen Kräfte, die das Schreiben schon kleinzureden begannen (darunter auch ein Schweizer Weihbischof mit Zürcher Wurzeln im nicht ganz freiwilligen Ruhestand), müssen jetzt erst mal den Mund halten.
Nun ist dieses Dokument nicht wahnsinnig konkret, aber es zeigt doch klar die Richtung auf, die zur Erneuerung der Kirche führen soll und zu einer Abkehr von Klerikalismus und obrigkeitlicher Bevormundung. Und dieser Prozess soll weitergehen.
Aber auch die jüngste Erklärung von Franziskus lässt sich wieder verschieden interpretieren, typisch für den aktuellen Pontifex. Ist das Dokument deshalb Teil des Lehramts, weil der Oberlehrer Papst es so sagt und wenn er das nicht gesagt hätte, hätte es nicht diesen Stellenwert?
Oder stellt der Papst lediglich fest, dass das, was Bischöfe, Theologinnen und Theologen, Ordensleute, Männer und Frauen gemeinsam in der langen Synodenversammlung zu Papier brachten, deshalb gilt, weil auch ein Papst sich nicht über die weltweite Versammlung des Volkes Gottes stellen darf? Vox populi, vox Dei, des Volkes Stimme ist Gottes Stimme. Franziskus selbst lässt die Frage offen, was mich diebisch freut.
Die Dogmatiker des kirchlichen Status quo werden an dieser Frage ordentlich zu knabbern haben.
Lob 1 hätten wir. Für Lob 2 greife ich eine Schublade tiefer, zu unserem Bischof. Ohne lange zu überlegen war er bereit, sich einen ganzen Tag für unsere Telefonaktion zum Start der neuen Kampagne «Kirchensteuer-wirkt» zur Verfügung zu stellen.
Am Dienstag, 10. Dezember, zwischen 12 und 19 Uhr können alle, die es wollen, dem Bischof ihre Meinung sagen, Fragen stellen oder Ideen einbringen. Und wenn der Bischof gerade besetzt ist, nehmen Synodalratspräsident Raphael Meyer, Vizepräsidentin Vera Newec, Generalvikar Luis Varandas oder Spitalseelsorge-Chefin Sabine Zgraggen die Anrufe entgegen. Also bitte dieses Datum fett in der Agenda notieren und vor allem diese Telefonnummer merken: 044 559 55 00
Die Kampagne «Kirchensteuer-wirkt» kommt dieses Jahr ganz neu daher. Waren wir im letzten Jahr gezwungen, mit dem Slogan «Unser Image? Im Allzeittief. Unser Engagement? Konstant hoch» auf die verheerenden Resultate der im September 2023 präsentierten Missbrauchsstudie zu reagieren, fokussieren wir in diesem Jahr ganz auf die guten Gründe dafür, Mitglied der Kirche zu bleiben.
Die Kampagnenunterlagen treffen nächste Woche in den Pfarreien ein, Kirchenpflegen und Sekretariate wurden bereits informiert. Deshalb hier die Bitte: Nutzen, teilen, versenden Sie vor Ort diese Plakate und Flyer. Denn jede Kampagne ist nur so gut, wie sie auch von der Basis mitgetragen wird.
Kommen wir zum Lob Nummer 3. Dazu muss ich kurz ausholen. Wir starten ja Sonntag in die Adventszeit (nein, nicht in die Weihnachtszeit, die startet erst am 25. Dezember).
Advent, das bedeutet warten, herbeisehnen, Dunkelheit und Trauer aushalten, hoffen auf das versprochene Licht. Schon ganz zaghaft sehen wir es. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier. Advent als geistliche Übung der Geduld, des Harrens, der Besinnung ist für mich ein wunderschönes Geschenk unserer christlichen Tradition.
Nur glitzern und glänzen schon heute, wo nicht mal der Advent angefangen hat, allüberall die Weihnachtsbäume. Mit Advent tun wir uns offenbar schwer, die dunklen Seiten des Lebens verdrängen wir lieber mit vielen Lämpchen, statt sie gemeinsam auszuhalten und gerade daraus Kraft zu schöpfen.
Dass die Geschäftemacher an der Bahnhofstrasse oder die Marktschreier des «Black Friday» Weihnachtsgefühle für ihren Profit ausschlachten, stört mich unterdessen aber weniger, als dass auch wir in der Kirche uns immer mehr in diesen zeitgeistigen Sog hineinziehen lassen, den Adventskranz vergessen und stattdessen gleich sofort die Lichterketten der Weihnachtsbäume entzünden.
Für mich ist das Religion als Opium. Das verletzt meine religiös-katholischen Gefühle! Ich weiss, das nimmt mir keiner ab und kaum einer ernst, aber es ist so: Mir wird der Advent gestohlen. Deshalb gilt mein drittes Lob allen Seelsorgenden und Kirchenverantwortlichen, die diese Sinnentleerung des Advents (und damit letztlich auch des Weihnachtsfestes) nicht mitmachen und den Weihnachtsbaum erst dann erstrahlen lassen, wenn wir die vier Wochen adventliche Besinnungszeit durchlebt haben.
Zum Beispiel in frühmorgendlichen Rorategottesdiensten in nur von wenigen Kerzen erhellten Kirchen, die für mich zu den schönsten des Jahres gehören. Für die Stadt Zürich finden Sie hier eine Zusammenstellung.
«Oh Heiland, reiss die Himmel auf», beginnt ein altes Adventslied. Dieses Flehen aus der Tiefe menschlichen Leidens, zu Beginn des 17. Jahrhunderts geschrieben vor dem Hintergrund des Dreissigjährigen Kriegs, diese «Hoffnungslied in dunkler Nacht» mit der Strophe «Wo bleibst du Trost der ganzen Welt», scheint mir auch heute hochaktuell zu sein.
Damit hätte ich nun mein dreifaches Lob zusammen und ende mit dem Hinweis auf die besinnliche Feier unserer Aids-Seelsorge zum Welt-Aids-Tag. Morgen Samstagabend um 17 Uhr beim Rathaus-Café am Limmatquai: Erinnerungsworte, Musik, Lichtkunst und kulinarischer Genuss.
Ich wünsche uns allen einen besinnlichen ersten Adventssonntag. «O Gott, ein' Tau vom Himmel gieß; im Tau herab, o Heiland, fließ. Ihr Wolken, brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus.»
Simon Spengler
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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Andreas Imhasly
Ich bitte Sie, bleiben Sie auch in Zukunft aufmüpfig, mutig und nennen Sie die Dinge beim Namen. Nur so gibt es vielleicht mal in ca. 500 Jahren eine Veränderung in der kath. Kirche. Ich werde es auf jeden Fall nicht mehr erleben und dies ärgert mich zutiefst. Die Menschheit bräuchte in der jetzigen verrückten Zeit so dringend Orientierung. Wie weit haben wir es gebracht, dass die kath. Kirche in Amerika einen Präsidenten unterstützt, der lügt wie gedruckt, machtgierig ist, nur sich und nicht das Volk im Blickwinkel hat???? Mir ist nichts zu Ohren gekommen, dass sich da Rom eingemischt hätte, Aber wen Frau Monika Schmid in ihrem Abschiedsgottesdient im tiefen Glauben Worte spricht, wird von Missbrauch gesprochen und Rom wird orientiert und, und, und... Mir stehen die Haare zu Berge!!!!
So wie sich die kath. Kirche gebärdet, laufen die Leute bei uns in der Schweiz scharenweise davon. Warum gucken sich die Bischöfe in der Kirche die Leute nicht an. Das sind ja alles Senioren. Wo ist da die Zukunft????
Wenn ich mich zurückerinnere, wie ich nach dem Konzil so richtig stolz war, katholisch zu sein. Diese Aufbruchstimmung war gewaltig. Ich frage mich, wie konnte es so weit kommen? Sind wir Reformfreudigen zu träge? Motzen die Konservativen lauter und besser? Oftmals stelle ich fest, dass ich einfach resigniere.
Ich wünsche Ihnen viel Kraft, um Gegensteuer zu geben. Bleiben Sie kritisch, was ja nicht heisst, das Gute nicht mehr zu sehen.
Gute Adventszeit und herzliche Grüsse,
Helen Portmann
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