Über uns

Den Nebel lieben lernen – trotz alledem

Bereichsleiter Kommunikation, Sekretär Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich
Simon Spengler

Gesamtverantwortung Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Katholischer Theologe und Journalist.

Simon Spengler
Mit dem Herbst zieht auch der Nebel ins Land. Meist nervt er uns, weil wir die Sonne nicht sehen. Ausserdem kann er zum Verhängnis werden: Man kann sich in ihm verirren oder bös verunfallen.
20. November 2020

Trotzdem liebe ich morgendliche Zugfahrten durchs Nebelmeer. Die Sicht aufs Ganze ist zwar getrübt, dafür kommen Details viel stärker in den Blick: ein Strommast, ein Mensch mit Hund, ein Traktor, ein einzelner Baum, dann plötzlich ein Waldrand, Silhouetten einer Siedlung. Der Nebel hat seinen eigenen Zauber, trotz alledem. Das gilt auch im übertragenen Sinne.

 

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Unter dem Titel «Trotzdem dankbar» starten die Jesuiten eine «Dankbarkeitskampagne»  inmitten der zweiten Corona-Welle. Dankbarkeit als Antwort auf die Krise, trotz alledem. Momente der Dankbarkeit für sich persönlich festhalten, sich am Abend daran erinnern, Dankbarkeit teilen: eine dankbare spirituelle Übung für uns alle. Gerade in trüben, dunklen und schweren Tagen und somit ganz besonders für den bevorstehenden Advent mitten in der Pandemie. Schauen Sie mal rein und bestellen Sie ihr «Dankbarkeitspaket», gratis und franko. Nur einfach Danke sagen.

 

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«Trotzdem Licht» nennt sich eine ökumenische Aktion der Schweizer Kirchen, Weihnachten soll stattfinden, trotz alledem. Auch wenn Festgottesdienste, feierliche Chormusik und voll besetzte Kirchen zur Weihnachtsmette dieses Jahr nicht möglich sind, darf das Fest nicht ausfallen. Anregungen dazu für Pfarreien, Gruppen, Familien und Einzelpersonen ab Montag unter diesem Link. Lichter anzünden im Nebelmeer - in fester Hoffnung, dass bald auch wieder am Firmament die Sterne sichtbar werden.

 

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«Trotzdem bleiben» ist eine Grundhaltung, die wohl viele engagierte Kirchenmitglieder mit mir teilen. Nicht selten fällt das schwer, viel zu vielen zu schwer. Über 30'000 Menschen haben im letzten Jahr unsere Kirche verlassen, wie die neue Statistik aufzeigt. Gleich hoch ist die Austritts-Zahl von jungen Menschen, bedenklich die Zunahme bei Ü50-Jährigen. Nach dem Exodus der Jungen folgen nun die Eltern ihren Kindern. Wie kann man sie zum Bleiben bewegen? Wohl nur mit lebendiger, geschwisterlicher Kirche, mit Gemeinschaften, die Hoffnung, Trost und Zuversicht spüren lassen. «Die Kirchen müssen zeigen, dass sie hoffnungsrelevant sind», fasst Redaktionsleiter Raphael Rauch von kath.ch in seinem lesenswerten Kommentar zusammen.

 

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Im nördlichen Nachbarland versuchen die Verantwortlichen, auf einem «Synodalen Weg» raus aus der lähmenden innerkirchlichen Blockade, hin zu den Menschen zu gelangen. Hoffnungsvolle erste Schritte wurden gewagt.

 

Unterdessen schlägt aber vielerorts der klerikale Machtapparat zurück. Jüngstes Beispiel ist die Katholische Hochschulgemeinde Köln, deren Homepage von der Bistumsleitung gesperrt wurde. Grund: Sie publizierte ein Positionspapier zu Homosexualität, zu Partnerschaft und zu dringenden Reformen in der Kirche. Alles Themen, die für ihr junges Publikum längst selbstverständlich sind und die viele junge Menschen vor der offiziellen Kirche zurückschrecken lassen. Dafür müssen alle Angestellten der Hochschulgemeinde nun mit «personalrechtlichen Konsequenzen» rechnen. Unterstützung kommt von der evangelischen Hochschulgemeinde: Auf ihrer Homepage hat das Papier Gastrecht erhalten. In der gleichen Diözese wurde übrigens kürzlich auch der Katholische Frauenbund gemassregelt und finanziell abgestraft wegen ähnlicher «Unbotmässigkeit».

 

Der Machtapparat schlägt zurück. Doch über wen will er seine Macht eigentlich noch ausüben, wenn niemand mehr da ist? Die Beispiele zeigen drastisch, wohin es führt, wenn nötige Reformen über Jahre und Jahrzehnte verhindert und abgeklemmt werden. Ähnlichkeiten mit Vorgängen bei uns sind nicht rein zufällig.

 

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Trotz alledem tut sich auch was in der deutschen Kirchenleitung. Erstmals hat mit Franz-Josef Overbeck ein Bischof persönliche Schuld wegen Weiterbeschäftigung eines pädophilen Priesters eingestanden. In der Schweiz ist das noch nie vorgekommen.

 

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«Trotzdem hoffen» dürfen wir auch weiter auf einen Brückenbauer-Bischof im Bistum Chur. Ob die jüngsten Spekulationen des katholischen Medienportals nur Nebelpetarden sind oder ob wirklich was dran ist, sei dahingestellt. Jedenfalls mehren sich die Anzeichen, dass sich nach dem Personalwechsel in der päpstlichen Nuntiatur in Bern auf Ende Jahr langsam der Nebel lichtet.

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Im Nebel lässt sich viel entdecken. Teilen wir die Freude über das, was sichtbar wird, sind wir dankbar für alles, was möglich ist, wecken wir in uns die Lust auf Neues, das hinter der Nebelwand auf uns wartet. Trotz alledem. In meinem Kopf summt nun die Melodie eines Protestlieds aus der Zeit der Revolution von 1848 vom Dichter Ferdinand Freiligrath (übrigens schon damals durch die Kölner Zensur verboten). Eine Strophe möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

 

Und ob der Teufel reagiert

samt Huf und Horn und alledem!

Trotz alledem und alledem –

Trotz Dummheit, List und alledem!

Wir wissen doch: die Menschlichkeit

Behält den Sieg, trotz alledem!

 

Jeder Bezug zu aktuellen politischen Abstimmungsfragen ist nicht rein zufällig.

 

Ich wünsche ein erholsames Wochenende und hoffentlich immer auch ein paar Sonnenstrahlen im Nebelmeer.

 

Ihr Simon Spengler

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Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.