Kirche aktuell

Gedanken vor der Fastenzeit Null Bock auf Fasten

Leiter Ressort Pastoral
Rudolf Vögele

früherer Leiter Pastoral im Generalvikariat

Rudolf Vögele
Bald kommt die Fastenzeit – und alle Welt redet wieder davon, auf was man alles verzichten könnte. Rudolf Vögele ist ganz ehrlich: Er hat in diesem Jahr null Bock aufs Fasten! Denn er muss schon viel zu lange auf viel zu viel verzichten.
11. Februar 2021

Schon viel zu lange wird mir gerade berufsmässig ein sozusagen bischöflich verordnetes "Fasten" zugemutet. Eigentlich schon seit April 2017! Seitdem warte ich auf einen neuen Bischof. Nur mit viel Geduld und Trost, der mir gerade durch die Zusammenarbeit mit meinem damaligen Chef und Generalvikar Josef Annen gespendet wurde, habe ich dies ertragen. Aber seit Mai 2019 sind mir nun zu viele ‹alcuni mesi› ins Land gegangen, die wir auf einen versprochenen neuen Bischof warten müssen. Und seit November 2020, seit der verpatzten Wahl in Chur, ist immer noch nichts passiert.

Warum sieht Papst Franziskus nicht meine und unsere Not im Bistum? Die Entscheidungsblockaden, die Spaltung?
Ihm sind doch die Bedürftigen so wichtig – warum nicht auch wir? Diese Fastenzeit muss doch endlich mal ein Ende haben – und hoffentlich ein gutes!

Das auferlegte Beziehungsfasten

Ich sehe es ein, dass Kontakte wegen der Corona-Pandemie weitgehend vermieden werden sollen, zumindest der unmittelbare Kontakt. Und ich bin alles andere als ein «Querdenker»! Aber so langsam macht es mich mürbe, Menschen nicht mehr so begegnen zu dürfen, wie ich es gerne hätte. Es macht einfach einen Unterschied, ob ich mit ihnen digital chatte, telefoniere oder WhatsApp-Nachrichten teile – oder ob ich ihnen gegenübersitze, mit ihnen gemeinsam Kaffee oder ein Glas Wein trinke und mehr wahrnehme als nur die Stimme oder das Gesicht. Diese Art des Fastens fällt mir viel schwerer als der Verzicht auf Schokolade oder Linzertorten.

Freiheit im Fastenmodus

Wir haben noch viele Freiheiten im Gegensatz zu jenen, die in Frankreich beispielsweise gar nicht ihre Wohnungen verlassen durften oder die in Quarantäne leben müssen. In der Schweiz darf, wer will, sogar skifahren. Ich leide auch nicht darunter, nicht auf die Malediven oder sonst wo hin fliegen zu können. Und dennoch sind meine Freiheiten begrenzt, wenn Hotels, Restaurants, Theater, Kinos und viele andere Freizeitangebote geschlossen sind. Nur daheim oder in der näheren Umgebung, nur selbst kochen, nur fernsehen oder sich selbst bzw. die Familie beschäftigen: mit der Zeit kann auch das zermürben! Und strapazierte Eltern und Kinder gibt es zuhauf.

Nein, ich habe in diesem Jahr einfach keine Lust, auf noch mehr zu verzichten!

Sehnsucht nach Ostern

Ich sehne mich nach Ostern – vermutlich wie noch nie bisher! Aber – sorry – ich meine gar nicht das kirchliche Osterfest, dieses Jahr Anfang April. Ich denke viel mehr an das Fest der Auferweckung. Und das darf in diesem Jahr gerne auch schon früher stattfinden! Ich sehne mich danach, wieder all das zu dürfen, auf das ich schon so lange, wie oben beschrieben, verzichten muss: Klarheit, Sicherheit, Freiheit usw.

Ostern bekommt für mich eine neue Verstehensweise: wir feiern nicht nur einfach ein (kirchliches) Fest wie jedes Jahr, zwingen uns vielleicht sogar zu einem einigermassen fröhlichen Halleluja, sondern dürfen selbst wieder ‹auferstehen›.

So, wie wir an Weihnachten vielleicht das Fest der Liebe und des Friedens auch mal ohne Kirche und Gottesdienst erlebten und feierten, so dürfen wir jetzt vielleicht diese ‹Auferweckung› zu neuem Leben ganz anders in der Natur erleben und feiern.

Jesus lebt doch schon längst

Die meisten derer, die christlich getauft sind, wissen immer noch – auch wenn sich die Kirche schon lange von ihnen entfernt hat – was mit Ostern gemeint ist. Jesu Leiden und Sterben, sein Auferweckt-Werden und sein Erscheinen in ganz anderer Gestalt. Und viele wissen vielleicht auch noch, was er gesagt hat: «Was ihr einem meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan!» (Matthäus 25,40)

Dieser Jesus lebt – immer noch und immer wieder! Er leidet mit uns und zeigt sich uns in allen Leidenden. Also auch uns selbst, wenn wir in den Spiegel schauen! Aber er will es nicht beim Leiden belassen, sondern dass wir, entsprechend unserer Möglichkeiten, den Bedürftigen beistehen, sie trösten, pflegen, heil machen – also ihr Leben lebenswert schätzen. Wenn jeder und jede so seinen und ihren Beitrag leistet, wenn wir dabei selbst getröstet und gepflegt werden, Heil erfahren, dann geschieht die Auferweckung Jesu – in uns und durch uns und mitten unter uns.

Lasst Ostern werden – jetzt und immer wieder!

Ja, ihr lieben Kirchenleute – ganz oben in der Hierarchie und ganz unten an der Basis (oder umgekehrt? Ganz unten in der Hierarchie und ganz oben als Basis des Volkes Gottes): lasst Ostern werden! Erkennt die Bedürfnisse der Menschen – auch von euch selbst – und handelt, wie Jesus handeln würde. Denn dann handelt er in dieser Welt, durch euch, mit euch und in euch. Und er wird auferweckt und es ist Ostern – nicht nur Anfang April!