Kirche aktuell

Aller-Heiligen Heilig sind all die, die Gott suchen

Beauftragter des Generalvikars für die ökumenischen Seelsorgestellen
Martin Conrad

Martin Conrad ist Theologe und Spezialist für Liturgiewissenschaft. Neben seiner Tätigkeit für das Generalvikariat Zürich-Glarus wirkt er als Seelsorger in der Pfarrei St. Peter und Paul, Zürich.

Martin Conrad
Das Fest Allerheiligen hat im Alltag der Menschen viel von seiner früheren Bedeutung verloren. Der Theologe Martin Conrad erklärt, warum ihm Allerheiligen im wahrsten Sinn des Wortes heilig ist und bleibt: weil es uns alle meint.
29. Oktober 2025

Ich bekenne: Der Begriff «heilig» ist mir heilig. Wenn ich Gott als «heilig» bezeichne, dann sage ich damit in jüdischer Übersetzung und Tradition, dass er «kadosch» ist, nicht von dieser Welt, getrennt von all unserer Vorstellung von ihm, anders als all unsere Bilder und Konzepte. Gott der Heilige ist Gott der ganz Andere. Diese Meditation, dass Gott anders ist als all unser Denken über ihn, ist ein gutes Mittel gegen eine politische, religiöse oder sonstwie ideologische Vereinnahmung Gottes. Die alte theologische Rede von der Analogie hatte genau dieses Anliegen: Natürlich können wir aufgrund des Zeugnisses der Bibel und der Tradition und aufgrund von Erfahrungen etwas über Gott sagen, aber alles, was wir sagen, ist «analog», ist Gott «nur» ähnlich in einer je grösseren Unähnlichkeit.

Heiliges und Profanes: streng getrennt und eng zusammen

Wie kann ich aber nun sagen, dass es heilige Orte, heilige Zeichen und erst recht heilige Menschen gibt? Wenn Gott doch der ganz Andere ist? Da kommt mir eine gute alte katholische Haltung zu Hilfe, die in der heutigen Zeit, auch in der Kirche, allzu oft vergessen wird: Es gibt nicht nur ein entweder oder, sondern auch ein sowohl als auch. Auch wenn das Göttliche, das Sakrale, das Heilige zunächst einmal streng getrennt ist vom Weltlichen, Irdischen, Profanen, dann heisst das nicht, dass es keine Berührungen und Überschneidungen gibt. Die Bewegung geht dabei zunächst einmal von Gott aus. Um es in Bildern auszudrücken (mit der je grösseren Unähnlichkeit): Der unendlich unterschiedene Gott wollte und will nicht «in Fernen wohnen».

Er wendet sich seit Beginn der Schöpfung seiner Schöpfung zu, tritt in Kontakt zu ihr, wirkt an Menschen und durch Menschen, kommuniziert mit ihnen. Nicht nur der Himmel, die Gott eigene Sphäre, ist erfüllt von ihm, sondern auch die Erde. Er, der ganze Andere, ist in allem, was ist. Diese Nähe Gottes zu seiner Schöpfung realisiert und konkretisiert sich dann, wie die Theologie sagt, auf unüberbietbare Weise in Jesus Christus. Da tritt der ganz Andere als einer von uns in die Welt und die Geschichte ein und macht uns deutlich, dass das Heilige und Profane nicht nur radikal getrennt, sondern gleichzeitig auch sehr eng zusammen sein können.

Es gibt heilige Menschen

Weil also Begegnung mit Gott möglich ist, für uns Christinnen und Christen durch und in Christus, können wir zu bestimmten Zeiten, die wir mit Gott in Beziehung setzen, für ihn reservieren oder die uns näher zu Gott bringen, sagen, dass sie «heilig» sind. Wir können bestimmte Zeichen als «heilig» bezeichnen, weil sie uns Gottes Gegenwart in der Welt sinnenhaft erfahrbar machen, wie z.B. Brot und Wein in der Eucharistie, die Zusage der Vergebung in der Beichte oder die Handauflegung bei einem Segen.

Und wir können Menschen als «heilig» bezeichnen, von denen wir der Überzeugung sind, dass sie in einer besonderen Beziehung und Nähe zu Gott lebten und von denen wir glauben, dass sie deshalb auch nach ihrer irdischen Existenz in der Nähe Gottes bleiben und dort leben. Wir können Menschen als heilig bezeichnen, die uns Wege zu Gott aufzeigen und uns Beispiele für geglücktes, gutes und verantwortetes Leben vor Gott geben. Wir können Menschen als heilig bezeichnen, an die wir uns in unseren Anliegen und Nöten wenden, weil wir glauben, dass sie bei Gott und mit ihm leben und bei ihm «Fürsprache» halten.

«Aller» bei Allerheiligen betonen

Mir ist das Fest Allerheiligen, das wir am 1. November feiern, wichtig, weil wir dann feiern, dass das ganz Andere Gottes immer wieder in unserer Welt, in unserer Geschichte, im Leben so manches Menschen, aufscheint und uns so mit ihm, Gott verbindet. Und ich betone für mich immer das «Aller» bei Allerheiligen, denn es erinnert mich daran, dass es nicht der Papst ist, der entscheidet, ob jemand heilig in diesem Sinn ist.

Er erlaubt höchstens die öffentliche Verehrung eines Menschen als Heilige oder Heiliger. Heilig sind all die, die Gott suchen, nach ihm fragen, sich ihm anvertrauen, ihr Leben an seinem Willen, wie wir ihn durch die vielen Geschichten Jesu erahnen, ausrichten. In diesem Sinn gehört zu «allen Heiligen» vielleicht auch jemand ganz aus unserer Nähe – und vielleicht sogar wir selbst.