Kirche aktuell

Asylpolitik Umfassender Schutz statt Ohnmacht

FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration
Doro Winkler
Doro Winkler
Opfer von Menschenhandel im Asylbereich erhalten nur eingeschränkt Zugang zum Opferschutz. Das möchte die Zürcher Fachstelle Frauenhandel FIZ ändern, finanziell unterstützt von den Kirchen. Doro Winkler von der FIZ erklärt, warum.
06. Oktober 2019

Kennen Sie das Gefühl, einem Menschen in Not helfen zu wollen, aber es sind Ihnen die Hände gebunden? Dieses Gefühl der Ohnmacht? Obwohl Sie wissen, was der Mensch bräuchte, können Sie es ihm nicht geben?

Unseren Beraterinnen geht es regelmässig so. Dann, wenn sie eine geflüchtete Frau vor sich haben, in deren Augen, Erzählungen und Auslassungen sichtbar wird, was sie an Gewalt und Schrecken erlebt hat. Auf der Reise, in Libyen, auf dem Meer, aber auch in Italien, Frankreich oder Portugal. Dort, wo sie nach all den Strapazen der Reise auch noch sexuell ausgebeutet wurde, als Opfer von Menschenhandel.

Sichere Schweiz? 

Wenn diese geflüchteten Frauen endlich die Schweiz erreicht haben, hoffen sie auf Schutz. Sie brauchen Ruhe, Stabilität, Unterstützung, spezialisierte Betreuung und eine sichere Unterkunft. Doch wenn die Frauen keinen „Tatort Schweiz“ vorweisen können, also nicht auch hier in der Schweiz ausgebeutet wurden, finden sie hier kaum Schutz. Vielmehr werden sie als „Dublin-Fälle“ behandelt und müssen in kurzer Zeit in das Ersteinreiseland zurückkehren. In das Land, in dem sie Opfer von Menschenhandel wurden. Gerade gestern sind wir wieder mit einer solchen Situation konfrontiert worden: Lilia, die abgeschoben werden soll. Sie bricht zusammen, als ihr eröffnet wird, dass sie trotz eingereichter Beschwerde nach Italien zurückkehren muss. Ihre Beraterin wie auch die Rechtsvertreterin befürchten stark, dass sie sich etwas antun könnte. Doch das reicht noch nicht, um eine Rückschaffung nach Italien zu verhindern.

Handlungsbedarf beim Opferschutz 

Seit einigen Jahren ist die FIZ mit diesen schweren Fällen von Menschenhandel im Asylbereich konfrontiert. Wegen der harten Haltung der Schweiz (sie ist im europäischen Vergleich die „Effizienteste“ in Sachen Dublin-Rückführungen) und dem fehlenden Opferschutz war dringlicher Handlungsbedarf angesagt: Nach einem Pilotprojekt konnte die FIZ 2019, dank der finanziellen Unterstützung der katholischen und der evangelischen Landeskirche, das Projekt „Umfassender Schutz für Opfer von Menschenhandel im Asylbereich“ starten.

Der Titel drückt unsere Vision aus: Wir wollen umfassend schützen. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg mit vielen Stolpersteinen.

Falls die asylsuchende Frau im Ausland ausgebeutet wurde, sind wie erwähnt viele Hürden zu überwinden: So wird die spezialisierte Beratung und Unterkunft in der FIZ Schutzwohnung bisher nicht finanziert. Weil das Opferhilfegesetz hier eine Lücke hat. Ausserdem werden die Betroffenen als Dublin-Fälle im beschleunigten Verfahren in diejenigen Länder zurückgeführt, in welchen sie ausgebeutet wurden oder für das die Täter ihnen ein Schengen-Visum organisiert haben. Die Schweiz tritt gar nicht erst auf ihr Asylgesuch ein, wenn sich nicht jemand lautstark für sie einsetzt. Das tut die FIZ, zusammen mit den RechtsvertreterInnen, die jeder asylsuchenden Person gemäss neuem Asylgesetz zur Seite gestellt werden. Auch auf institutioneller Ebene suchen wir nach Lösungen: In Arbeitsgruppen mit den Behörden versuchen wir, die Lücken im Gesetz zu füllen, damit alle Opfer in der Schweiz geschützt werden, egal wo sie ausgebeutet wurden. Wie dies die Europaratskonvention gegen Menschenhandel von den Ländern verlangt.

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Foto: Sabine Rock

Im Rahmen des Projekts haben zwischen Januar und August 2019 bereits 70 Kontaktnahmen stattgefunden: Darunter sind 48 Opfer von Menschenhandel, die als Asylsuchende in der Schweiz Schutz suchen. Sie werden von der FIZ nun längerfristig betreut und darin unterstützt, ihre Rechte durchzusetzen. Die anderen 22 Anfragen sind von Stellen aus dem Asylbereich, die sich über ein mögliches gemeinsames Vorgehen informieren, sowie anonyme Anfragen von potentiellen Opfern.

Mit diesem Projekt können wir nicht nur Betroffene besser unterstützen, sondern auch unseren Ohnmachtsgefühlen entgegentreten und aktiv an den nötigen strukturellen Veränderungen mitwirken.