Kirche aktuell

Theologische Hochschule Chur würdigt Leo Karrer Pionier, Kämpfer und Herzensmensch

Pionier, Kämpfer und Herzensmensch: Diese drei Stichworte werden in Manfred Belok, dem Pastoraltheologen der Theologischen Hochschule Chur, lebendig, wenn er an Leo Karrer denkt.
11. Januar 2021 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Leo Karrer war Anwalt und erster Mentor für die «Laien»theologinnen und «Laien»theologen an der Universität Münster. Begegnet bin ich ihm zum ersten Mal 1977 als Student der Theologie in Münster. Nach seiner Zeit als Wissenschaftlicher Assistent bei Karl Rahner (1967-1969) wurde Leo Karrer für gut zehn Jahre (1969-1978) der erste Mentor für die sogenannten «Laien»theologinnen und -theologen an der Universität Münster und zusätzlich der erste Assistent einer Personalpfarrei, der Katholischen Hochschulgemeinde. Später kam die Aufgabe des Referenten für die Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten im Bistum Münster hinzu (1972-1978). In dieser Zeit war er in der «Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland» (1972-1975) unter anderem Mitglied der Kommission VII: «Dienste, Ämter, Charismen».

Der Pionier

Leo Karrer hat der Frage nach der Bedeutung und dem Stellenwert theologisch gut ausgebildeter Frauen und Männer in der Katholischen Kirche entscheidende Impulse gegeben.

Er erkannte die Möglichkeit eines charismen-orientierten Einsatzes dieses geistgewirkten Potentials an Frauen und Männern im Volk Gottes und gilt daher zu Recht als Nestor der «Laien»theologinnen und Laienthologen.

Ihm ging es nicht um Eigeninteressen eines Standes in der Kirche, etwa «Laien» gegen «Kleriker». In der Gewissheit von Psalm 100 («Freut euch, wir sind Gottes Volk, erwählt durch seine Gnade!») suchte er vielmehr danach, die Würde aller Getauften zu stärken.

Unermüdlich fragte er:

  • Welche Dienste und Ämter braucht das Volk Gottes, um auf dem Weg durch die Zeit zu bleiben, unterwegs nicht zu ermüden und nicht aufzugeben?
  • Und mit welchen Menschen beschenkt uns Gott bereits?

Wenn man/frau so fragt, dann ist die Frage, ob Frau oder Mann, ob jung oder alt, ob haupt- oder teilberuflich oder ehrenamtlich völlig sekundär.

Leo Karrer erkannte «die Stunde der Laien»[1] und sein Heimatbistum Basel vertraute ihm die Aufgabe des Bischöflichen Personalassistenten für den Einsatz von Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten an. So half er mit, dass diese in den Pfarreien und darüber hinaus als Theologinnen und Theologen, als Seelsorgerinnen und Seelsorger wahrgenommen werden, Profil gewinnen und breite Akzeptanz finden konnten. Diese Stelle verliess er, als er auf die Professur für Pastoraltheologie an die Universität Fribourg (1982-2008) berufen wurde.

Der Kämpfer

Wiedergesehen habe ich Leo Karrer nach seinem Weggang aus Münster erst 1991 im Beirat der «Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologinnen und -theologen», der heutigen «AG Pastoraltheologie», deren inspirator er war.

Von 1993-2001 war er unser Vorsitzender. Ihn trieb die Mutlosigkeit in der Kirche um. So schrieb er 1994:

«Ich vermisse an uns in der Kirche am meisten so etwas wie eine religiöse Glut, das Feuer, und den praktischen Mut, Fehler zu riskieren beim unwahr-scheinlichen Wagnis, mit ‹Menschen guten Willens› unverdrossen um eine humanere Welt und Zukunft bemüht zu sein und dafür zu kämpfen».[2]

Immer wieder rief er dazu auf, sich stärker in gesellschaftliche Grundsatzdebatten und innerkirchliche Auseinandersetzungen einzumischen, «auch wenn die ‹konziliare Naherwartung› ausbleibt»[3]. Er selbst tat dies engagiert bis zu seinem Tode. So z.B. als Mitglied der berühmt-berüchtigten «Fünferbande», wie er sowie Ottmar Fuchs, Norbert Greinacher, Norbert Mette und Hermann Steinkamp sich selbst gerne bezeichneten. Sie benannten 1992 den bereits lange vorher absehbaren – und zudem hausgemachten – «pastoralen Notstand» und forderten notwendige Reformen für eine zukunftsfähige Kirche[4]. Darauf verweise ich stets, wenn mir bisweilen von einzelnen Bischöfen im Hinblick auf die scheinbare Ausweglosigkeit der Kirchenkrise gesagt wird, «die Pastoraltheologen haben es ja auch nicht gebracht». Im Gegenteil:

Konstruktive Ideen und konkrete Vorschläge lagen und liegen längst vor – auch dank Leo Karrer – aber sie wurden und werden vom kirchlichen Leitungs- und Hirtenamt bisher nicht aufgenommen.

Der Herzensmensch

Besser kennengelernt habe ich Leo Karrer, seit ich 2003 an die Theologische Hochschule Chur berufen wurde. Sogleich lud er mich als Kollege im selben Fach zu einem Gastvortrag an die Uni Fribourg ein. Seitdem ist das Gespräch miteinander, sei es in Fribourg, sei es in der «AG Praktische Theologie Schweiz», sei es in vielen Telefonaten, nie verstummt.

An Leo Karrer habe ich immer bewundert, dass er in helvetischem Freimut Desiderate in unserer Kirche beim Namen nannte und dabei Klartext sprach. Zugleich lebte er durch seine ihm geradezu angeborene Menschenfreundlichkeit eine Streitkultur vor, die Andersdenkende nie ausgrenzte oder gar zu Feinden werden liess, sondern sie immer wieder gewinnend einlud zum Dialog über alle strittigen Fragen und Themen.

Für diese Grundhaltung und Lebenspraxis wurde ihm zu Recht u.a. der Herbert-Haag-Preis 2009 verliehen, der Menschen ehrt, «die sich für Freiheit und Menschlichkeit innerhalb der Kirche einsetzen». Ihm ging es um die Glaubwürdigkeit der Kirche und die Würde der Glaubenden[5], wie es der Titel der Festschrift zu seinem 75. Geburtstag treffend ausdrückte.

Leo Karrer war ein Pionier und Wegbereiter für Laien und «Laien»theologinnen und «Laien»theologen sowie ein unermüdlicher Anwalt von Synodalität und Partizipation. Viele in der Kirche Schweiz und im deutschsprachigen Raum haben ihn deswegen gekannt und geschätzt. Nun ist er mit 83 Jahren gestorben. Ein Mensch mit einem grossen Herzen und weitem Horizont – er hat verdient, jetzt an höherer Stelle pastoraltheologischer Berater zu sein.

 

Manfred Belok, ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Theologischen Hochschule Chur und Präsident der AG Praktische Theologie Schweiz. 

 

Hinweis: Ausführliche Würdigungen von Leo Karrer finden sich auf kath.ch, u.a. von

  • Norbert Mette, emeritierter Professor für Praktische Theologie der Universität Dortmund.
  • Mariano Delgado, Dekan der Theologischen Fakultät Freiburg und Professor für Kirchengeschichte
  • Stephanie Klein, Professorin für Pastoraltheologie an der Uni Luzern
  • Josef Sayer, ehem. Professor für Pastoraltheologie in Freiburg.

 

[1] Leo Karrer: Die Stunde der Laien: Von der Würde eines namenlosen Standes. Freiburg i. Br. 1999.

[2] Leo Karrer: Wandle vor mir und werde ganz. Warum ich mit dem alten Gott noch nicht gebrochen habe. In: Vreni Merz (Hg.): Alter Gott für neue Kinder? Das traditionelle Gottesbild und die nachwachsende Generation. Fribourg i. Üe. 1994, 158-173, 172.

[3] Leo Karrer: Hören – und warten? Was tun, wenn die «konziliare Naherwartung» ausbleibt? In: Diakonia 32 (2001), 35-40.

[4] Vgl. Ottmar Fuchs, Norbert Greinacher, Leo Karrer, Norbert Mette, Hermann Steinkamp: Der pastorale Notstand. Notwendige Reformen für eine zukunftsfähige Kirche. Düsseldorf 1992.

[5] Vgl. Michael Felder/Jörg Schwaratzki (Hg.): Glaubwürdigkeit der Kirche. Würde der Glaubenden. Freiburg i. Br. 2012.