Kirche aktuell

Diakonie-Tag im Grossmünster «Es geht um's solidarische Zupacken»

Gut 50 Personen trafen sich am Martinstag, 11. November, zum Diakonie-Tag im Zürcher Grossmünster. Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Religion debattierten über die Corona-Krise und ihre Folgen - kulturell eingebettet von Gesang, Sprachakrobatik und einem Tanz-Film.
25. November 2021 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Die von der Publizistin Esther Girsberger moderierte Diskussion des weltlichen Panels zeigte klar: Alle sind sich einig, dass es keine Alternative zum Zertifikat gibt. So zeigte sich die Rigiblick-Wirtin Vreni Giger erleichtert, dass mit dem Zertifikat die Gästezahlen wieder stark ansteigen würden, auch wenn dies auf dem Land weniger der Fall sei. Ihr grösstes Problem sei die Suche nach Personal. Auch Christian Jenny, Kulturunternehmer, Tenor und Gemeindepräsident von St. Moritz, bestätigt Rekordbuchungen in den Oberengadiner Hotels und den Mangel an Fachkräften gerade in der Gastronomie. Die Zertifikationspflicht sei kein Problem.

2G würde einer Zwangsmassnahme gleichkommen

Während sich Gemeindepräsident Jenny sehr lobend  über staatliche Stellen äusserte, die sich grösste Mühe gegeben hätten, hätte sich Wirtin Giger gerne etwas weniger Bürokratie und rascheres Handeln gewünscht. Regierungsrat Ernst Stocker zeigte sich sehr betroffen ob all der vielen Notrufe und persönlichen Schicksale, die auch ihn erreicht haben. Er sei überzeugt, dass es noch etwas Zeit brauche beim Zertifikat, dass an ihm aber nichts vorbeiführe. Keine Alternative sieht er (und auch Giger) hingegen in einem Strategie-Wechsel hin zu G2, was faktisch einem Ausschluss nicht geimpfter Personen vom öffentlichen Leben und bei Arbeitsplätzen bedeuten würde respektive einer Zwangsmassnahme gleichkomme.

Der Zürcher Finanzdirektor stellt unumwunden fest, dass wir es in der Schweiz bisher gut über die Runden geschafft haben. Dem Kanton Zürich gehe es gut. Jenny sieht die Sache gleich: «Wir sind verdammt gut durch die Krise gekommen.» Aber nun liege es an uns:

«Rappelt euch auf, verlasst Sofa und Netflix und geht ins Kino, ins Theater, raus. Denn Kultur funktioniert doch eigentlich nur in der Gemeinschaft.»

Und Giger wünscht sich für die Zukunft, dass wir gemeinsam vorausschauend und besonnen vorwärtsgehen.

 

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Interreligiöses Panel am Diakonie-Tag im Grossmünster: Esther Girsberger, Moderation;  Michel Müller, reformierter Kirchenratspräsident; Rita Inderbitzin, katholische Co-Stellenleiterin Bahnhofkirche Zürich; Sakib Halilovic, Imam und Noam Hertig, Rabbiner ICZ (von links)

 

Weiterhin soziale Nähe ermöglichen

Wenn Gemeinschaft nicht mehr möglich ist, trifft dies auch die Religionen. Dies bestätigten alle Akteure des interreligiösen Podiums. In der Pandemie sei das Gemeinsame, das Tragende für viele Menschen weggebrochen, hat Rita Inderbitzin, Co-Leiterin der Bahnhofkirche, beobachtet. Gerade an Weihnachten hätten bedürftige Menschen die Abgabe von Essenspaketen zwar nett gefunden. Was sie tatsächlich bräuchten, sei, in diesen Tagen nicht allein zu sein. Viele Seelsorgende und Freiwillige hätten in Heimen, Spitälern, Gefängnissen und bei Alleinstehenden dafür gesorgt, dass weniger Menschen einsam blieben. Als Christen haben wir die Aufgabe, fürsorglich zu sein, «es geht um's solidarische Zupacken». Die grosse Herausforderung der Pandemie sei gewesen, sagte der Rabbiner Noam Hertig, trotz physischer Distanz weiterhin soziale Nähe zu ermöglichen.

«Die Massnahmen haben das religiöse Leben stark eingeschränkt und kreatives Handeln verlangt. Von dieser Kreativität profitieren wir weiterhin.»

Er und auch der Imam Sakib Halilovic betonten, dass dem Schutz des Lebens auch aus religiöser Perspektive eine wichtige Rolle zukomme. Dementsprechend hätten sich auch orthodoxe Gemeinschaften an die Massnahmen gehalten und zum ersten Mal hätten die muslimischen Gemeinden die Menschen nicht mehr in die Moscheen eingeladen, sondern zum Gebet zu Hause aufgerufen.

Verhärtung auch in den Religionen

Im Einklang mit den anderen betonte Michel Müller, Kirchenratspräsident der reformierten Landeskirche, die Rolle der Kirchen und Religionen: «Wir müssen den Menschen zuhören und für sie da sein, selbst wenn das in einer aufgeheizten Atmosphäre schwer fällt.» Auf die Frage von Esther Girsberger, warum man von den Repräsentantinnen und Repräsentanten der Kirchen zu Corona in der Öffentlichkeit und in den Debatten der breiten Medien kaum je etwas gehört habe, antwortete Michel Müller verblüfft:

«Wir Kirchen wurden schlicht nicht gefragt.»

Mit Besorgnis stellt er zudem fest: «Wir müssen aufpassen, dass wir von einer Gesellschaft, die zu Beginn der Pandemie den Schutz der Schwachen im Blick hatte, nicht zu einer Gesellschaft werden, in der die Menschen nur noch an sich und die Einschränkung ihrer individuellen Freiheiten denken.» Die Debatte habe sich mit der Einführung der Zertifikationspflicht auch innerhalb der Religionen verhärtet.

Film «Ver_Luscht: Es Nahtänke über Corona in Bild, Tanz und Wort»

Bilder, Worte und Tanz

Hatte Vera Kaa zu Beginn des Anlasses mit ihrem Auftritt etwas Wärme ins klamme Grossmünster gesungen, protokollierte die Bühnenpoetin Petti Basler die beiden Podiumsgespräche mit ihrer unverkennbar witzig-spitzen Sprachakrobatik. Und zu guter Letzt hatte noch der Film «Ver_Luscht: Es Nahtänke über Corona in Bild, Tanz und Wort» von Tina Mantel und Raphael Zürcher seine Ur-Aufführung. Das Werk entstand auf Initiative des Corona-Manifests der Zürcher Kirchen und wurde vom Sozialamt der Stadt Zürich finanziert. Es wird in den Katalog von Relimedia aufgenommen und steht dann Kirchgemeinden und Pfarreien an Veranstaltungen und in der Erwachsenenbildung als Impuls für Diskussionen über die Pandemie kostenlos zur Verfügung. Im Film kommen Menschen zu Wort, die an Covid-19 erkrankt sind. Ein Tänzer und eine Tänzerin setzen die auftauchenden Motive in einprägsame Bilder um.

Kernanliegen des Manifests bleiben

Der Diakonie-Tag geht auf den Martinitag 2020 zurück. Damals riefen die Stadtzürcher Kirchen vor dem Hintergrund der Pandemie und mit Blick auf Advent, Weihnachten und das neue Jahr zur diakonischen Tapferkeit auf und unterschrieben ein ökumenisches Corona-Manifest. Der Initiator des Corona-Manifests und des Diakonie-Tags, Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist: «Das Manifest ist Geschichte, bleibt aber höchst aktuell.»