Vom Klimawandel zum Klima wandeln
Martin Werlen, ehemaliger Abt des Klosters Einsiedeln, hielt Ende Juni im Kloster Fahr an einer ökumenischen Impulsveranstaltung für Kirchgemeinden ein flammendes Statement für eine nachhaltige Kirche. Die wichtigsten Gedanken hält er in diesem Beitrag fest.
Klimawandel ist ein negativ besetztes Wort. Herausfordernder ist: Klima wandeln. Wir sind herausgefordert, unser Klima zu wandeln – aus Sorge für unser gemeinsames Haus.
Getaufte erheben ihre Stimme nicht aus parteipolitischen Gründen, sondern im dankbaren Bewusstsein, dass das Leben ihnen anvertraut ist.
Diese Grundhaltung hat Konsequenzen. Wir selbst sind uns anvertraut. Die Mitmenschen sind uns anvertraut. Die Schöpfung ist uns anvertraut. Wir tragen Verantwortung. Sie wahrzunehmen oder nicht wahrzunehmen ist nicht eine politische Option, sondern Glaubenszeugnis.
Interesselosigkeit wiegt schwerer als Ausstieg aus Vereinbarung
In den vergangenen Monaten war das Pariser Übereinkommen immer wieder Thema. Dabei geht oft vergessen: Das Problem ist nicht der Ausstieg aus einer Vereinbarung, das Problem ist der Ausstieg aus der Verantwortung. Und dieser letzte Ausstieg ist verbreiteter und wird kaum diskutiert. Papst Franziskus hat ihn in seiner Enzyklika Monate vor dem Pariser Abkommen in aller Klarheit angesprochen:
«Leider pflegen viele Anstrengungen, konkrete Lösungen für die Umweltkrise zu suchen, vergeblich zu sein, nicht allein wegen der Ablehnung der Machthaber, sondern auch wegen der Interesselosigkeit der anderen. Die Haltungen, welche – selbst unter den Gläubigen – die Lösungswege blockieren, reichen von der Leugnung des Problems bis zur Gleichgültigkeit, zur bequemen Resignation oder zum blinden Vertrauen auf die technischen Lösungen. Wir brauchen eine neue universale Solidarität.»
Entdecken der Bescheidenheit
Wenn wir unsere Verantwortung in Liebe zur Schöpfung wahrnehmen, wird das einiges in unserem Leben in Bewegung bringen: Abschied vom Egoismus, von Überheblichkeit und Arroganz. Die Bescheidenheit neu entdecken. Das spricht Papst Franziskus eingangs der Enzyklika an:
«Diese Schwester Erde schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat. Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern.»
Wir können das Klima wandeln!
Hören wir endlich diesen Aufruf zur Verantwortung als Getaufte! Er geht uns ganz persönlich an. Nur wenn wir persönlich unsere Verantwortung wahrnehmen, können wir auch andere auf diesen Weg mitnehmen. Das beginnt mit kleinen Schritten: Nicht allein im Auto herumfahren; Vermeidung unnötigen Gebrauchs von Plastik und Papier; nur so viel kochen, wie man massvoll essen kann usw. Das Schreiben «Laudato si» ist Ansporn, unsere Verantwortung wahrzunehmen. Wir können das Klima wandeln!
Pater Martin Werlen (55) aus Obergesteln im Goms lebt seit 1983 im Benediktinerkloster Einsiedeln. Zwischen 2001 und 2013 war er Abt des Klosters und Mitglied der Bischofskonferenz. Heute ist er Novizenmeister und Lehrer an der Stiftschule.
Die Enzyklika "Laudato si" beinhaltet gewiss sehr viele anspornende und äusserst wertvolle Gedanken. Jedoch nicht alles möchte ich tel quel übernehmen. Ich glaube keineswegs, dass wir z.B. im Gedanken aufgewachsen sind, Eigentümer des Planets Erde zu sein, den wir ausplündern dürfen. Bereits vor Jahrzehnten herrschte nicht dieses Denken, zumindest nicht hierzulande.
Das Problem scheint vielmehr zu sein, dass im Zuge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts eine Euphorie der Machbarkeit entstand, die anfänglich viel zu wenig das Bewusstsein der ökologischen Implikationen dieses Prozesses mitentfaltete. Erst als die Wissenschaft selber aufmerksam wurde und aufzuzeigen begann, wie problematisch gewisse Entwicklungen sein können, entstand das Bewusstsein um die ökologische Sensibilität. In Bereichen, wo der Mensch 1:1 diese Sensibilität erleben konnte, war dieses Bewusstsein bereits vor Jahrhunderten entwickelt und es wurden Massnahmen getroffen. Als Beispiel möge die Waldbewirtschaftung in den Alpen dienen.
Nein, Herr Werlen, ich widerspreche Ihnen. Die durchschnittlichen Menschen wissen sehr wohl mit Verantwortung jeglicher Art umzugehen, nicht weniger als staatliche oder kirchliche Entscheidungsträger. Und sie haben sich keineswegs aus der Verantwortung abgemeldet. Es ist gewiss nicht so, dass die grosse Masse völlige Interesselosigkeit gegenüber ökologischen Fehlentwicklungen bekunden und sich damit abfinden würde.
Mich erinnert es immer ein wenig an althergebrachte stereotypische, Schuldgefühle eintrichternde Argumentationsweisen seitens der Kirche: Die durchschnittlichen Menschn verharren sündhaft in ihren festverwurzelten Egoismen und ihrer Arroganz, sodass man sie wachrütteln muss und ihnen die Leviten verlesen muss.
Mir scheint, trotz der je eigenen Neigung zu Bequemlichkeit und Egozentrik nimmt sich zumeist die Alltagswirklichkeit halt doch viel komplizierter aus, derart, dass der Handlungsspielraum vieler Menschen viel kleiner ist, selbst wenn man sich Mühe gibt, nicht einer verheerenden Lethargie zu verfallen.
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