Kirche aktuell

Alles Lehrplan oder was?

Alles Lehrplan oder was?
David Wakefield
David Wakefield
18. August 2014

Seit dem Frühjahr sind Weihnachten und Ostern wieder drin im Lehrplan 21. Zur Erleichterung der einen, zum Missfallen der anderen. Unabhängig von der Frage, wie viel Religion in welcher Form ein staatlicher Lehrplan für die gesamte Deutschschweiz verträgt, ist kaum etwas in der Bildungslandschaft Schweiz derart umstritten wie der Lehrplan 21. Gerade erst hat der Aargau entschieden, den neuen Lehrplan nicht vor dem Schuljahr 2020/21 einzuführen. Die Nörgelnden sind wie so oft lauter als die Befürwortenden. Zu Unrecht. Meine Meinung zum Lehrplan 21.

 

Alle haben eine Meinung

Veränderungen haben es schwer. Bei den meisten Neuerungen sind diejenigen am lautesten, die anderer Meinung sind, ihre Sicht für die ganze Sicht halten und oftmals gegen jegliche Veränderung sind. Dabei wird gerne auf die „gute alte Zeit“ verwiesen. In der Kirche gibt es diese ‚Tradition’ ebenfalls: „Es war schon immer so.“ Ein Satz, den man häufig hört und bei dem ich stets versucht bin zu sagen: „Stimmt, schon Jesus sagte das damals.“ Beim Lehrplan 21 kommt hinzu, dass es sich um eine bildungspolitische Frage handelt und alle, die sich auf Grund eigener Kinder oder der eigenen Kindheit für ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen halten, sich bemüssigt fühlen ihre Meinung zur Diskussion Kund zu tun. Dabei wird meist mehr über als mit denjenigen gesprochen, die es in erster Linie betrifft: Die Kinder, Jugendlichen und Lehrpersonen. Die Meinungen sind schnell gemacht. Und das oftmals ohne die Vernehmlassungs-Version des Lehrplans überhaupt gelesen zu haben.

 

Religion im Lehrplan 21: Weihnachten oder Nicht-Weihnachten

Besonderer Streitpunkt in der Debatte um den Lehrplan 21 ist die Frage, wie viel Platz Religion bekommt und welcher Ansatz verfolgt wird. Die geäusserte Kritik ist dabei kontrovers. Während die einen immer noch zu viel religiöse Indoktrination durch potentiell vereinnahmende Lehrpersonen befürchten und Religion lieber als Teil des Geschichtsunterrichts sähen, in dem dann auf die Verfehlungen religiöser Gemeinschaften hinzuweisen ist, oder als Fach ersetzt durch ein „neutrales Fach Ethik“ (was in sich schon einen Widerspruch darstellt), sehen die anderen im Lehrplan 21 das untergehende christliche Abendland aufziehen, weil das Christentum den privilegierten Status verliert und Weihnachten nicht mehr im Lehrplan erwähnt wird. Dabei übersehen beide Seiten das Wesentliche des neuen Lehrplans: die Kompetenzorientierung. Diese stellt gerade nicht einzelne Inhalte in den Fokus und fragt, wie diese möglichst adressatengerecht vermittelt werden können, zielt auch nicht auf ein persönliches Bekenntnis ab, sondern stellt die Kompetenzen in den Vordergrund, die erforderlich sind um sich in der Welt zu orientieren und in ihr zu Handeln. Mit Blick auf die Lernenden wählen die Lehrenden nun diejenigen Inhalte aus, die am besten geeignet scheinen, um vorhandene Kompetenzen weiter zu entwickeln. Das sagt zunächst einmal weder etwas über Weinachten noch über Nicht-Weihnachten aus, sondern darüber, dass Lernen heute nicht mehr blosses Auswendiglernen von Sachverhalten ist. Dass Weihnachten nun wieder im Lehrplan vorkommt, mag die einen freuen und die anderen ärgern; letztlich ist es aber ein zu vernachlässigendes Detail.

 

Das richtige Mass

Religion hätte auch aus dem Lehrplan 21 rausfliegen können. Schaut man sich die hohen Ansprüche an die Lernenden und die Fülle an möglichen Lerngegenständen und Kompetenzen an, ist es nicht selbstverständlich, dass Religion einen Platz erhalten hat. Die Angliederung an Ethik und Gemeinschaft kann auch als eine Aufwertung für den Bereich Religion gesehen werden: eingebunden als ordentliches Fach, nicht als seltsames Sonderkonstrukt. Konsequent, dass das Fach in staatliche Trägerschaft gehört, auf Bildung abzielt, durch Lehrpersonen mit Lehrdiplom erteilt wird.

 

Autorenschaft

Bei all der Kritik wird zudem übersehen, dass der Lehrplan 21 von ausgewiesenen Fachpersonen ausgearbeitet und durch kundige Kommissionen begleitet wurde und wird. Autorinnen und Autoren, die sowohl didaktisch als auch inhaltlich auf der Höhe der Zeit sind, haben viel Zeit und Energie in die Abfassung investiert. Für den Teilbereich ‚Ethik-Religionen-Gemeinschaft‘ leisten dies Thomas Del Bon, Dominik Helbling und Johannes Rudolf Kilchsperger. Ihnen gebührt Anerkennung und Dank aber auch Vertrauen für und in die geleistete Arbeit, die längst nicht zu Ende ist.

 

Menschen im Zentrum

Der Lehrplan-Entwurf stellt noch nicht die Endfassung dar; Kürzungen und Bereinigungen von Unstimmigkeiten warten noch. Er zeigt aber die Richtung an, in die es geht: weg von der Generierung trägen Wissens hin zu Menschen, die in der Lage sind ihre Mit- und Umwelt aktiv zu gestalten. Verantwortung zu übernehmen. Eine schöne Perspektive. Nicht vergessen werden darf allerdings, dass prägender als der Lehrplan die Lehrmittel und die alltägliche Umsetzung der Lehrpersonen sein werden. Hier ist zu hoffen, dass ebenso solide wie bei der Lehrplangestaltung gearbeitet werden wird.

 

Vertrauen

Am meisten vermisse ich in der aktuellen Debatte das Vertrauen: in die zahlreichen Lehrerinnen und Lehrer, die eine fundierte Ausbildung absolviert haben und mit viel Einsatz in der Begleitung der jüngeren Mitmenschen stehen. Zum anderen das Vertrauen in die Kinder und Jugendlichen selbst, dass sie ihren Weg gut gehen werden. Es ist Aufgabe von den Erwachsenen, ihnen Wurzeln zum Wachsen und Flügel zum Fliegen zu geben.

 

Zukunft des konfessionellen RUs und der Katechese

Für die Kirchen bedeutet der Lehrplan 21, dass sie ihr Angebot profilieren können: nicht in Abgrenzung und Verdopplung der schulischen Angebote, sondern in Ergänzung. In den Pfarreien kann die Katechese als Angebot der Beheimatung im Glauben und der Gemeinschaft weiter ausgebaut werden – mit all den Vorteilen, ausserschulischer Gefässe. In den Kantonen, in denen es zusätzlich zum Pfarreiangebot konfessionellen Religionsunterricht in den Schulen gibt, muss geschaut werden, wie dieser künftig den obligatorischen Unterricht ergänzen kann. Wenn die Kirchen die Stellung in den Schulen halten wollen, sind sie gut beraten den Mehrwert aufzuzeigen und gegebenenfalls durch schulergänzende Dienstleistungen und Angebote der Schulpastoral aufzuwerten. Für beide Gefässe – konfessionellen Religionsunterricht und pfarreiliche Katechese – heisst es nun, ein Modell zu entwickeln, das mit dem Lehrplan 21 kompatibel ist. Und das bedeutet die Entwicklung eines kompetenzorientierten Modells. Wie solche Modelle aussehen können und was es dabei zu beachten gilt, habe ich im Mai diesen Jahres beim Forum Religionsunterricht an der Universität Luzern vorgestellt. Nachfolgend finden Sie die entsprechenden Unterlagen:

David Wakefield, Leiter des Fachzentrums Katechese am RPI Luzern,

Ausbildungsverantwortlicher der Fachstelle für Religionspädagogik Zürich

 

Links zum Blogbeitrag

Wer mehr über den Lehrplan 21 erfahren möchten, wird hier fündig.

Projektseite Lehrplan 21

Konsultationsfassung als Download

Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft

Teilbereich Ethik, Religionen, Gesellschaft

Autorenschaft

 

Bild: (c) KHH 043: Karin Habegger-Heiniger

Entnommen aus: Amsler, Christian: Projekt Lehrplan 21 – die Politik und die Geschichte. In: Public History Weekly 1 (2013) 9, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-368.