Kirche aktuell

Prophetischer Blick auf Missbrauch-Krisengipfel

Prophetischer Blick auf Missbrauch-Krisengipfel
Präventionsbeauftragter des Bistums Chur
Stefan Loppacher
Stefan Loppacher
21. Februar 2019

Was uns der Prophet Jeremia zum Missbrauch-Krisengipfel im Vatikan zu sagen hat. Eine nachdenkliche Predigt von Priester und Kirchenrechtler Stefan Loppacher.

Für meine Gedanken haben mich zum einen die biblischen Texte vom letzten Sonntag inspiriert, das Evangelium (Lk 6, 17.20-26) und die Lesung aus dem Buch Jeremia (Jer 17,5-8). Darüber hinaus haben mich meine Gespräche mit Vertreterinnen von Voices of Faith und das Buch von Doris Wagner, „Nicht mehr ich“, welches ich in diesen Tage gelesen habe, dazu herausgefordert:

So spricht der HERR: Verflucht der Mensch, der auf Menschen vertraut, auf schwaches Fleisch sich stützt und dessen Herz sich abwendet vom HERRN. Er ist wie ein Strauch in der Steppe, der nie Regen kommen sieht; er wohnt auf heißem Wüstenboden, im Salzland, das unbewohnbar ist. Gesegnet der Mensch, der auf den HERRN vertraut und dessen Hoffnung der HERR ist. Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und zum Bach seine Wurzeln ausstreckt: Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt; seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge, er hört nicht auf, Frucht zu tragen. (Jer 17,5-8)

Der Untergangsprophet – Endzeit für Verbrecher und Heuchler

Um diese Worte aus dem Buch Jeremia besser zu verstehen, ist es sinnvoll, uns zuerst den Propheten selbst, und die Situation in die er hineinspricht, vor Augen zu führen.

Jeremia erhielt von Gott den Auftrag, das Volk zur Umkehr zu bewegen. In jungen Jahren vernimmt er von Gott das Wort: „zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt.“ „Siehe, ich selbst mache dich heute zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule und zur bronzenen Mauer gegen das ganze Land, gegen die Könige, Beamten und Priester von Juda und gegen die Bürger des Landes.“ (Jer 1,5b.18)

Jeremia predigte dem Volk Israel Bekehrung und Umkehr zum HERRN und prophezeite jahrelang den Untergang Jerusalems und des Tempels. Die Zerstörung trat im Jahr 586 v. Chr. tatsächlich ein, durch den babylonischen König Nebukadnezar II.

Im Zuge der Eroberung durch die Babylonier wurde ein wesentlicher Teil der Bevölkerung Judäas, vor allem Angehörige der Oberschicht, deportiert und musste über Jahrzehnte in der Fremde leben.

Hauptanklage gegen Priester und politisch-religiöse Führungsschicht damals…

Wenige Zeilen bevor unsere Lesung beginnt, droht Gott dem Volk mit Vergeltung: „So vergelte ich zunächst doppelt ihre Schuld und ihre Sünde, weil sie mein Land entweiht haben; mit dem Aas ihrer Scheusale und durch ihre Gräuel haben sie mein Erbteil angefüllt.“

Die Hauptanklage besteht darin, dass das Volk Gott verlassen und sich selbstgemachten Götzen zugewandt hat. Die Hauptverantwortung dafür tragen einmal mehr die Priester und die politisch-religiöse Führungsschicht.

…und heute

In diesem Sinne sind auch die Worte unserer Lesung zu verstehen. Dürre, Leere und Trostlosigkeit erwartet denjenigen, der den falschen Propheten hinterherläuft und sich abwendet vom HERRN. Fruchtbarkeit und Lebensfülle wird denen verheissen, die auf den HERRN und seine Boten vertrauen.

Soweit so gut. Aber was ist, wenn ich den Priestern vertraut habe, die im Namen Gottes und der Kirche aufgetreten sind, mein Vertrauen aber enttäuscht oder gar missbraucht wurde? Wenn ich von ihnen respektlos behandelt oder gar tief verletzt wurde?

Viele von uns meinen, nur weil sie ein paar Jahre Theologie studiert haben, seien sie nun die grossen Lehrer der Menschheit, auserwählt, den Leuten die Welt zu erklären. Selbstgerecht und überheblich treten sie auf. Ihre Herrschsucht kaschieren sie mit frommen Worten und höfischen Zeremonien. Das einzige was ihnen wirklich am Herzen liegt, sind sie selbst. Ihr Götze ist ihr eigenes Ansehen und ihre, vermeintlich „göttlich“ legitimierte, Macht über die Menschen.

Doch solche Menschen sind unfähig, mit echter Empathie und Fürsorge für andere Menschen da zu sein. Erst recht sind solche Priester und Bischöfe unfähig, konsequent zu leiten. Es versteht sich von selbst, dass sie Unrecht und Verbrechen lieber vertuschen, anstatt Verantwortung zu übernehmen und die Schwachen zu schützen.

Eine verlogene Kirche macht krank

I am sick of it! Ich habe es satt und es macht mich krank, nicht nur im übertragenen Sinne.

Zusammen mit vielen anderen Menschen  werde ich buchstäblich krank an einer Kirche, die immer nur beschönigt, vertröstet, irgendetwas von Betroffenheit und Verzeihen faselt, ohne sich wirklich für Recht und Gerechtigkeit einzusetzen.

Was ist mit all den Gläubigen, denen es zum Fluch geworden ist, dass die Ordensleuten, Priestern und Bischöfen vertraut haben. Die auf alle erdenkliche Weise verletzt, vertrieben, unterdrückt, ausgebeutet und missbraucht wurden?

Wir brauchen eine neue Mentalität!

Vom 21.-24. Februar findet in Rom der Krisengipfel zum sexuellen Missbrauch in unserer Kirche statt, mit Bischöfen und Experten aus der ganzen Welt.

Sich beraten ist gut. Aber es ist noch lange nicht die Lösung. Was wir vor allem brauchen ist eine neue Mentalität, einen anderen Umgang mit Macht, Verantwortung und Machtmissbrauch. Auch einen anderen und konsequenteren Umgang mit Seelsorgern, die Vertrauen missbrauchen und Abhängigkeitsverhältnisse in der Pastoral für eigene Zwecke und zum Schaden anderer ausnützen.

Selig die apathisch aufs Jenseits warten?

Wer die Seligpreisungen nur als nette Vertröstung auf das Jenseits hören will, hat von der biblischen Botschaft nicht viel verstanden. Die Seligpreisungen, wie auch die Wehrufe, sind immer wieder neu in die konkrete Situation der Welt und der Kirche hineingesprochen. Als göttlicher Hilfeschrei, stellvertretend für all jene die keine Stimme haben, die so weit eingeschüchtert wurden, dass sie Angst davor haben ihre Stimme zu erheben. Und als ernstzunehmende Mahnung an all jene, die weiter untätig zuschauen. Jesus sagt nicht: „Selig, die apathisch aufs Jenseits warten.“

Wir brauchen eine prophetische Kirche!

Wir brauchen, vielleicht mehr denn je, wieder eine prophetische Kirche, Christen, die den Mut haben ihre Stimme zu erheben.

Es gibt kaum etwas Unchristlicheres als Harmoniesucht, Beratungsresistenz und Resignation, und doch sind die Kirchen auf fast allen Ebenen, und so viele ihrer Glieder, von dieser Seuche befallen.

Das ist nicht einfach, als Prophet aufzutreten. Der Weg des Propheten ist oft ein einsamer Weg, aber wir müssen ihn gehen.

Wehe euch! Das Fest der Faulenzer ist vorbei!

Die Wehe Rufe Jesu gelten vor allem uns, den selbsternannten Kirchenfürsten, die es sich allzu gemütlich gemacht haben:

Wehe euch, die ihr meint mit euren Verbrechen, Lügen und Ausflüchten davon zu kommen! Wehe euch, die ihr Unrecht gedeihen lässt und schweren Schaden für die Menschen und die Kirche in Kauf nehmt, nur weil zu feige seid, Verantwortung zu übernehmen.

Ich möchte mit einem Wort des Propheten Amos schliessen, der im Namen Gottes folgendes Wort an die religiösen Führungspersönlichkeiten richtet: „Weh den Sorglosen auf dem Zion und den Selbstsicheren auf dem Berg von Samaria …  Ihr trinkt den Wein aus Opferschalen, ihr salbt euch mit feinsten Ölen, aber über den Untergang Josefs sorgt ihr euch nicht. Darum müssen sie jetzt in die Verbannung, allen Verbannten voran. Das Fest der Faulenzer ist vorbei.“ (Am 6, 1a.6-7)

Echte Erneuerung braucht Mut zum Neuanfang

Echte Erneuerung in der Kirche wird es nur geben, wenn wir auch tatsächlich neu beginnen. Das heisst vieles kritisch zu hinterfragen; kritische Stimmen anzuhören und ernst zu nehmen.

Von vorne anzufangen bedeutet, am Boden der Schlammgrube zu beginnen und den ganzen Giftmüll heraufzuholen, den wir gemeint haben, einfach in der Vergangenheit vergraben zu können.

Einen solchen Mut zur Erneuerung wünsche ich meiner und unserer Kirche.