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Zigeunerkulturtage 2023 «Ich bin stolz darauf, Zigeuner zu sein»

Auf dem Züricher Hardturmareal finden noch bis Samstag, 13. Mai, die Zigeunerkulturtage statt. Es gehe darum, sichtbar in der Schweizer Gesellschaft zu sein, sagt Organisator Afred «Popi» Werro. Sein Onkel hat die Aktion ins Leben gerufen, er setzt diese Tradition fort.
11. Mai 2023 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Eine Symbiose aus Melancholie und Leidenschaft trägt diesen Mittwochabend: Draussen regnet es seit Stunden. Drinnen im Festzelt wärmt ein offenes Feuer. Eine Tänzerin im rot-schwarzen Kleid mit ausladendem Rock zieht die Blicke auf sich. Begleitet wird Renata Concova von Roma-Musik: Piano, Gitarre, Geige.

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Die slowakische Romniatänzerin Renata Concova.

Wohl keiner der drei Musiker der Band Holub kann Noten lesen. «Wozu auch? Es klingt doch so viel schöner», lacht Alfred Werro, den hier alle nur «Popi» nennen.

Werro (64) ist Präsident der Genossenschaft fahrendes Zigeuner-Kulturzentrum und Organisator der Zigeunerkulturtage in Zürich. Die Katholische Kirche im Kanton Zürich ist Sponsor des jährlichen Events. Seit 1984 gibt es den Verein, gegründet von Werros Onkel mit damals rund 50 Mitgliedern. Seitdem laden sie dazu ein, zu ihnen auf den Stellplatz zu kommen, ihre Kultur kennenzulernen und mit ihnen zu feiern.

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Alfred «Popi» Werro ist Jenischer. Er leitet die Genossenschaft fahrendes Zigeuner Kulturzentrum.

«Die meisten Schweizer wissen gar nicht, dass es uns Jenische gibt und was uns ausmacht. Dabei sind wir fester Bestandteil der Schweizer Gesellschaft – und das seit Jahrhunderten.»

Sein Familienname Werro komme beispielsweise aus der Region Freiburg i. Ue. Und er gehe zurück auf das vierte oder fünfte Jahrhundert. Trotzdem hätten viele Mitbürger überhaupt keine Vorstellung von ihrem Leben in den Wohnwagen. 

Diese Unwissenheit sei ein gefährlicher Nährboden für Vorurteile und Ablehnung. Umso wichtiger sei es, für gegenseitiges Verständnis zu werben, erklärt Katharina Prelicz-Huber. Die 63-jährige Grünenpolitikerin ist Mitglied des Nationalrats und Präsidentin des Schweizerischen Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) und setzt sich für die Interessen der fahrenden Volksgruppen ein. «Mich hat dieses Herumfahren schon immer fasziniert», erinnert sie sich. «Wenn die Händler in meinem Heimatdorf Meilen vorbeikamen, hat meine Mutter ihnen immer etwas abgekauft. ‘Die müssen auch leben’, hat sie immer gesagt.» Aber längst nicht jeder tritt Roma, Sinti und Jenischen so offen gegenüber.

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Katharina Prelicz-Huber, Grünenpolitikerin und Präsidentin und Präsidentin des VPOD.

 «Vielfach erfahren die Menschen dieser Volksgruppen Ausgrenzung und Ungleichheit – damals wie heute»

Das heute im Rahmen der Zigeunerkulturtage vorgestellte Lehrbuch «Jenische, Sinti, Roma – Zu wenig bekannte Minderheiten in der Schweiz» sei ein gutes Mittel, um für gegenseitiges Verständnis zu werben. Damit das Thema in den Schweizer Schulen offen angesprochen werden kann, brauche es authentisches Lehrmaterial.

«Viele Lehrer wissen gar nicht, was es für Unterschiede gibt zwischen Jenischen, Sinti und Roma – geschweige denn, was deren Kultur ausmacht», erklärt Prelicz-Huber. Sprache, Musik, Lebensweise – die Lebensweisen sind so verschieden und vielfältig.

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Ein Lehrbuch geschrieben von Jenischen, Sinti und Roma.

Um die ganze Vielfalt des nicht sesshaften Lebens in der Schweiz darzustellen, präsentieren Alfred Werro und sein Team dem Zürcher Publikum noch drei weitere Tage lang auf dem Hardturmareal Kunst, Musik, jenische Öpfelchüechli, Bratwurst von der Feuerschale und  andere kulinarische Highlights.

Gezeigt werden unter anderem traditionelles Handwerk sowie eine nostalgische Fotoausstellung. Ausserdem können sich Besucher mit der Kunst des traditionellen Handlesens vertraut machen. Jeweils ab 20 Uhr gibt es an allen Tagen ein Konzert, das Programm reicht von Roma-Musik, Flamenco und Balkan-Chanson-Strassen-Pop bis hin zu Jenischer Volks- und Jazzmusik. Beginn ist täglich um 14 Uhr, der Eintritt ist frei.

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Der Begriff Zigeuner sei übrigens ganz bewusst gewählt worden, um einen Kontrapunkt zur negativen Konnotierung des Wortes zu setzen. Es komme immer darauf an, mit welcher Intention er genutzt werde, heisst es auf der Homepage des Vereins Zigeunerkulturwoche Zürich.

Zigeuner zu sein, bedeute schliesslich viel mehr als das, was in der jüngeren Geschichte damit Negatives verbunden war, sagt Werro. Fünf Kinder hat er im Wohnwagen grossgezogen. Früher war er Messer- und Scherenschleifer wie schon sein Vater. Heute restauriert er Möbel. Und so hat er auch seine jetzige Frau Mona kennengelernt. «Ich war bei ihr hausieren und sie hat mir ein altes Velo verkauft», erzählt Werro, «und dann hat sie mich mit dem Preis beschissen», lacht er und strahlt dabei. Vielleicht auch deshalb klart der dunkle Himmel am Mittwochabend über dem Stellplatz langsam auf und sogar ein Regenbogen kommt zum Vorschein.

«Ich bin stolz darauf, ein Zigeuner zu sein. Und ich bin ein Jenischer», sagt Alfred Werro selbstbewusst. «Ich wurde in einem Wohnwagen geboren und ich hoffe, ich sterbe auch darin», sagt Werro zufrieden. Sein Geburtswagen war noch aus Holz und wurde von einem Pferd gezogen. Jetzt sind die Pferdestärken technischer Natur. Alles andere bleibe aber traditionell, zigeunerisch.