Kirche aktuell

500 Jahre Wurstessen Gemeinschaft leben, Unterschiede aushalten

In einem historischen Moment gedachten am Sonntag im Grossmünster Mennoniten, Reformierte und Katholiken des Fastenbrechens beim Buchdrucker Froschauer vor 500 Jahren. Regierungspräsidentin Jacqueline Fehr würdigte den Religionsfrieden und sieht ihn als Auftrag.
07. März 2022 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Ein grosses «Bibelrad» dominierte optisch den Chor des Grossmünsters, eine Kunstinstallation von Hans Thomann. Dieser hatte um die 100 Bibeln mennonitischer, katholischer und reformierter Herkunft zu einem grossen Rad zusammengebunden. Das Bibelrad stand für das Verbindende, das erst durch eine Grundspannung zusammenhält.

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Bibelrad, Kunstinstallation von Hans Thomann. Foto: Urs Bosshard

Vom Fastenbrechen zum Auseinanderbrechen

Das seinerzeitige Fastenbrechen bei Froschauer hatte nicht nur zu einem Aufbrechen, sondern in der Folge zum Auseinanderbrechen geführt. In einer Trialogpredigt dachten Kirchenratspräsident Michel Müller, Jürg Bräker als Generalsekretär der Konferenz der Mennoniten der Schweiz und Generalvikar Luis Varandas selbstkritisch über die Geschichte nach.

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Trialogpredigt von Michel Müller, Jürg Bräker und Luis Varandas. Foto: Urs Bosshard

So zeigte sich Kirchenratspräsident Michel Müller bei genauerem Hinsehen von Zwinglis Bibelauslegung enttäuscht: «Er verfehlt die Pointen der Bibeltexte, biegt sie sich zurecht und argumentiert teilweise unlogisch.»

Mennonit Jürg Bräker fragte, wie es gewesen wäre, wenn Zwingli eine Reform der Zehntenabgabe gefordert hätte. «Das hätte die freimachende Botschaft des Evangeliums für die Landbevölkerung sicher greifbarer gemacht, aber jene Herren am Tisch bei Froschauer hätte es wohl Einiges gekostet.»

Ob Zwingli als katholischer Priester Angst hatte und zu feige war, um selber auch nach der Wurst zu greifen, beschäftigte Generalvikar Luis Varandas und er folgerte, dass die Menschen mit Gottvertrauen hinstehen sollen, ohne Angst. «Wenn Fragen aufgeworfen werden, dann dürfen wir die Menschen mit diesen Fragen nicht allein lassen. Die Gläubigen müssen befähigt werden, selbst nach Antworten zu suchen.»

Differenzen verträglich leben

Religionsministerin Jacqueline Fehr stellte ihre Rede unter den Titel «Die Gemeinschaft leben, die Unterschiede aushalten». Dass die Ordnung damals starr gewesen sein müsse, würde daran deutlich, «dass sich die Überwindung derselben so tief in unsere Erinnerung eingegraben hat». Trotz bemerkenswerten Entwicklungen in der Ökumene blieben Differenzen, die es auszuhalten gelte.

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Religionsministerin Jacqueline Fehr. Foto: Urs Bosshard

«Die Kirchen der Neuzeit können dabei, so scheint mir, ein gewisses Vorbild sein. Sie haben viel Erfahrung darin, im interreligiösen Dialog mit Unterschieden umzugehen und ein Miteinander zu pflegen, bei dem die Unterschiedlichkeit akzeptiert wird und Differenzen eben verträglich gelebt werden.»

Dem Gottesdienst folgte ein Wurst-Apéro mit vielen anregenden Unterhaltungen, begleitet von einem Biswind, der daran erinnerte, dass nicht nur eine heisse Wurst Hände und Magen, sondern vor allem Zusammenrücken theologisch wie gesellschaftlich gegenseitig wärmt.

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Wurst-Apéro vor dem Grossmünster. Foto: Urs Bosshard

Den ganzen Gottesdienst gibt es hier online.

SRF hat das Thema des Wurstessens in einem Podcast von Matthias Strasser sowie einem Beitrag von Nicole Freudiger verarbeitet und in einem Tagesschaubeitrag darüber berichtet: