Kirche aktuell

Werte vermitteln geht nur mit glaubwürdigem Handeln

Werte vermitteln geht nur mit glaubwürdigem Handeln
Gruppenarbeit am Pastoralkongress: Barbara Schmid Federer (vorne links) diskutiert zum Wert Barmherzigkeit mit. Fotos: Aschi Rutz
Welche Werte brauchen wir? Wie können wir sie heute einbringen? Und haben sie etwas mit unserem Glauben zu tun? Der Pastoralkongress des Seelsorgerates widmete sich ganz der aktuellen Werte-Diskussion.
19. März 2019 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Eine Video-Umfrage auf den Strassen von Winterthur zeigte schonungslos auf: Das Wissen um Werte auf der Basis des Christentums erodiert in beängstigendem Ausmasse. Gerade junge Menschen bringen sie kaum mehr mit Religion in Verbindung. Sie sprechen von Werten an sich, unabhängig davon, wer ihnen diese vermittelt hat.

Hauptreferent Thomas Wallimann-Sasaki, Leiter des Sozialethischen Instituts Ethik 22, konfrontierte die Teilnehmenden zusätzlich mit der Aussage: «Exklusiv christliche Werte gibt es nicht. Werte sind Wegweiser, die es zu allen Zeiten gegeben hat. Werte sind Haltungen, die zum Handeln drängen. Sie sind nicht statisch, sondern voller Dynamik, leben mit uns, verändern sich inhaltlich, auch wenn die Begriffe bleiben. Von christlichen Werten können wir sprechen, wenn sie auf dem christlichen Menschenbild gründen. Und: Die Werte-Diskussion heute ist eine ethische Diskussion um Haltungen, Weltanschauungen, Moral.»

In Gruppen setzten sich die Teilnehmenden anhand von drei Fragen mit einem vorgegebenen Wert auseinander: Wo begegnet mir dieser Wert? Was ist das Gegenteil dieses Werts? Wie könnte eine Neuformulierung des Werts aussehen? Beim Wert Barmherzigkeit erinnert sich eine ältere Frau an ihre Kindheit während des Krieges: «Ich war fünf und meine Mutter hat einen Bettler vor der Türe für eine Suppe in die Küche gebeten. Das Gegenteil von Barmherzigkeit ist wohl Hartherzigkeit, mitleidloses Verhalten. Und der doch etwas verstaubte Begriff Barmherzigkeit könnte mit Anteilnahme oder Hilfsbereitschaft gegenüber anderen Menschen umschrieben werden.» Auslöser für den Wert Hoffnung sei immer Unsicherheit, Leid und Not, trägt eine Frau aus einer anderen Gruppe in die Runde. «Wir denken da an den Klimastreik der Jungen oder natürlich auch an die anstehende Bischofswahl.»

Lorenz Engi, Delegierter für Religionsfragen in der Direktion der Justiz und des Innern, ermunterte die Kirche, ihre Rolle als wertevermittelnde Institution wahrzunehmen, was der Staat selbst nicht bieten könne: «Gehen Sie voran, nehmen Sie die Möglichkeiten wahr, was Ihnen wichtig ist, auch im Kleinen.»

Samuela Schmid, Theologin und Präses der Jubla Ob- und Nidwaldens, zeigte sich überzeugt, dass Werte auch für junge Menschen eine wichtige Rolle spielen. Allerdings: «Wir müssen uns ohne Angst auf die Diskussion mit ihnen einlassen. Zum Beispiel auf die Gleichberechtigung der Geschlechter oder der sexuellen Ausrichtung, welche für junge Menschen heute fundamental sind. Und bitte mit Begriffen, die sie versteht.»

Generalvikar Josef Annen stellte selbstkritisch fest: «Die Kirchen und die C-Partei vergessen immer wieder ihre eigenen Werte. Unser Massstab muss das Evangelium sein.»
Die ehemalige CVP-Nationalrätin Barbara Schmid Federer appellierte an die Anwesenden, sich auch künftig mutig in die Debatte einzumischen und Stellung zu beziehen. «Die Kirchen müssen politisch sein, denn die Werte drängen auch zum Handeln. Die Diskussion um Werte geht weiter, treffen wir uns wieder in einem Jahr!»

Eine Sorge kam in den Pausengesprächen immer wieder zum Ausdruck: Wie können wir angesichts von Missbrauch, Vertuschung, Klerikalismus heute als katholische Kirche glaubwürdig für Werte einstehen? Hört uns überhaupt noch jemand zu? Und was müsste bei uns selbst geändert werden, damit wir Glaubwürdigkeit zurück gewinnen? Konkrete Antworten blieben aus. Dafür bräuchte es tatsächlich einen weiteren Kongress.