Neue Ausgabe forum Pfarrblatt Biodiversität ist das Ziel
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Auf dem Vorplatz der reformierten Kirche Witikon wischt Elisas Sohn Juri die Lindensamen zu grossen Haufen zusammen, während sie zusammen mit Ute die Pflanzen beobachtet: «Ich habe letztes Mal noch einige Platterbsen ausgerissen», berichtet Ute, «die haben ja unendlich tiefe Wurzeln!» Elisa erklärt: «Vorher war hier kriechender Thuja, der ist sowieso nicht einheimisch, daher haben wir ihn entfernt. Den einheimischen Efeu haben wir reduziert, damit die anderen Pflanzen dieses Standortes – wie die hübsch blühende Platterbse – mehr Raum bekommen. Allerdings wird jetzt die Platterbse etwas übermächtig ...». Ute entdeckt den wilden Majoran: «Schau, wie gut der jetzt kommt!». Dann zeigt sie auf die kleinen Bibernellrosen, die vorher unter dem Efeu nicht sichtbar waren: «Sie sind jetzt verblüht. Ihre hellgelben Blüten haben extrem fein geduftet!»
Die Australier Bill Mollison und David Holmgren haben für das ganzheitliche Arbeiten mit und in der Natur 1978 zum ersten Mal das Wort Permakultur verwendet. Es setzt sich aus «permanent» (im Sinn von nachhaltig) und «Agrikultur» zusammen. Dabei geht es aber um weit mehr als Landwirtschaft. Die drei Grundsätze der Permakultur lauten: «Sorge für die Erde. Sorge für die Menschen. Faires Teilen.» Als Elisa Mosler in ihrem ersten Permakultur-Kurs von diesen Grundsätzen hörte, habe sie eine «Erleuchtung» gehabt, erzählt sie: «Die meisten Leute sehen nur die ökologische Seite der Permakultur. Sie denken an in sich geschlossene biologische Kreisläufe, überlegen, wie sie Gemüse pflanzen können, das sich selber versamt, wie man Früchte zu langjährigen Pflanzen erzieht, welche Pflanzen auf dem vorhandenen Boden am besten gedeihen. Das ist alles gut. Aber sie vergessen oft die beiden anderen Grundsätze!» Als Sozialwissenschaftlerin wurde Elisa schnell klar: «Permakultur ist ein ganzheitliches Konzept für menschliche Gemeinschaften. Wenn wir die Sorge für den Menschen und das faire Teilen nicht leben, dann haben wir verloren. Wir können nicht die Natur gegen den Menschen retten.»
«Schau mal, ein Engerling!», ruft der 8-jährige Juri. Ohne Berührungsängste trägt er ihn in der Hand und zeigt ihn den beiden Frauen. «Super, das ist unser Freund!», sagt Elisa. Gemeinsam setzen sie ihn auf ein Beet, das mit viel Häcksel bedeckt wurde. «Der Engerling frisst gern verrottetes Holz und schenkt uns dafür wunderbaren Humus. Daher ist er, wenn er genug Holz hat, ein Nützling. Wäre er in einem Gemüsebeet ohne Häcksel, würde er die Gemüsewurzeln fressen. Daher hält man ihn fälschlicherweise für einen Schädling.» Kommt hinzu, dass man ein Gemüsebeet ohne Häcksel fleissig jäten müsste, damit das Unkraut nicht dem Gemüse den Platz nimmt. «Fleissig jäten» steht jedoch im Gegensatz zu Elisas Prinzip: «Ich setze mich nur so viel ein, wie ich Zeit und Lust habe.» Und dieses Prinzip soll für alle gelten, die sich in «grünfältig» engagieren, wie das Projekt rund um die Kirche Witikon heisst. «Das war für mich eine grosse Umgewöhnung», sagt Ute dazu. «Ich sah Gartenarbeit immer profitorientiert. Hier habe ich einen ganz anderen Horizont bekommen, lerne, Pflanzen wahrzunehmen, wie sie sind, was sie brauchen, und wie sie miteinander kommunizieren!»
Mit diesem Horizont werden Pflanzen gefördert, die sich an einem bestimmten Standort wohl fühlen und dann selber wachsen und sich versamen. «Gärtnern besteht oft in der irrigen Vorstellung, dass wir Pflanzen zwingen könnten, an einem von uns ausgewählten Standort zu wachsen. Wenn das nicht klappt, beginnen wir mit Jäten, Gift, Dünger oder sonst was, um diese Pflanzen an einem für sie ungeeigneten Ort zu pushen.» Elisa ist überzeugt, das generiere viel Arbeit und mache das Gärtnern zum Stress. Ihr Ziel ist aber «so faul wie möglich gärtnern und die Natur so viel wie möglich selber machen lassen.» Damit dies möglich wird, braucht es in bereits von Menschen gestalteten Umgebungen einige Korrekturen. Daher geht den «grünfältig»-Engagierten die Arbeit nicht aus – aber ohne Stress, denn was nicht heute getan wird, kann auch noch morgen gemacht werden. «Die Natur arbeitet ja sowieso immer bestens mit!», lacht Elisa.
So ist vor dem Kirchgemeindehaus nach und nach eine «Naturwerkstatt» entstanden. «Wir haben den Dachkännel ein wenig gedreht und im leicht abschüssigen Gelände dem Dachwasser Bachläufe angeboten. Dies ist ein wunderbares Spielelement für die Kinder. Zudem sammelt sich unten das Wasser und es entstand eine Sumpfzone», erklärt Elisa. «Das ist ein Para-debeispiel von maximaler Vielfältigkeit und verschiedenen Lebensräumen auf kleinstem Raum.» Daneben blüht auf einer kleinen Kiesfläche Mohn und auf der Trockenwiese blühen jede Menge Wildblumen. Ein Eldorado für Schmetterlinge, Käfer und Wildbienen. «Die Kinder können den Ameisenhaufen beobachten, auf den niedrigen Baum klettern, durch das Heckentor kriechen und mit dem Häcksel spielen, den wir in der Sumpfzone ausgebracht haben, weil er so schön das Wasser speichert», erzählt Elisa stolz. Zum Projekt «grünfältig» gehört auch eine Gruppe von rund neun Kindern, die regelmässig am Sonntagnachmittag in der Natur arbeiten, aber vor allem auch spielen. Denn ein weiteres wichtiges Ziel von Elisas Engagement ist, «für uns Menschen Beziehungsangebote zur Natur zu schaffen».
«Ich habe eine Kartoffel gefunden!», ruft Ute. Sorgfältig gräbt sie den Boden um und zieht eine winzig kleine Kartoffel hervor. Was eigentlich ein Misserfolg ist, wird hier gefeiert. «Wir fühlen uns wie Goldgräberinnen», lacht sie. Die Kartoffelernte sei nach den drei Wochen Dauerregen im Frühling voll in die Hosen gegangen. Die viel zu kleinen Kartoffeln müssen daher jetzt ausgegraben werden, da sie sonst als Samenkartoffeln nächstes Jahr zu kleine Pflanzen hervorbringen. «Immerhin, der Mais ist gekommen», meint Elisa. «Die Tomaten werden schon schön rot, und ein paar Erdbeeren gab es auch.» Neben dem kleinen Kartoffelfeld steht ein Stuhl. «Hock ane und gnüsses» steht darauf. Ute setzt sich wohlig seufzend und strahlt: «Sieh mal, die Zitronenmelisse und die Minze kommen auch gut!»
Zur Kirche hatte Elisa lange gar keine Beziehung. Als Kind von Alt-68er-Hippies sei sie atheistisch aufgewachsen. Sie wohnt aber schon lange in Zürich-Witikon und sah die Kirchenumgebung als idealen Ort, um Permakultur-Flächen zu gestalten. Bei der Sozialdiakonie und dem Pfarrteam fand sie offene Ohren, und weil sie ihr Projekt als Freiwillige durchführt, war auch die Akzeptanz bei der Kirchenpflege kein Problem. Sehr wichtig sei aber, dass der Sozialdiakon das Projekt verantwortet, alle laufend informiert und bei Fragen oder Problemen kommuniziert und klärend unterstützt.
«Die Kirche ist eine gute Umgebung für den ganzheitlichen Permakultur-Ansatz», findet Elisa. «Hier setzt man sich schon recht stark mit gewaltfreier Kommunikation auseinander. Da fällt es leichter, einen gewaltfreien Umgang mit der Umwelt vorzuschlagen und schrittweise umzusetzen.» Sehr gerne würde sie hier draussen eine Umgebung gestalten, wo die Menschen auch beten und feiern könnten. «Es ist – auch losgelöst von einem bestimmten Glauben – einfacher, in der Natur Spiritualität zu erleben. Die Natur ist so komplex, da drängen sich ja Bewunderung und ein spirituelles Empfinden fast auf.»
«Wir möchten doch alle ein wenig die Welt retten», sagt Elisa. Statt zu resignieren, habe sie sich selber gefragt, was sie zum Träumen und zum Handeln bringt. Und kam auf die banale Lösung: Genuss. Was wir gern machen, was uns freut, das setzen wir auch um. Deshalb hat sie nicht einen Permakultur-Verein gegründet, sondern den Verein «Genussvoll». Hier können Ideen aller Art umgesetzt werden. Das Pionierprojekt dazu ist «grünfältig»: Gartenarbeit an der frischen Luft, authentisch sein und so miteinander reden, ernten und bewundern, kein Leistungsstress – auf das achtet sie bei der Anleitung ihrer Freiwilligen. Weil sie überzeugt ist: «Die Menschen sind zwar der Grund für unsere ökologischen Probleme, aber sie sind auch Teil der Lösung. Nur in einem entspannten Miteinander retten wir uns und die Welt.»
Text: Beatrix Ledergerber
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