Kirchensteuer-Initiative in leichter Sprache
Wer an einem Gespräch oder einer Abstimmung teilnehmen will, muss erst verstehen, worum es überhaupt geht. Die meisten Menschen können sich in ein Thema einarbeiten. Für Menschen mit einer Behinderung gestaltet sich das schwieriger. Ihnen bleibt der Zugang zu Informationen im Alltag meist verwehrt. Was in der Zeitung, im Internet oder auf Plakaten steht, ist für sie oft zu kompliziert. Das Gesagte können sie so nicht erfassen.
Am 18. Mai stimmen wir im Kanton Zürich ab. Dabei geht es auch um die Volksinitiative „Weniger Steuern fürs Gewerbe ( Kirchensteuer-Initiative )“. Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die sich auf den Urnengang vorbereiten, bilden sich ihre Meinung. Sie lesen die Zeitung, verfolgen Debatten an Radio und Fernsehen oder führen Diskussionen im eigenen Umfeld. Und wenn das alles nicht reicht, dann liegt den Stimmunterlagen die Abstimmungszeitung bei. Diese war vielen Bürgern bisher zu anspruchsvoll, die Zürcher Staatskanzlei hat sie neu gestaltet, um die Abstimmungsvorlagen noch verständlicher darzustellen. Sie enthält kürzere Texte, einer klare Gliederung und anschauliche Grafiken. Auf Barrierefreiheit wurde mit einer strukturieren Audio-Datei geachtet. Aber reicht das?
Teilhaben heisst verstehen, worum es geht
Für Stefan Arnold , Leiter der Katholischen Behindertenseelsorge braucht es mehr: „Barrierefreiheit bedeutet zwar einerseits den grundsätzlichen Zugang für alle zu Informationen. Diese müssen dann auch erfasst und verstanden werden können.“ Die Behindertenseelsorge unterstützt Menschen am Rande unserer Gesellschaft auf vielfältige Weise. Das tut sie unter anderem auch mit Steuergeldern von juristischen Personen . Darum ist es Stefan Arnold ein besonderes Anliegen, dass auch diese Menschen verstehen, worum es bei der Vorlage geht. So liess er zur Initiative bei capito in Graz einen Flyer in Leichter Sprache vorbereiten. Das sieht dann so aus:
Für Menschen ohne Behinderung mag er etwas gewöhnungsbedürftig sein, schnell aber lehnt man sich auch innerlich zurück und nimmt – fern von sprachlichen Hürden – den Inhalt des Gesagten auf. Die Behindertenseelsorge schlägt gleich eine doppelte Brücke: Der Flyer in leichter Sprache ist auch für Menschen mit einer Sehbehinderung gut lesbar. Für blinde Menschen ist der offizielle Flyer in Braille erhältlich und kann bei der Behindertenseelsorge bestellt werden.
Leichte Sprache hilft vielen Menschen
Viele Menschen verstehen schwere Sprache, wie wir sie aus dem Alltag kennen, nicht. Leichte Sprache öffnet die Tür zum Verstehen. Das Netzwerk für Leichte Sprache hat die Regeln verständlich formuliert und warnt: „Leichte Sprache sieht einfach aus. Aber Schreiben oder Sprechen in Leichter Sprache ist oft ganz schön schwer. Man muss auf viele Regeln achten“. Aus der Wegleitung sind uns diese Tipps aufgefallen:
- Benutzen Sie einfache Wörter . Vermeiden Sie Fach- und Fremdwörter. Benennen Sie Gleiches immer gleich.
- Vermeiden Sie hohe Zahlen und alte Jahreszahlen und schreiben Sie Zahlen so, wie die meisten Menschen sie kennen (also 15 statt XVI).
- Vermeiden Sie Sonderzeichen wie %, ;, & oder §.
- Satzanfänge dürfen auch beginnen mit: oder, wenn, weil, und, aber.
- Benutzen Sie eine einfach lesbare und grosse Schrift und dickes Papier .
- Benutzen Sie Bilder , diese helfen, den Text zu verstehen.
- Lassen Sie den Text immer prüfen: „Das Prüfen machen Menschen mit Lern-Schwierigkeiten. Nur sie können sagen, ob ein Text leicht genug ist.“
In der Schweiz leben knapp 1.4 Millionen Menschen mit einer Behinderung , davon rund 550’000 mit einer starken Beeinträchtigung. Aber nicht nur sie sind auf leicht und verständlich formulierte Texte angewiesen. Kinder und Jugendliche mit geringem oder kleinem Wortschatz , Menschen mit Migrationshintergrund , einer Lernbehinderung , Lernschwierigkeiten , einer Krankheit oder Demenz teilen die gleichen Bedürfnisse nach Inhalten in leichter Sprache.
Verstanden werden als Daueraufgabe
Wir wollten von Stefan Arnold wissen, ob der Flyer eine einmalige Aktion sei und es zeigt si ch, dass hier bereits seit einiger Zeit Aufbauarbeit geleistet wird. „In den Gottesdi ensten mit Menschen mit Behinderung bemühen wir uns um leichte Sprache. Zudem haben wir die Broschüre von Dr. Frank Mathwig, „ Behinderten Seelsorge – oder behindert Seelsorge? “, in leichte Sprache übersetzt. Bei Briefen an Menschen mit Behinderung bemühen wir uns ebenso um leichte Sprache.“ Kommunikation führt in beide Richtungen. „Damit sich Menschen mit einer Behinderung getragen und verstanden fühlen ist es wichtig, dass sie die Angebote an sie, unsere Beratung, aber auch das Wort Gottes, verstehen. Dieser Aufgabe sind wir uns bewusst. Jeden Tag. In jedem Gespräch . Dafür sind wir da.“
„Von der Kirchensteuer, die ich zahle, könnte ich mir einen eigenen Pastor halten.“
Loriot
Schade, kann ich Loriot nicht mehr persönlich befragen. Ich gehe aber mal davon aus, dass er mit diesem Zitat dahingehend ein Bedürfnis äussert und ein Signal setzt, dass auch Kabarettisten das Bedürfnis nach Seelsorge haben. Immerhin: Dank der Kirchensteuer ist es bei uns im Kanton Zürich möglich, Menschen in besonderen Lebenssituationen seelsorgerlich zu begleiten, sei es in Trauer und Freude, in Angst und Hoffnung. Ich denke da an die Behindertenseelsorge (die in diesem Blogbeitrag ja ein Beispiel gibt, wie sie für Inklusion sorgt), die Aidsseelsorge, die Seelsorge in Flughafen und Bahnhof, die Polizeiseelsorge sowie die Notfallseelsorge, um nur einige zu nennen. Ja, wirklich schade, dass Loriot verstummt ist, denn es wäre interessant, zu erfahren wie er das genau gemeint hat. So bleibt uns heute nur noch die Interpretation. Und die kann verschieden ausfallen.
Die Kirche hat einen guten Magen,
hat ganze Länder aufgefressen… Johann Wolfgang von Goethe
Tja, Goethe sei dank, liefern doch seine knackigen Zitate heute noch Stoff, um aktuelle Diskussionen zu würzen. Die alles entscheidende Gretchenfrage gilt nicht nur dem Doktor Faust, sondern auch der Kirche. In seiner kritischen Haltung der Kirche als Glaubensinstanz gegenüber steht doch bei Goethe der Grundgedanke der religiösen Toleranz immer im Vordergrund. Von der Haltung Goethes können wir heute immer noch lernen, egal ob Staat, Kirche oder eine andere Grösse: die Bewegung, die Entwicklung muss vorwärts gehen und darf nicht in den Streitigkeiten der Gegenwart versumpfen. Mit einem Blick über den eigenen Tellerrand hinaus bedeutet das: Brücken bauen auf die andere Seite. Anerkennen von Unterschieden und Differenzen bietet wertvolle Bausteine zu diesem Brückenbau.
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