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Die Religionslandschaft der Schweiz ist bunt!

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Redaktionsteam
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Die Beiträge im Blog geben die Haltung der Autoren wider und müssen nicht in jedem Fall mit der offiziellen Haltung der kirchlichen Körperschaft übereinstimmen.
Katholische Kirche im Kanton Zürich
25. Mai 2016

Mitgliederverlust und Zuwachs gleichzeitig? Migranten machens möglich: Seit den 1960er Jahren bringen die gesellschaftlichen Veränderungen sowie die Zuwanderung Bewegung in die Kirchen und in die Religionslandschaft Schweiz. Religiöse Vielfalt im Christentum, die Zunahme von nicht-christlichen Religionsgemeinschaften sowie eine steigende Zahl von Konfessionslosen sind das Ergebnis dieser Entwicklung.

An der Veranstaltung „Wie verändert Migration die Religionslandschaft der Schweiz“ der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz AGCK von Mitte April stellte die Religionswissenschaftlerin JudithAlbisser vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI) erstmals ihre Thesen in einem Referat vor. In diesem Blogbeitrag fasst sie die wichtigsten Punkte zusammen:

Religiöse Vielfalt in der Schweiz

Die Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten von einem traditionell bikonfessionellen zu einem multireligiösen Land gewandelt.

Gehörten 1970 noch gut  95% der Schweizer Bevölkerung der römisch-katholischen oder der evangelisch-reformierten Kirche an, so sind es heute noch knapp zwei Drittel (63.4%, 2014).

In der gleichen Zeitspanne hat der Anteil der Konfessionslosen massiv zugenommen und liegt im Jahr 2014 bei 23%. Anteilig zugenommen haben auch die „anderen christlichen Gemeinschaften“, die muslimischen Glaubensgemeinschaften und die „anderen Religionsgemeinschaften“ (vgl. Grafik 1).

Grafik 1 Albisser

Quelle: BFS, Strukturerhebung, 2014. Grafik: SPI

Nicht nur die Religionslandschaft in der Schweiz ist im Wandel, sondern mit ihr auch die beiden Grosskirchen sowie andere christliche Gemeinschaften und andere Religions- und Glaubensgemeinschaften. Innerhalb des Christentums zeigt sich heute eine Vielfalt an Kirchen, Gemeinden, Missionen oder Glaubensbewegungen. Durch die internationale Migration vervielfältigen sich diese und wachsen stetig. Dazu gehören etwa pfingstkirchliche und charismatische Gemeinden, orthodoxe Kirchen oder Kirchen die auf die Reformationszeit zurückgehen, wie bspw. Lutheraner oder Anglikaner.

Nebst dieser christlichen Immigration haben auch andere Religionsgemeinschaften in der Schweiz Fuss gefasst:

Das sind

  • jüdische Glaubensgemeinschaften,
  • aus dem Islam hervorgegangene Gemeinschaften (wie bspw. Sunniten, Schiiten, oder Aleviten),
  • buddhistische Vereinigungen (wie bspw. Zen oder tibetischer Buddhismus),
  • sowie hinduistische Vereinigungen.

Das grösste Wachstumspotential weisen die muslimischen Gemeinschaften auf.

Muslimische Männer beten in der Moschee Dietikon. Foto: Christian Murer

Muslimische Männer beten in der Moschee Dietikon. Foto: Christian Murer

Die katholische Kirche profitiert von der Migration

Die Mehrheit der zugewanderten Menschen in der Schweiz gehört einer christlichen Religion an, nämlich mehr als die Hälfte (54.4%) der Menschen mit Migrationshintergrund im Jahr 2014.

Über die Hälfte der zugewanderten Menschen sind Christinnen und Christen – die katholische Kirche profitiert von der Migration.

Die grösste Teil davon, 38.4%, gehört der römisch-katholischen Kirche an, während 6.9% reformiert sind und 9.1% einer anderen christlichen Gemeinschaft angehören. Über ein Viertel (27.4%) sind konfessionslos. 13.4% sind Muslime und 3.4% gehören einer anderen Religionsgemeinschaft an (vgl. Grafik 2).

Die römisch-katholische Kirche verdankt es der Immigration von Menschen aus katholisch geprägten Ländern, dass ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nicht so stark abnahm, wie jener der evangelisch-reformierten Kirche.

Zusammensetzung der ständigen Wohnbevölkerung mit Migrationshintergrund 2014

Der Zusammenhang zwischen Religionszugehörigkeit und Migrationshintergrund erklärt mitunter die Veränderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten.

Tabelle Migration 2

Religiöse Vielfalt durch Individualisierung und Immigration

Die kulturelle Revolution in den 1960er Jahren brachte eine Individualisierung der Gesellschaft und das Streben nach individueller Freiheit mit sich. Das Individuum entscheidet nun frei von jedem Zwang über seine Ausbildung, Berufswahl, Partner oder Partnerin, seine sexuelle Ausrichtung, und gerade auch über Religion und Religiosität. Die religiöse Zugehörigkeit wird damit generell als wählbar angesehen und der Kirchenaustritt wird enttabuisiert. Fortan sieht sich das Individuum als  Kunde in religiösen Belangen und nicht mehr von Geburt an als zu einer Konfession zugehörig. [1]

Die kulturelle Revolution in den 1960er Jahren hat drei grosse Auswirkungen auf die Religion [2]

  1. Die Kirchen als Autorität wurden angegriffen und ihre Legitimation wurde ihnen seit den 1960er Jahren abgesprochen.
  2. Die kirchliche Jugendarbeit, die bis anhin einen wichtigen Stellenwert innehatte, wurde von den säkularen Konkurrenzangeboten (wie bspw. Freizeitangebote) ausgehebelt.
  3. Innerhalb der Grosskirchen selbst fand eine eigentliche Revolution statt:
    – Auf katholischer Seite war das zweite Vatikanische Konzil (1962-65) ein einschneidendes Ereignis das zu grossen Veränderungserwartungen führte.
    – Auf der reformierten Seite kursierten massiv institutionskritische Gedanken.

Diese verstärkten Individualisierungsprozesse seit den 1960er Jahren sind mitunter ein Grund für die Religionsvielfalt in der Schweiz. Das zweite Motiv bildet die Immigration. Die Einwanderung trägt nicht nur zu einer Vielfalt innerhalb des Christentums bei; durch die Migration kommen auch verschiedene andere Religionsgemeinschaften in die Schweiz. Der Trend zeigt, dass sich die religiöse Vielfalt in der Schweiz fortsetzten wird.

[1] nach Stolz et al.: Religion und Spiritualität in der Ich-Gesellschaft, 2014, S. 54.

[2] nach Stolz et al.: Religion und Spiritualität in der Ich-Gesellschaft, 2014, S.55.

Zur Autorin:

Judith Albisser_FOTO_spi

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Judith Albisser, Jg. 1979, studierte Religionswissenschaft, Allgemeine Ökologie und Ethnologie in Bern. Während dem Studium arbeitete sie als Hilfsassistentin bei verschiedenen empirischen Projekten der PH Bern und Zürich mit. Zwischen 2010-2011 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei INFOREL tätig. Während den Jahren 2011-2013 absolvierte sie an der Universität Luzern den Studiengang Master of Arts in Religionslehre mit Lehrdiplom für Maturitätsschulen. Seit 2011 arbeitet sie im Redaktionsteam von Aufbruch , der unabhängigen Zeitschrift für Religion und Gesellschaft, mit. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am SPI arbeitet sie seit 2013 .