Kirche aktuell

Angriff auf Adam?

Angriff auf Adam?
Detlef Hecking
Zentralsekretär des Schweizerischen katholischen Bibelwerks und Leiter der Bibelpastoralen Arbeitsstelle
Detlef Hecking
15. Dezember 2017

Zu einer absurden «Debatte» über die neue Einheitsübersetzung im BLICK

Freitag, 8. Dezember: Auf dem Weg zu einem Wochenendkurs fragt mich eine Journalistin des BLICK telefonisch an, was es damit auf sich habe, dass in der revidierten Einheitsübersetzung der Bibel «Adam» gestrichen worden sei?

Meine spontane Reaktion: Adam sei natürlich noch drin in der Bibel, überhaupt nicht gestrichen. Aber das hebräische ha-adam bedeute zunächst und vor allem «Mensch» und habe mit adamah , Erde, zu tun. Der Mensch – ein «Erdling» also.

Nach Genesis 1,27 habe Gott den Menschen ( ha-adam ) als sein (Ab)Bild, «als Mann und Frau» (Einheitsübersetzung 1980) bzw. «männlich und weiblich» geschaffen (revidierte Einheitsübersetzung 2016). Ein Gattungsbegriff also, ohne geschlechtliche Zuordnung, kein Mann.

Als männlicher Personenname werde «Adam» in der Bibel nur selten verwendet. Man müsse an manchen Stellen entscheiden, ob «Mensch» oder «Adam» gemeint sei. Neu sei das ganz und gar nicht.

Warum der BLICK das Thema jetzt – ein Jahr nach Erscheinen der revidierten Einheitsübersetzung (EÜ) – aufgreift, bleibt unklar. Erst später erfahre ich, dass ein FPÖ-Politiker in Österreich die absurde Polemik um eine angeblich «gegenderte» Bibel mit einer Facebook-Abstimmung losgetreten hatte. Das Ortsbistum Linz hat die Vorwürfe des Politikers als unhaltbar zurückgewiesen.

Nun ist das Thema mit Unterstützung aus dem Bistum Chur in die Schweiz hinübergeschwappt. Die Zitate des Kirchenrechtlers Niklaus Herzog, die später im BLICK stehen werden, lassen keinerlei Sachkenntnis erkennen. Und Bischof Vitus Huonder bestreitet über seinen Mediensprecher jede Kenntnis vom Sachverhalt – obwohl er Mitherausgeber der Einheitsübersetzung ist und im jahrelangen Revisionsprozess zahlreiche Einflussmöglichkeiten auf die Übersetzung hatte.

Noch im Sommer 2016 lag ihm wie allen anderen deutschsprachigen Bischöfen der Text, der zuvor von den Bischofskonferenzen sowie den zuständigen Kommissionen in Rom jahrelang geprüft und genehmigt worden war, zur endgültigen Freigabe vor.

Auf dem Weg zum Kursort prüfe ich die Details: Weit über 500 Mal kommt das Wort adam in der hebräischen Bibel vor, fast ausschliesslich in der Bedeutung «Mensch/Menschheit». Nur an 14 Stellen wurde es in der Übersetzung von 1980 mit «Adam» und damit als Eigenname des mythischen ersten (männlichen) Menschen wiedergegeben. Die Übersetzung von 2016 hat das an acht Stellen revidiert und dort neu mit «Mensch» übersetzt. Stehen geblieben ist «Adam» als Personenname an sechs Stellen.

Die Leserreaktionen auf den laut BLICK angeblich gestrichenen Adam sind eindeutig: «Jetzt spinnt die Kirche endgültig, nur noch «jenseits» und «Gender-Gaga» (so nicht nur Kirchenjurist Niklaus Herzog im BLICK, sondern auch ein Buchtitel von Birgit Kelle, die Bischof Vitus Huonder sein Bischofswort gegen Gendertheorie verfassen liess).

Eine unübersichtliche und weitgehend faktenfreie Gemengelage. Hauptsache, «die Kirche» bekommt ihr Fett weg.

Dass Mitarbeiter des Bistums Chur bei dieser jüngsten kirchenschädigenden Aktion die Suppe anrührten, macht die Sache pikant. Und dass konservative katholische Kreise Krokodilstränen über angebliche Frauenverachtung in der neuen katholischen Bibelübersetzung vergiessen, dabei aber tatsächlich ihr obsessives Lieblingsthema eines angeblichen «Gender-Gaga» bespielen, gehört zur höheren Kunst kirchenpolitischer Intrige.

Anstatt geistvoll Segel zu setzen, schlagen sie das Kirchenschiff mutwillig leck. Diesmal, indem die offizielle römisch-katholische Bibelübersetzung ohne jeden Sachverstand lächerlich gemacht wird.

Zurück zum Grund für die Revision im Buch Genesis: Wenn «Mensch/Menschheit/Erdling» gemeint ist, steht adam im Buch Genesis mit direktem Artikel ( ha-adam oder l e -adam ). Das ist an allen Stellen der Fall, wo in der revidierten EÜ neu und zu Recht «Mensch» statt «Adam» übersetzt wurde. An den anderen Stellen steht das hebräische Wort ohne Artikel ( adam ) und wird folgerichtig weiterhin als Eigenname übersetzt.

Michelangelo, 1509/1510, Die Erschaffung Evas in der Sixtinischen Kapelle; Web Gallery of Art

Das ist nur dann irritierend, wenn der Erzählzusammenhang nicht beachtet und die entsprechenden Stellen aus dem Kontext gerissen werden. Solange es in der noch jungen Schöpfung nur das erste Menschenpaar gibt, heisst es z.B.: ha-adam (mit Artikel), also der Mensch, «erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger und gebar Kain» (Gen 4,1). Am Ende des Kapitels – inzwischen wurde von zahlreichen Nachkommen des ersten Menschenpaares erzählt, deshalb ist Differenzierung und genauere Bezeichnung innerhalb der Menschheitsfamilie notwendig – heisst es: adam (ohne Artikel), also Adam, «erkannte noch einmal seine Frau» (4,25).

Dass Genesis 1-5 so zwischen «dem Menschen» und «Adam» unterscheidet, zeigt nicht zuletzt, dass die Verfasser der Schöpfungserzählungen keine naturwissenschaftlichen Sachverhalte darstellen wollten. Die Schöpfungserzählungen wollen grundlegend von der Herkunft und Bestimmung des Menschen erzählen («männlich und weiblich», Gen 1,27) und damit Identität und Glauben begründen.

Und jetzt?

Gefragt wären Bischöfe, die nicht nur ihre und unsere revidierte Einheitsübersetzung verteidigen, sondern auch ihre Verantwortung für einen aufgeklärten, erwachsenen Glauben wahrnehmen. Solche Bischöfe könnten dann beispielsweise sagen: Wir wissen, welchen unermesslichen Schatz wir in den biblischen Schöpfungserzählungen haben: Glaubens-Geschichten, die vom Ursprung, von der gottgewollten Bestimmung und auch von der Anfälligkeit des Menschen erzählen. Aber wir wissen auch, was wir darin nicht haben. Die biblischen Schöpfungserzählungen sind weder naturwissenschaftlich noch historische Berichte, sondern narrative Theologie. Adam, Eva und Noah hat es – als historisch-individuelle Personen – nie gegeben. Trotzdem sind sie kostbare Identifikationsfiguren für den Glauben. In diesem Sinne bleiben ihre Geschichten wahr, denn sie sagen Zentrales über unsere Identität aus.

Mit und ohne Adam – so, wie es im hebräischen Urtext jeweils steht.

Der Theologe Detlef Hecking (50) ist Zentralsekretär des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks SKB , Stellenleiter des Bibelpastoralen Arbeitsstelle und Lehrbeauftragter für Neues Testament an der Universität Luzern . Er ist Vater von zwei Kindern und wohnt in Jegenstorf BE.