Kirche aktuell

Anders über das Thema Abtreibung sprechen

Spitalseelsorgerin, Sprecherin "Wort zum Sonntag"
Nadja Eigenmann
Nadja Eigenmann
05. Dezember 2018

Papst Franziskus vergleicht Abtreibung mit Auftragsmord. Es geht auch anders. Ich stehe dafür ein, dass Mütter und Väter, die sich gegen das Leben ihres ungeborenen Kindes entschieden haben, von niemandem verurteilt werden dürfen! Auch nicht von einer religiösen Instanz.

  • Eine indianische Weisheit lautet: «Beurteile nie einen Menschen, bevor du nicht mindestens einen halben Mond lang seine Mokassins getragen hast.» – «mindestens ein halber Mond lang», das ist mindestens ein halber Monat.
  • Christlicher Glaube ist zutiefst ein Erlösungsglaube. Im neuen Testament ist überliefert, dass Jesus am Kreuz alles Schwere, alles Unvollkommene, der Menschen – damals, für uns heute und für die, die in Zukunft leben werden – getragen und ertragen hat.
  • Aus der jüdischen Tradition stammt vom Prophet Jeremia folgende wundervolle Überlieferung über Gott: «Denn ich, ich kenne die Gedanken, die ich über euch denke, Spruch des Herrn, Gedanken des Friedens und nicht zum Unheil, um euch eine Zukunft zu geben und Hoffnung.» (Jer 29,11)

Gemeinschaftsgrab für Engelskinder

Im Frühling 2019 wird auf dem Friedhof in Horgen ein neues Gemeinschaftsgrab eigens für früh verstorbene Kinder – wir nennen sie Engelskinder – angelegt. Es ist ein interdisziplinäres Projekt, für das ich mich einsetzen konnte.

Als Mitglied der katholischen Kirche setze ich ein Zeichen für die Würde der früh verstorbenen Kinder, die nicht leben konnten oder durften, und ein Zeichen für die Würde der Mütter, die diese Kinder in sich getragen haben.

Erstmals habe ich dieses Jahr im November Föten, die im See-Spital Horgen durch einen natürlichen Abort oder Schwangerschaftsabbruch tot zur Welt kamen, im Rahmen einer interreligiösen Abschiedsfeier im bestehenden Gemeinschaftsgrab auf dem Friedhof in Horgen in beerdigt.

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Urne Gemeinschaftsgrab Engelskinder. Foto Felix Zgraggen

Es ist den Hebammen und uns Spitalseelsorgerinnen darum gegangen, dass die bis zur 22. Schwangerschaftswoche (SSW) tot geborenen Kinder nicht mehr entsorgt werden müssen, wenn Eltern, aus welchem Grund auch immer, keine Verantwortung für die Beerdigung ihres früh verstorbenen Kindes übernehmen wollen.
Ab der 22. SSW oder wenn der Fötus 500 g schwer ist, ist die Bestattung gesetzlich vorgeschrieben. Vor der 22. SSW oder wenn der Fötus weniger als 500 g wiegt, ist sie nicht zwingend, sondern freiwillig.

Besondere Verantwortung für „verwaiste Föten“

Viele Eltern übernehmen die Verantwortung, ihr Kindlein zu beerdigen, wenn es vor der 22. SSW stirb, aber nicht alle. Für diese „verwaisten“ Föten haben die Hebammen, meine reformierte Kollegin und ich besonders Verantwortung übernommen:

  • Ein Zeichen der Würde gegenüber den Kindern, die nicht leben konnten oder durften, indem wir sie würdevoll bestatten.
  • Ein Zeichen der Würde gegenüber allen Frauen!

Fünf Kerzen brennen für alle

Die Urne mit der Asche der früh verstorbenen Kinder haben wir der Mutter Erde übergeben. Es brannten 5 Kerzen:

  • für die Engelskinder
  • für die Mütter
  • für die Väter
  • die vierte für die Geschwister, die Grosseltern, Verwandten und Freunde
  • und die fünfte für die Hebammen, Ärztinnen und Ärzte der Frauenklinik.

Eine zweite Kerze habe ich für die Mütter dieser Engelskinder und stellvertretend für alle Mütter, die um den Verlust ihres Kindes oder ihrer Kinder trauern, angezündet. Die dritte Kerze brennt für die Väter der Engelskinder und stellvertretend für alle Väter, die um den Verlust ihres Kindes oder ihrer Kinder trauern.  Manchmal entscheidet die Natur, dass ein Kind nicht lebensfähig ist. Dies ist für die Eltern mit grossem Schmerz und Traurigkeit verbunden. Die Tränen dieser Mütter und Väter sind Ausdruck des Schmerzes und der Trauer. Und ihre Tränen sind Zeichen der Liebe zu ihrem Kind.
Manchmal treffen Eltern bewusst eine Entscheidung, die mit Schmerz und Trauer verbunden ist. Manchmal sind Frauen in ihrer Entscheidung ganz auf sich allein gestellt. Die Tränen dieser Mütter und Väter sind Ausdruck der Schwere ihrer Entscheidung, des Schmerzes und der Trauer. Und ihre Tränen sind Zeichen der Liebe zu ihrem Kind.