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Corona – ein Erfahrungsbericht Panik hilft niemandem

Panik hilft niemandem
Leben mit Corona: Abwarten und Teetrinken. Bild: Flickr Tim Reckmann
Barbara Schmid-Federer
Barbara Schmid-Federer lebt in Männedorf. Sie ist Präsidentin von Pro Juventute und Vizepräsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes.
Barbara Schmid-Federer
Wie fühlt sich Corona an? Die ehemalige CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer hat die Krankheit am eigenen Leib und in ihrer Familie erlebt. Ihr Erfahrungsbericht zeigt: Corona ist eine ernste Sache, aber wir stehen dem Virus nicht hilflos gegenüber. So macht die Autorin auch Mut, irrationale Ängste zu überwinden.
15. April 2020

Als das Corona-Testergebnis nach Tagen des Wartens endlich bei uns eintraf, wussten wir längst, dass wir infiziert waren. Wie tote Fliegen lagen wir in der Stube herum und warteten darauf, bis einer von uns die Kraft hatte aufzustehen, um einen Tee zu kochen.

Die Krankheit

Corona hatte uns fest im Griff. Aber nicht alle gleich. Während mein Mann einen trockenen Husten und hohes Fieber für kurze zweieinhalb Tage hatte, spürte ich einen eigenartigen Druck auf der Lunge, einen ganz leichten Husten und eine grosse Müdigkeit. Wir beklagten uns über seltsame Kopfschmerzen und ich selber hatte zuerst einmal heftigen Durchfall.

Abwarten und Tee trinken war die Devise. Bereits nach drei Tagen ging es uns so gut, dass wir wieder ein wenig Haushalt machen konnten. Ich informierte Verwandte und Freunde, es gehe uns bereits besser. Aber es sollte anders kommen.

Nach etwa einer Woche setzten bei mir extreme Gliederschmerzen ein. Und ich hatte sprunghaftes Fieber – manchmal gar keines, dann wieder ganz hohes. Ein ewiges Hin- und Her. Anders als bei einer normalen Grippe, wo man am Morgen wenig Fieber hat und gegen Abend eher mehr.

Egal ob Fieber oder nicht, es waren die Gliederschmerzen, welche die Krankheit zeitweise schier unerträglich machten.  So blieb ich drei Tage liegen. Unangenehm war eine gewisse  Angst: Man spürt, dass etwas Fremdes da ist und niemand weiss, was es mit einem macht. Dabei hatte ich stets das Bild der Pflegefachfrau vor Augen, die gesagt hat, man könne sich gar nicht vorstellen, wie schlimm die Thorax-Bilder aussehen würden, auch bei denen, die sich nur leicht krank fühlten. Und dass das Virus auch noch andere Organe angreifen könnte. Bis heute frage ich mich, wie meine Lunge wohl ausgesehen hat, bzw. es heute noch tut.

Nachdem ich die Erfahrung gemacht hatte, dass der Krankheitsverlauf eine überraschende Wende genommen hatte, blieb die Frage im Raum, ob es auch noch zur extremen Atemnot kommen werde, was zum Glück aber nicht der Fall war. Den Geruchssinn habe ich in der Zeit verloren. Gemäss Experten kann es Wochen dauern, bis dieser wieder zurückkommt. Darauf freue ich mich im Moment am meisten. 

Die Betroffenheit

Anders als bei bekannten Krankheiten reagierten Freunde und Bekannte eher unberechenbar. Menschen, die sich jeweils liebevoll um uns kümmern, wenn wir krank sind, meldeten sich kaum oder wenn, dann mit der panikartigen Frage, ob man sie vor einer Woche noch angesteckt habe oder eben nicht. Wir verbrachten täglich mehrere Stunden am Telefon, um unser Umfeld zu beruhigen. Menschen, die uns sonst gut gesinnt sind, machten uns Vorwürfe und konnten schlicht nicht verstehen, warum man so naiv sei, sich angesteckt zu haben. Ganz absurd war, wenn Menschen aus unserem Umfeld gemieden wurden, obwohl wir diese während Wochen nicht gesehen hatten.

Und dann gab es die anderen, welche uns verwöhnten, das Essen vor die Tür stellten und sogar regelmässig Kuchen für uns backten. Liebenswürdige Gesten, die in den Corona-Zeiten wichtig sind.

Wenn ich das Verhalten der Menschen um uns herum während und nach der Erkrankung beschreiben müsste, wäre es «irrational».

Gerade auch die Nachricht der Heilung hat wieder absolut unerwartete Reaktionen hervorgerufen: Da waren die einen, die sich weigerten, mit uns in Kontakt zu treten, obwohl wir nach der Genesung das wohl sicherste Gegenüber überhaupt darstellen, da weder ansteckend noch ansteckbar. Andere wiederum haben angefangen zu Weinen vor Freude, obwohl sie uns gar nicht besonders nahestehen. Diese Reaktionen zeigen einfach, dass das Virus die Menschen verändert. In abnormalen Zeiten reagieren viele anders als sonst.

Doch auch ich selber machte eine Veränderung durch. Vermeintlich lustige Homeoffice-Stories auf Social Media empfand ich zum Teil als unerträglich. Auch Prominente, welche sich in Zeiten der Krise profilieren wollen, anstatt sich um die Kranken zu kümmern. Umgekehrt bewundere ich die vielen Selbständig erwerbenden, welche mit viel Geduld das Ende der Krise abwarten, in der Hoffnung, wirtschaftlich wieder Fuss fassen zu können. Die Kranken, das Pflegepersonal und die wirtschaftlich Betroffenen. Sie sollten uns jetzt beschäftigen. Besonders gefreut habe ich mich über die Gottesdienste am TV. So wurde es möglich, sich virtuell im Kloster Einsiedeln oder im Grossmünster aufzuhalten. Das hat mir sehr geholfen.

Mein Wunsch für Betroffene und Angehörige

Das Corona-Virus ist keine banale Angelegenheit. Unsere Körper sind immer noch müde und benötigen mehr Ruhe als vor der Erkrankung. Weil das Virus unberechenbar ist, ist es wichtig, dass unser Gesundheitssystem für diejenigen da sein kann, welche wegen Atemnot im Spital behandelt werden müssen. Das hat absolute Priorität.

Angehörige müssen sich bewusst sein, dass der Gesundheitszustand nicht berechenbar ist. Also bitte auch dann noch nachfragen, wenn die Patienten selber der Meinung sind, es gehe ihnen besser. Das ist keine gesicherte Besserung.

Auf der anderen Seite gibt es sehr viele Corona-Patienten, welche die Krankheit beinahe unbemerkt durchmachen oder einen leichten Krankheitsverlauf haben. Das gibt Hoffnung.

Mein Fazit

Corona ist eine ernste Sache. Aber Panik ist unnötig und hilft niemandem. Was hilft, ist fürsorgliche Anteilnahme, selbstverständlich unter Beachtung der Vorsichtsmassnahmen. Ich bin dankbar, das Virus überwunden zu haben und verfüge nun wieder über Zeit und Kraft, andere Kranke und Betroffene zu betreuen. Über Pro Juventute will ich helfen, die Situation von Kindern und Jugendlichen in Krisenzeiten zu verbessern und um über das Schweizerische Rote Kreuz Menschen in Krisensituationen zu unterstützen.

Ich wünsche allen gute Gesundheit. Tragen wir Sorge zueinander.