Kirche aktuell

Pfingsten 40 + 50 = ꝏ (unendlich)

Leiter Ressort Pastoral
Rudolf Vögele

früherer Leiter Pastoral im Generalvikariat

Rudolf Vögele
Eine ganz einfache Rechenaufgabe: Was ergibt 40 + 50? Klar 90! Aber ‹christlich gerechnet› könnte auch ein anderes Ergebnis herauskommen: Die vierzig Tage zwischen Aschermittwoch und Ostern plus die fünfzig Tage zwischen Ostern und Pfingsten ergeben nicht nur 90, sondern einen unendlichen Zyklus – im mathematischen Zeichen: ꝏ. Fasten – Osterfreude – BeGEISTerung. Jedes Jahr aufs Neue. Ist es in diesem Jahr anders?
12. Mai 2021

damals

Die Jüngerinnen und Jünger Jesu hatten Glück: die Fastenzeit gab es noch nicht. Denn sie mussten sich ja auf das Osterfest nicht vorbereiten. Es kam überraschend. Als sie mit Jesus von Galiläa nach Jerusalem hinabzogen, ahnten sie wohl noch nicht, dass sein Tod und seine Auferweckung bevorstehen. Aber selbst nach diesem ersten Ostertag rennen sie nicht hallelujarufend auf die Strassen, sondern bleiben ganz still und leise bzw. betend in dem Obergemach (Apostelgeschichte 1,13), harrend, was nun wohl noch kommt.

Was dann 50 Tage später tatsächlich passiert ist, weiss niemand so recht. Vermutlich haben sie, wie alle anderen Juden auch, das Schawout, als das jüdische Erntedankfest, gefeiert und sind deshalb ausser Haus gegangen. Und vielleicht sind ihnen dabei noch viel mehr Menschen begegnet, die von ihrem Jesus angetan waren, was ihnen bis dahin gar nicht aufgefallen war? Jedenfalls brach in die diesem multikulti-Zentrum Jerusalem regelrecht ein Sturm los: Anderssprachige wurden zu Freunden, jeder und jede verstand, um was es geht, was und wer nun gehen muss…. Und der sonst nicht so wortgewaltige Petrus erklärt den staunenden Juden, dass es jetzt Zeit ist, Jesus als den Messias zu erkennen, anzuerkennen (Apostelgeschichte 2,14-36). Ihr pfingstlicher Mut verliess sie auch nicht, als sie ihren Glauben mit dem Leben bezeugen mussten.

heute

In diesem Jahr 2021 erlebten wir schon vor dem 30. Mai ein pfingstliches Ereignis: Bischof Joseph Maria Bonnemain wird als der neue «Retter» des Bistums Chur gefeiert. Und alle Welt versteht ihn, wenn er in kath.ch, in Fernsehinterviews, im BLICK oder in der Schweizer Illustrierten von seiner Vision als Bischof erzählt. Selbst der Institution Kirche sehr fern oder sehr kritisch gegenüber Stehende beeindruckt dieser «Gottes- und zugleich Muskelmann». Eine Kirche nahe bei den Menschen, die sich nicht verschanzt in einem Schloss oder hinter Strukturdebatten – das kommt an. Aber Bischof Joseph betont auch immer wieder: das Bistum Chur neu aufbauen, Brücken bauen, das kann er nicht alleine! Dazu bedarf er vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter….

Also auch heute: raus aus dem Obergemach, hin zu den Menschen, auf die Strassen!

Dazu brauchen wir uns aber keine Zeit lassen bis Ende Mai – und sollen wir mit Sicherheit auch nach dem Pfingstfest 2021 nicht aufhören!

Der Heilige Geist hält sich nicht an unser Kirchenjahr – er weht, wann und wo er will (Johannes 3,8). Aber: er braucht Landebahnen! Und die scheinen, wenn ich die Bibel recht deute, nicht auf oder in den Köpfen Verängstigter oder Engstirniger zu liegen (vgl. Matthäus 23), sondern zwischen mutigen und dialogbereiten Menschen, egal welcher Herkunft, Kultur und Religion.

… und allezeit

Wir im Bistum Chur – und speziell auch in der katholischen Kirche im Kanton Zürich – werden mit der Aufarbeitung der letzten drei Jahrzehnte wohl eine Weile brauchen. Viele Gespräche werden dafür unumgänglich und (hoffentlich) notwendend sein. Aber fast noch wichtiger ist das Gespräch mit denen, von denen sich die Kirche entfremdet hat, aus deren Leben sie selbst ausgetreten ist, wie ich es in meinem Buch "Die ausgetretene Kirche" ausführe.

Wäre das nicht ein Vorsatz für die nächste Zukunft - statt wie üblich nur für das neue Jahr oder für die Fastenzeit:

  • mit Menschen, von denen ich weiss, dass sie anders ticken als ich, das Gespräch zu suchen?
  • Je nach eigener Ressource vielleicht jeden Tag
    • ein Besuch,
    • ein Anruf,
    • eine E-Mail
    • oder eine Karte oder sogar einen handgeschriebenen Brief?

So könnte es Pfingsten werden, nach und nach und immer wieder – unendlich - ꝏ.

Vielleicht wird uns dadurch auch die eine oder andere ‹Auferweckung› geschenkt und wir können aus ganzem Herzen jubilieren: Halleluja! Und zwischendurch mit gutem Gewissen auch immer mal wieder fasten, zur Ruhe kommen, die Wüste erleben und auch geniessen.

Das ist christliches Leben, unendlich ꝏ, zumindest bis wir endgültig zu IHM hineinspringen in den «Brunnen voll Licht», wie es der Songwriter und Priester Alexander Bayer so schön besingt.