Kirche aktuell

Gemeinsam gegen Missbrauch Prävention wirkt, auch wenn nicht alle mitmachen

In einer Veranstaltung vom Magazin Forum und der Paulus Akademie wurde zum zweiten Jahrestag nach Veröffentlichung der Missbrauchsstudie der Stand der Dinge diskutiert. Dabei wurde festgestellt: Missbrauch ist kein alleiniges Problem der römisch-katholischen Kirche und Prävention darf nie aufhören.
12. September 2025 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Welche Rolle spielt die ökumenische Zusammenarbeit? Wer übernimmt nun in welchem Rahmen Verantwortung? Welche Voraussetzungen sind für wirksame Schutzkonzepte notwendig? Und wie kann das Thema aufs politische Parkett gebracht werden? Diese Fragen wurden an einer Podiumsveranstaltung an der Paulus Akademie diskutiert anhand der konkreten Forderung nach Schutzkonzepten in der Prävention.

Schutzkonzepte entwickeln

Zuerst zu Wort kamen die Präventionsfachfrauen: Ihre Einblicke aus der täglichen Arbeit waren besonders wertvoll. «Weil ich heute Geburtstag habe, gibt es jetzt einen Kuss.» Dieses Aufforderung an eine Frau, die als Freiwillige Besuche machte, stammt aus der Sammlung von Beispielen, die Dolores Waser Balmer in ihren Präventionsveranstaltungen im Bistum Chur bespricht und am Donnerstag, 11. September, mit den 20 Anwesenden in der Paulus Akademie in Zürich teilte.

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Präventionsfachfrau der Katholischen Kirche, Dolores Waser Balmer, berichtet über Beispiele in ihren Kursen. Fotos: Eva Meienberger / FORUM

Es gehe darum, über ungute Beziehungssituationen sprechen zu lernen und die Teilnehmenden für die gesunden Aspekte einer Beziehung zu sensibilisieren, sagt die Fachfrau. Seit der Einführung des Verhaltenskodex im Bistum Chur im Jahr 2022 werden in Pastoralräumen und Gremien im Bistum Chur Schutzkonzepte entwickelt. Die Entwicklung dieser Konzepte und das Darübernachdenken helfen der Prävention, sagt Waser Balmer, denn Schutzkonzepte würden am effektivsten von den Menschen umgesetzt, die an der Erarbeitung beteiligt gewesen seien.

«Prävention ist nie abgeschlossen, sondern muss ständig angepasst werden.»
Dolores Waser Balmer

Die Präventionsfachfrau schätzt, dass 95 Prozent des kirchlichen Personals die Schutzkonzepte ernst nähmen und mithelfen, diese umzusetzen. Besonders hilfreich sei die Zusammenarbeit in der Prävention mit Menschen, die den sexuellen Missbrauch aus eigener Erfahrung kennen.

Hindernis Sexualmoral und Strukturen

Hinderlich hingegen sei die Ungleichberechtigung der Frauen in der katholischen Kirche, die katholische Sexualmoral und die kirchlichen Strukturen. Und Waser Balmer wünscht sich neben den von der Kirche unabhängigen Meldestellen eine kirchliche. Denn in der Arbeit mit Betroffenen habe sie immer wieder gemerkt, dass gewisse Personen explizit eine kirchliche Person ansprechen wollten, um ihre erschütterte Beziehung zur Kirche besprechen zu können.

Sabine Scheuter, Beauftragte für Personalentwicklung und Diversity der Reformierten Kirche Kanton Zürich, stellte in ihrem Statement ihre Arbeit vor. Dabei kam sie auf die neu erarbeiteten «Grundlagen und Standards zum Schutz der persönlichen Integrität» der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) zu sprechen. Mit sechs sogenannten Handlungsbausteinen soll dies gewährleistet werden.

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Podiumsdiskussion mit Stefan Loppacher, Cynthia Guignard, Lilian Studer und Moderatorin Veronika Jehle vom FORUM (v.l.n.r.).

Auch Sabine Scheuter betonte die Wichtigkeit, das Präventionswissen der Mitarbeitenden immer wieder aufzufrischen und dabei auch die kirchlichen Freiwilligen einzubeziehen. Es ginge nicht an, sich auf Schutzkonzepten auszuruhen. In der Schweiz sei das Thema vor allem gesetzlich aber auch theologisch immer noch schwer fassbar.

Gemeinsame Standards gewünscht

Auch auf dem anschliessenden Podium, das von Co-Redaktionsleiterin Veronika Jehle moderiert wurde, waren die neu erarbeiteten Grundlagen und Standards der EKS, die im Juni diesen Jahres an ihrer Synode verabschiedet wurden, ein Thema. Cynthia Guignard, Beauftragte für Kirchenbeziehungen mit Schwerpunkt Grenzverletzungen der EKS, betonte die Wichtigkeit gemeinsamer Standards für die Kirchen.

In der katholischen Kirche der Schweiz fehle eine solche Grundlage. Jedoch gebe es schon seit 20 Jahren Richtlinien, sagte Stefan Loppacher, Leiter der Dienststelle Missbrauch in kirchlichen Kontext der Römisch-katholischen Kirche in der Schweiz. Dort seien einzelne Aspekte geregelt. Seine Dienststelle sei daran, Standards für Meldestellen zu erarbeiten. Verbindliche Standards für die Prävention fehlten jedoch.

Nationale Regelungen sollen kommen

Nach der Veröffentlichung der Pilotstudie seien viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier sehr betroffen gewesen und es habe im Parlament die Meinung vorgeherrscht, dass die Missbrauchsprävention schnell gestärkt werden müsse, erinnerte sich Lilian Studer, ehemalige Nationalrätin und Präsidentin der Evangelischen Volkspartei . 

Die Alt-Nationalrätin möchte, dass gewichtige Themen wie die Missbrauchs-Prävention national geregelt werden können. Studer reichte erst eine Motion ein, die abgelehnt wurde, später wurde daraus ein Postulat für eine nationale Regelung. Dieses wurde von beiden Kammern angenommen und zieht nun einen Bericht des Bundesamtes für Sozialversicherungen nach sich.

Austausch unabdingbar

In der Begleitgruppe zur Erstellung des Berichts sind unter anderen Stefan Loppacher und Cynthia Guignard. Beide Präventionsexperten waren sich am Podium einig, dass der Austausch zwischen staatlichen und kirchlichen Stellen unabdingbar sei. Ebenfalls brauche es griffige gesetzliche Grundlagen, etwa zum spirituellen Missbrauch. Ansprechpersonen und gemeinsame Standards auf kantonaler Ebene seien sehr hilfreich, wie dies im Kanon St. Gallen bereits der Fall sei, sagte Stefan Loppacher.

Auf die Frage nach der Bedeutung der ökumenischen Zusammenarbeit in der Missbrauchsbekämpfung waren die Podiumsteilnehmenden zurückhaltend. «Prävention bedeutet zu einer lernenden Organisation zu werden», sagte Stefan Loppacher. Wichtig sei es, im Austausch mit anderen Kirchen zu sein und voneinander zu profitieren, was aber vor allem zähle sei des fortwährenden Prozesses: «Die Prävention zerfällt, wenn wir nicht laufend in sie investieren.»

Cynthia Guignard gab ausserdem zu bedenken, dass die kirchlichen Strukturen komplex seien. Die EKS bestehe aus 20 Landeskirchen, was zu langsamen Prozessen führe. Weitere Player aus der katholischen Kirche würden dies noch verschärfen.

Wichtige Öffentlichkeitsarbeit

Stefan Loppacher betonte, dass Prävention auch funktioniere, wenn nicht alle mitmachten. Umso wichtiger sei dann die Öffentlichkeitsarbeit. Wenn Standards bekannt seien, würden auch Verstösse besser erkennbar. Wichtig seien ausserdem externe Supportangebote für Behörden von HR-Profis, die wüssten, wie Personaldossiers oder schwierige Personalgespräche richtig geführt würden. Cynthia Guignard verwies ebenfalls auf die Wichtigkeit der Sensibilisierung der Basis, die der Prävention sehr helfe.

Die Veranstaltung in der Paulus Akademie gehörte zu einer Reihe, die sich verschiedenen Themenfeldern rund um die Aufarbeitung und Prävention des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der Kirchen widmet. Im September 2026 ist die nächste geplant.

Eva Meienberger, Autorin beim Magazin FORUM