Kirche aktuell

Die Zürcher Autorin Darja Keller über die Gretchenfrage «Warum bin ich noch in der Kirche?»

Bereichsleiter Kommunikation, Sekretär Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich
Simon Spengler

Gesamtverantwortung Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Katholischer Theologe und Journalist.

Simon Spengler
Die junge Zürcher Autorin Darja Keller fragt in der Zeitschrift annabelle in einem eindrücklichen Essay, warum sie als kritische Frau, die nicht an Gott glaubt, noch immer Mitglied der Kirche ist. Ein Musterbeispiel für eine reflektierte und säkulare Generation, die wir als Kirche gerade verlieren. Und deshalb ein wichtiger Text für kirchliche Verantwortungsträger, findet Simon Spengler.
20. Mai 2025

«Kaum ein Thema löst bei mir derart gemischte Gefühle aus wie das Katholischsein: die Missbrauchsfälle, die Vertuschung, das Grauen. Die Erinnerungen meiner Mutter an die Strenge ihrer Kindheit, die Rigidität. Und die Geborgenheit, die der spirituelle Rahmen mir als Kind gab (…) Darf das alles zur selben Zeit existieren? Und noch wichtiger: Darf ich einer solchen Institution aus reiner Nostalgie treu bleiben»?

Mit diesen Sätzen beginnt der lesenswerte Essay der Autorin Darja Keller. Heute hat die in Zürich lebende Frau jeden Bezug zur Kirche verloren und fragt sich immer häufiger: «Warum bin ich eigentlich nicht ausgetreten?» Denn sie glaube schon seit zehn Jahren nicht mehr an Gott, besuche keine Kirche und als lesbische Frau dürfe sie eine potenzielle Partnerin nicht einmal heiraten.

Darja Keller ist mit diesen Fragen eine typische Vertreterin einer ent-kirchlichten Generation, die jeden Bezug zur Kirche verloren hat und die in diesen Jahren scharenweise aus der Kirche austritt. Die weit verbreitete Antwort, die Kirche mache ja auch gute Sachen und deshalb sei die Kirchensteuer sinnvoll, lässt Keller nur bedingt gelten: «Das ist nicht der eigentliche Grund.» Sie ist noch Kirchenmitglied nur aus Sentimentalität, wegen ihrer Kindheitserinnerungen an Liturgie, Weihrauch, Kerzen, ihre Familientradition und katholische Sozialisation mit Erstkommunion und Firmung. Alles lange vorbei, aber noch nicht vergessen. Nur inhaltlich leer geworden und damit bedeutungslos.

Ein vielleicht letzter Versuch einer Wieder-Annäherung scheitert kläglich. Keller besucht seit langem mal wieder einen Gottesdienst. Ausser ihr noch vier männliche Besucher, der Priester, ein Ministrant. «Der unendlich grosse Raum trägt die Stimme des Pfarrers nur knapp bis zu mir. Mir ist kalt.» Zwar sage ihr der «Performance-Aspekt des Ganzen» zu, «aber ich kann nirgends einhaken, nichts mitnehmen». Das Fazit der Autorin:

«Je näher ich der Kirche komme, desto weiter weg will ich von ihr.»

Sentimentale Kindheitserinnerungen hin oder her. Und ihre Mutter habe «ihre Gründe gehabt», die Kirchlichkeit ihrer Generation nicht an die Tochter weiterzugeben.

Am Schluss ihres Essays füllt sie endlich das Austrittsformular aus, unterschreibt  es und will den Brief «morgen» abschicken. Wie tausende andere junge Menschen ihrer Generation, für die wir als Kirche leider noch immer keine adäquate Antwort gefunden haben. Kirche als soziale Umverteilungsorganisation wird zwar positiv wahrgenommen, überzeugt alleine aber nicht. Ein Zurück zu alten Gewissheiten und unkritische fromme Schwärmerei, wie sie in gewissen bischofstreuen kirchlichen Jugendbewegungen gepflegt wird, überzeugt diese erwachsen gewordenen kritischen Geister wohl noch viel weniger.

Es ist höchste Zeit,  uns als Kirche auf die Fragen dieser Generation vorurteilsfrei einzulassen. Deshalb ist es gerade für uns wichtig, Kellers Text aufmerksam zu lesen.

 

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Sie können den Artikel hier lesen (Annabelle 4/2025).

Darja Keller (*1994) lebt in Zürich und schreibt Kurzgeschichten und Essays. 2022 erschien ihr erster Erzählband Sihl City im re:sonar-Verlag, 2023 ihr Essay Dieser Song killt mich jedes Mal im Sukultur-Verlag. Sie arbeitet als Volontärin beim Magazin annabelle.