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Missbrauch Kirchenrechtler Bonnemain zu Missbrauch

Joseph Bonnemain spricht Klartext und sagt, warum auch er vom Gipfeltreffen im Vatikan enttäuscht ist und was jetzt passieren muss. Als Sekretär des «Fachgremiums Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Bischofskonferenz war er massgeblich an der Überarbeitung der verschärften Richtlinien beteiligt.
04. März 2019 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Zuerst eine Rückblende: Der Missbrauchsgipfel hat viele enttäuscht, weil die Kommunikation mangelhaft war und auf den ersten Blick nur wenig konkrete Veränderungen sichtbar sind. Können Sie diese Enttäuschung nachvollziehen?

Bonnemain
«Wer nicht unterscheidet, scheitert»: Offizial Joseph Bonnemain zu «Amoris Laetitia»

Ich kann diese Enttäuschung sehr gut nachvollziehen. Es war mir bewusst, dass ein dreitägiges Treffen mit 190 Teilnehmern nicht unmittelbar eine Reihe von konkreten Massnahmen liefern konnte. Dennoch habe auch ich mehr erwartet und war deswegen ernüchtert, um nicht zu sagen enttäuscht. Ich werde meiner Enttäuschung freien Lauf lassen, wenn die Universalkirche in den kommenden Monaten nicht klare, wirksame, umfassende und mutige Massnahmen verabschiedet. Wir sollten sozusagen den Verantwortlichen in Rom noch eine Schonfrist von wenigen Monaten gewähren.

In der Woche nach dem Missbrauchsgipfel im Vatikan verabschiedete jetzt die Schweizerische Bischofskonferenz nach längerem Entwicklungsprozess die überarbeiteten «Richtlinien der Bischofskonferenz und der Vereinigung der Höhern Ordensoberen der Schweiz». Gibt es wenigstens auf nationaler Ebene klare Signale und griffige Massnahmen? Welche?

Beides ist vorhanden: eine klare dezidierte Sprache und verbindliche griffige Massnahmen. Langfristig können wir das Grundübel, aus dem die sexualisierte Gewalt und alle anderen Übergriffe und Missbräuche entstehen, nur beseitigen, wenn in der Kirche der Klerikalismus und die Überhöhung von Personen, Ämtern - selbst von der Institution - überwunden werden. Das kann nur geschehen durch eine neue Art der Ausbildung.

«Eine neue Art der Ausbildung» klingt ziemlich schwammig. Können Sie präzisieren, was dies konkret bedeutet?

 In den überarbeiteten Richtlinien sind jetzt klare Kriterien formuliert für die Aufnahme von Kandidaten für die Priesterseminare, das Theologiestudium und Ordensgemeinschaften. Es muss von Anfang an klar sein, dass nur Personen zugelassen werden können, welche die psychische Fähigkeit aufweisen, ausgewogene, verantwortungsvolle, reife Menschen zu werden. Dies wird mit entsprechenden psychologischen Assessments kontrolliert. Es geht darum, Seelsorgende und in anderen Bereichen der Kirche Tätige auszubilden, die eine reife Affektivität und eine adäquate Wahrnehmung von Nähe und Distanz entwickeln können.

Bedeutet das höhere Hürden für eine berufliche Tätigkeit im kirchlichen Dienst oder Umfeld?

Neuerdings wird bei der Zulassung von Aspiranten und Kandidaten für den kirchlichen Beruf, bei allen Anstellungen/kirchlichen Ernennungen von im kirchlichen Umfeld Tätigen ein Privatauszug und ein Sonderprivatauszug aus dem Strafregister verlangt. Das gilt auch für alle Seelsorgenden, die aus anderen Ländern kommen und selbst von den bereits Tätigen werden solche Auszüge nachverlangt.

Wo haben unsere Bischöfe die früheren Richtlinien nachgebessert?

Die Liste von den neu eingeführten Massnahmen ist lang:

  • In jedem Bistum muss nun ein Präventionskonzept, welches einen respektvollen und achtsamen Umgang miteinander garantiert, vorhanden sein.
  • In jeder Diözese müssen Präventionsbeauftragte bestimmt werden, die in allen Bereichen des kirchlichen Wirkens die Prävention fördern und überwache.
  • Das Sekretariat des Fachgremiums "Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld" der Bischofskonferenz wird neuerdings die Qualitätskontrolle der diözesanen Präventionsmassnahmen und Aktivitäten übernehmen.
  • In den verschiedenen Bereichen der Fortbildung werden immer wieder die Verhatensvorboten und Risikosituationen thematisiert, welche auf ein Benehmen hinweisen, das mit der Zeit zu sexuellen Übergriffen führen könnte. Dies wird in den verschiedenen vorhandenen Gefässen umgesetzt: Jährliche Fortbildungskurse, Kurse für Pfarreileitende, Begleitung vo fremdsprachigen Seelsorgenden, Kurse für Pfarreisektretärinnen etc. Man will auch alle, die eine Multiplikatoren-Funktion wahrnehmen könnten, erreichen und sensibilisieren.
  • In den jetzt neu erlassenen und veröffentlichten Richtlinien wird ganz klar verpflichtend gemacht, dass die Leitungsverantwortlichen der Kirche bei einem begründeten Verdacht auf eine sexuelle Straftat mit Minderjährigen umgehend eine Strafanzeige an die Strafverfolgungsbehörden erstatten müssen.

Das sind alles kircheninterne Massnahmen. Wo bleiben die staatskirchenrechtlichen Körperschaften?

Diese Massnahmen werden nur wirksam sein können, wenn sie im Dualen System in der Schweiz auch von den staatskirchlichen Körperschaften und Organen getragen werden. Die neuen Richtlinien streben eine enge Zusammenarbeit an.

Eine 4. überarbeitete Fassung bedeutet, dass die Richtlinien bereits früher entwickelt und stetig angepasst oder verschärft wurden. Ist die Katholische Kirche in der Schweiz diesbezüglich weiter als andere Länder?

Wir dürfen nicht überheblich werden. Ich kann dennoch nüchtern und sachlich sagen, dass wir in den letzten Jahren einen Massstab erreicht haben, an dem sich andere Bischofskonferenzen orientieren könnten – oder sogar sollten.

Papst Franziskus hat angekündigt, dass Richtlinien zu Normen werden sollen. Wie verbindlich sind denn die jetzt verabschiedeten Richtlinien? Muss sich ein Bischof konsequent daran halten oder gelten sie als freundliche Empfehlung?

Ich persönlich erachte die entsprechende Aussage des Papstes in seiner Abschlussansprache beim Treffen in Rom als die wichtigste. Für Nichtjuristen ist die Wichtigkeit der Aussage wahrscheinlich nur schwer zu erkennen. Der Wille des Papstes ist ganz klar: solche Leit- und Richtlinien der Bischofskonferenzen gelten nun als verbindliche Normen, Gesetze für alle im Wirkungsbereich der entsprechenden Bischofskonferenz. Sie sollen nicht mehr als Orientierung und Empfehlung abgestuft werden.

Hat der einzelne Bischof für sein Bistum Spielraum?

Die Diözesanbischöfe müssen jetzt zusammen mit ihren Beratungsgremien schauen, wie sie diese verbindlichen Normen umsetzen, welche geeigneten Personen beauftragt werden und wie die Qualitätskontrolle wirksam stattfindet. Darin liegt die lokale Umsetzung und Verantwortung. Nun ist niemand mehr dispensiert, alle müssen die verbindlichen Richtlinien befolgen.

Wo sind denn die Schweizer Bischöfe führend und können anderen Bischofskonferenzen einen Steilpass bieten?

Es ist ganz klar, dass die Kirche in der Schweiz in einem entscheidenden Punkt weltweit führend ist: wenn wir die Plage und den Horror der sexuellen Übergriffe innerhalb der Kirche in Griff bekommen wollen, dürfen wir uns nicht auf die sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern, Minderjährigen und Schutzbefohlenen beschränken. Dort, wo ein Abhängigkeitsverhältnis - sei es seelsorglichen Charakters oder aus anderen Gründen - besteht, entstehen leicht psychische und spirituelle Manipulation, Machtmissbrauch und Missbrauch der Gewissen. Das geschieht leider auch gegenüber erwachsenen Frauen und Männern. Diese entscheidende Realität wurde in unseren Richtlinien von Anfang an verankert. Da hat die Weltkirche noch grossen Nachholbedarf.

Sie sagten in einem Beitrag zum Missbrauchsgipfel, es sei im jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, eine Analyse über das Ergebnis und die Nachhaltigkeit dieses Treffens zu machen. Wie viel Zeit geben sie den Mühlen der Kirche, bis konkrete Taten erkennbar werden?

Dies habe ich vorher bereits erwähnt: meine Geduld wird im Sommer nicht mehr vorhanden sein.

Und: Was tun Sie, wenn länger nichts geschieht?

Dann werde ich auf die Barrikaden gehen.

 

Links zur Medienmitteilung der SBK und zu den neuen Richtlinien zu sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld:

Medienmitteilung der Schweizerischen Bischofskonferenz «Wir stehen in der Pflicht» vom 28.02.2019

«Richtlinien der Schweizer Bischofskonferenz und der Vereinigung der Höhern Ordensobern der Schweiz zu sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld»

Kommentar von Joseph Bonnemain auf kath.ch: Ein verfrühter Kommentar zum Abschluss des Anti-Missbrauchsgipfels