Kirche aktuell

Caritas-Direktor über neue Armut in der Digitalisierung «Wer kommt heute noch ohne Smartphone aus?»

Im letzten Herbst befasste sich das Armutsforum der Caritas Zürich mit dem Thema Digitalisierung und Armut. Am Freitag, 27. Januar, thematisiert Caritas Schweiz die Ungleichheit in der Schweiz. Beiden Foren gemeinsam ist, dass der Zugang zur und der Umgang mit Technologie zunehmend die Diskussionen zur Bekämpfung von Armut prägen.
26. Januar 2023 Katholische Kirche im Kanton Zürich

In der reichen Schweiz ist der Wohlstand äusserst ungleich verteilt. Ein Prozent der Bevölkerung besitzt 45 Prozent aller Vermögen. Hunderttausende Personen, Familien und Alleinerziehende mit Kindern sind armutsgefährdet oder gar armutsbetroffen. Die aktuelle Inflation, die steigenden Nebenkostenrechnungen und die wirtschaftliche Unsicherheit erhöhen den Druck zusätzlich. Welche Folgen hat diese Ungleichheit, auch über das Materielle hinaus, auf die gesamte Gesellschaft? Besonders Migrantinnen und Migranten mit prekärem Aufenthaltsstatus leben in ständiger Angst vor der Ausweisung oder gar im Versteckten und verzichten deshalb auf soziale Unterstützung, die ihnen eigentlich zustehen würde. Gleichzeitig berichten die Caritas-Märkte von einem Umsatzrekord im letzten Jahr.

Björn Callensten arbeitet schon seit über neun Jahren bei Caritas Zürich, seit letztem Jahr als deren Direktor. Im Gespräch erklärt er die den Zusammenhang von Digitalisierung und Armut.

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Björn Callensten ist Direktor der Caritas Zürich. Foto: Sibylle Ratz

Jährlich findet in Zürich das Armutsforum der Caritas statt, am Freitag setzt sich Caritas Schweiz mit der ähnlichen Thematik auseinander. Wozu braucht es diese Foren?

Es geht darum, dass wir ein Thema vielseitig beleuchten, darauf aufmerksam machen und sensibilisieren. Wir bieten Fachleuten aus Politik, kirchlichen und sozialen Kreisen die Möglichkeit, sich mit verschiedenen Aspekten von Armutsbekämpfung auseinanderzusetzen. Ausserdem bietet ein solcher Anlass immer auch die Möglichkeit, die Netzwerke zu pflegen, was für eine effiziente Hilfestellung äusserst wertvoll ist.

Was ist das Fazit Ihrer Tagung vom Herbst?

Bei uns ging es ja um die zunehmende Digitalisierung in allen Lebensbereichen. Wir nehmen Digitalisierung in der Wirtschaft und in der Gesellschaft vor allem als Chance wahr. So wird es auch in der Öffentlichkeit in der Regel diskutiert. Als anwaltschaftliche Organisation für Menschen, die in verschiedenen Bereichen auf Hilfe angewiesen sind, sehen wir es als unsere Aufgabe, auch blinde Flecken zu beleuchten. Tatsache ist, dass Armutsbetroffene nur schon Schwierigkeiten haben, an die nötige Hardware, also ein Smartphone, einen Laptop zu kommen. Erschwerend ist, dass viele den Umgang mit der Technik auch gar nicht gewohnt sind und erst noch erlernen müssen.

«Digitale Inklusion muss für alle eine Selbstverständlichkeit werden.»

Björn Callensten

Was heisst das für die Caritas?

Wir müssen das Thema als Gesamtgesellschaft genauer anschauen. Auch die Arbeitgeber stehen in der Verantwortung. Die Chancen der Digitalisierung sind hinlänglich bekannt. Aber es muss uns auch bewusst sein, dass es Verlierer gibt. Denjenigen gilt es zu helfen, damit sie nicht auch noch in diesem Bereich abgehängt werden. Denken Sie nur schon daran, dass Rechnungen neuerdings praktisch nur noch mit QR-Code bezahlt werden können. Die Ticketautomaten der SBB sollen ja allenfalls auch abgeschafft werden. Da kommen Sie auch als jemand mit wenig Geld kaum mehr ohne ein Smartphone durch den Alltag. Für Migranten und Flüchtlinge ist es auch oft die einzige Möglichkeit mit der Heimat in Kontakt zu bleiben.

Auf welches digitale Gerät könnten Sie verzichten oder nicht verzichten?

Wer von uns kommt noch ohne Smartphone aus? Ich versuche schon auch, Pausen einzulegen. Aber nur schon die Koordination von Familienterminen wäre mittlerweile fast nicht mehr denkbar ohne die bestehenden technischen Geräte.

In welchem Bereich setzt die Caritas Schwerpunkte?

Wir wollen weiterhin achtgeben, dass nicht ganze Bevölkerungsteile zurückbleiben. Wir möchten Fachleute, Arbeitgeber und auch Behörden dafür sensibilisieren, jeweils die Schnittstellen bei Angeboten nicht nur digital, sondern immer noch auch analog zu denken. Wir müssen Übersetzungsarbeit leisten für Armutsbetroffene und niederschwellige Angebote schaffen, damit auch Menschen ohne Hightech-Ausrüstung an der Gesellschaft teilhaben können. Wir reden von digitaler Inklusion. Ohne diese werden wir künftig noch viel grössere gesellschaftliche Probleme bewältigen müssen.

Was plant die Caritas zur digitalen Teilhabe? Oder was macht sie schon?

Wir haben bereits verschiedene Angebote, die aber sicherlich in Zukunft noch weiter ausgebaut werden müssen. In Zürich-Altstetten haben wir eine «Lernstube». Hier bieten wir ein vielseitiges Lernangebot mit Kursen, Beratung und Information. Computer werden zur Verfügung gestellt, aber es gibt auch Hilfe bei Bewerbungen, einen Schreibdienst und vieles mehr. Es geht darum, die Grundkompetenzen in Sprache, Alltagsmathematik, aber eben auch im Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien zu vermitteln. Weitere Lernstuben sind in Kloten, Dübendorf, Wetzikon und Oerlikon/Affoltern, die aber nicht von der Caritas Zürich, sondern von anderen Organisationen finanziell getragen werden.

«Die Pandemie hat die Digitalisierung stark beschleunigt.»

Björn Callensten

Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft und vom Staat in Bezug auf die Digitalisierung?

Es braucht Mut und Offenheit gegenüber der Digitalisierung. Die Technologieentwicklung bietet viele Chancen und Vorteile. Wichtig ist es, neugierig zu bleiben. Wir müssen es als Gesellschaft schaffen, diejenigen zu inkludieren, die aktuell nicht teilhaben. Die Politik soll definieren, wer in der Verantwortung steht, dafür zu sorgen. Bis dahin machen wir als Caritas Zürich das, was wir mit unseren Mitteln machen können.

 

Björn Callensten  (47) hat an der Universität Zürich Ethnologie studiert, an der Universität Klagenfurt einen Master in Organisationsentwicklung und an der ZHAW einen MAS in Business Administration erlangt. Vor der Caritas war er bereits in verschiedenen Hilfswerken tätig.