Kirche aktuell

Zeichen gegen Missbrauch Kundgebung mit zahlreichen Teilnehmenden

Was als vage Idee von acht Zürcher Seelsorgerinnen und Seelsorger begann, führte am Samstag, 29. Juni, zu einer beachtenswerten nationalen Manifestation in Bern. Über 100 Kirchenleute setzten ein starkes Zeichen gegen Missbrauch und für Reformen.
01. Juli 2019 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Die Berichte im Frühjahr über systematischen Missbrauch von Ordensfrauen brachten den Stein ins Rollen: Einzelne Zürcher Theologinnen wandten sich an ihre Kollegen und Kolleginnen, um die eigene Sprachlosigkeit zu überwinden. Eine von ihnen ist Tonja Jünger, Seelsorgerin in der Pfarrei Bruder Klaus und im Pflegezentrum Riesbach. Sie schrieb damals auf dieser Homepage: „(Ich war) derart erschüttert, dass ich im ersten Moment dachte: Jetzt muss ich mir eine neue Arbeit suchen. Für diese Kirche kann und will ich nicht länger tätig sein. Zum Glück merkte ich bald, dass ich mit meinem Entsetzen nicht allein war.“ Und so fanden sich acht Männer und Frauen aus der Zürcher Kirche, die eine Aktion auf nationaler Ebene auf die Beine stellten, um ein unübersehbares Zeichen gegen Missbrauch zu setzen. „Im Gespräch mit meinem Team, mit Pfarreiangehörigen und mit Berufskolleg*innen wurde mir bald klar: Weglaufen ist auch diesmal keine Option für mich. Stattdessen will ich meine Stimme erheben, will nach Kräften einstehen für Veränderungen in dieser Kirche“, formulierte Jünger ihr Ziel.

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Dieses Ziel wurde tatsächlich erreicht. Weit über hundert Personen aus der ganzen Schweiz sowie Delegationen aus Österreich und Deutschland versammelten sich Samstag auf dem Berner Helvetiaplatz in Sichtweite der päpstlichen Nuntiatur, um ihre Solidarität mit den Opfern auszudrücken und ihren Forderungen nach Reformen in der Kirche Ausdruck zu verleihen. Mit dabei auch die Ex-Ordensschwester Doris Wagner, die selbst Opfer von sexuellen Übergriffen wurde und mit ihrem Buch die weltweite Debatte über das Thema Missbrauch an Ordensfrauen auslöste. In ihrer Ansprache sagte Doris Wagner:

"Die Kirche war ein Haus, in dem das Recht des Stärkeren gilt. Das machen wir nicht mehr mit. Die Kirche soll für alle ein gutes Zuhause sein, wo Personen nicht bloss Macht haben, sondern auch Verantwortung übernehmen."

Ihre Botschaft kam an. „Doris Wagner war unglaublich klar, bewegend und Mut machend“, erklärt Sabine Zgraggen, Leiterin der Zürcher Spitalseelsorge, „wir alle spürten: es kommt auf jeden und jede an!“ Für Zgraggen geht es neben der Sicherheit von Kindern und Schutzbefohlenen auch um ein neues Selbstverständnis von Kirche: „Als katholische Theologin und Mutter erwarte ich, dass die Kinder - und alle Getauften - in dieser Kirche eine sichere Heimat und eine fortschrittliche, zeitgemässe Theologie vorfinden."

Ähnlich drückt es auch der Zürcher Priester und Kirchenrechtler Stefan Loppacher aus: „Die Rechte der Opfer müssen in den Mittelpunkt des kirchlichen Handelns gerückt werden. Das ist zentral. Ich stimme aber Doris Wagner zu, die sagte, es gelte nicht nur rechtliche Konsequenzen zu ziehen, sondern auch theologische.“

Für Tatjana Disteli, im Zürcher Generalvikariat zuständig für den Bereich Spezialseelsorge, ist bereits vieles in Bewegung gekommen: "Ich war beeindruckt von der Atmosphäre, die uns erleben liess, dass in der Kirche ein Geist der Veränderung weht. Wir alle sind herausgefordert mitzuhelfen, dass sich problematische Strukturen verändern. Besonders die Entscheidungsträger stehen in der Pflicht:  Nicht das Schweigen, sondern die Gerechtigkeit muss sich durchsetzen!"

Grusswort von Jacqueline Fehr

Einen gleichberechtigten Zugang zu allen kirchlichen Leitungsämtern mahnte auch die Zürcher „Religionsministerin“ Jacqueline Fehr in einem in Bern verlesenen Grusswort an, in dem sie die provokative Frage stellte: "Wie würde sich die römisch-katholische Kirche entwickeln, wenn die Frauen darin den Männern vollkommen gleichgestellt wären?" 

Bis es so weit ist, wird wohl noch viel Wasser die Limmat herabfliessen und noch manch weitere Aktion nötig sein. Aber der Damm ist gebrochen, ein Zurück zur Jahrhunderte alten Dominanz geweihter Männer ist keine Option mehr. Doris Wagner drückte es so aus: "Wir sind heute hier, nicht nur weil sich was verändern muss, sondern weil sich bereits was verändert hat."

So war die Berner Manifestation nicht nur ein empörter Aufschrei, sondern vor allem gegenseitige Bestärkung im Engagement für eine erneuerte Kirche.

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Communiqué des Aktionsbündnisses "Zeichen gegen Missbrauch"