Kirche aktuell

Offener Brief der Synodalratspräsidentin und des Kirchenratspräsidenten Kirchenaustritt schadet allen

Andreas Tobler, Kulturredaktor des Tages-Anzeigers, erklärte Anfang Januar öffentlich seinen Austritt aus der Kirche. Sozial seien Kirchen zwar gut, sie würden aber vom Staat genug unterstützt. Austritte würden den Kirchen also nicht schaden. Kirchenratspräsident Michel Müller und Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding reagieren mit einem offenen Brief.
08. Januar 2020 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Sehr geehrter Andreas Tobler

Mit Befremden haben wir Ihre öffentliche Kirchenaustritts-Erklärung in dieser Zeitung zur Kenntnis genommen. Selbstverständlich steht es jedem Menschen frei, einer Religionsgemeinschaft anzugehören oder auch nicht. Selbstverständlich respektieren wir Ihren Entscheid. Auch dass Sie sich als „religiös unmusikalisch“ empfinden, ist zwar aus unserer Sicht schade, aber wir Menschen ticken nun mal nicht alle gleich. Und das ist gut so!

Gar nicht gut finden wir hingegen Ihre Behauptung, ein Kirchenaustritt würde den Kirchen nicht schaden, weil ja jeder Bürger als Steuerzahler bereits seinen Beitrag zugunsten der Kirchen leistet. Sie anerkennen, und darüber freuen wir uns, das gesellschaftliche Engagement der Kirchen zugunsten von Armen, Schwachen und allen, die Beistand benötigen. Aber zu behaupten, mit den Beiträgen des Staats an die Kirchen seien die Kosten dafür hinlänglich abgegolten, ist grober Unfug. Von einem Mitglied der Kulturredaktion des Tages-Anzeigers dürfen wir eine gründlichere Recherche erwarten!

Slider

2018 hat eine breit angelegte Kirchenstudie unter Leitung von Prof. Thomas Widmer der Universität Zürich bestätigt, dass die Kirchen mehr Leistungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung erbringen, als sie an Staatsbeiträgen erhalten. Dabei waren hier die Kriterien sehr streng: Nur kirchliche Leistungen, die allen Bürgerinnen und Bürgern im Kanton zugute kommen und offen stehen – also auch Nicht-Kirchenmitgliedern, Mitgliedern anderer Religionsgemeinschaften und „religiös Unmusikalischen“ - wurden berücksichtigt. Trotz dieses strengen Kriteriums fällt die Bilanz der Studie eindeutig aus: Die Kirchen sind das Geld wert, das der Staat ihnen zur Verfügung stellt.

Sie täuschen sich aber gewaltig, wenn Sie meinen, diese Mittel würden ausreichen, um die Leistungen der Kirchen in den Bereichen Soziales, Kultur und Bildung zu erbringen. Die Kostenbeiträge des Staates betragen im Kanton Zürich jährlich 50 Millionen Franken. Die Steuereinnahmen der Kirchen, geleistet von Kirchenmitgliedern und Unternehmen, betrugen 2018 hingegen 440 Millionen Franken. Der Punkt ist aber noch ein ganz anderer: Die erwähnte Uni-Studie zeigte auch, dass in der reformierten und in der katholischen Kirche im Kanton Zürich jährlich knapp 1,9 Millionen Freiwilligenstunden geleistet werden, was in etwa 870 Vollzeitstellen entspricht. Hinzu kommen noch ehrenamtlich geleistete Behördenstunden im Umfang von 2,5 Millionen Franken. Freiwillige lassen sich aber nur finden, wenn sie von Angestellten begleitet werden. Kurz: Es sind letztlich die Mitglieder und nicht nur der Staat, die das umfassende Wirken der Kirchen ermöglichen.

Zum Beispiel für die Erhaltung historischer Gebäude und die Pflege der Kirchenmusik, was Sie als Kulturredaktor sicherlich interessieren dürfte. Auch für die Integration der vielen fremdsprachigen Migrantengemeinden, die Seelsorge der Nicht-Schweizer Bevölkerung in ihrer Muttersprache. Die katholische Kirche Zürichs etwa wendet für ihre 22 Sprachmissionen gegen 10 Millionen Franken auf. Die sind in der Studie von Prof. Widmer gar nicht eingerechnet. Beide Kirchen engagieren sich stark im interreligiösen Dialog. Sei es mit den neuen Kirchen orthodoxer Christen, den Muslimen und anderen Religionen, die bei uns präsent sind. Auch dies ist ein bedeutender Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden. Erwähnenswert ist weiter das Engagement der Kirchen für die Jugendarbeit. Einerseits durch die Vermittlung von religiösem und kulturgeschichtlichem Wissen. Aber auch in der Begleitung der Kinder- und Jugendgruppen auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden, in ihrem Engagement für eine solidarische, friedliche und menschenfreundliche Welt – sprich also durch die Vermittlung von Werten. All das wäre ohne den Beitrag der Kirchenmitglieder, also der Kirchensteuer, nicht möglich.

Kirchen sind aber mehr als staatlich unterstützte Sozialinstitutionen. Primäre Aufgabe der Kirchen ist die Vermittlung von Glaube, Hoffnung und Liebe, die Begleitung der Menschen auf ihrer Suche nach Sinn angesichts der belastenden, erschreckenden und Gott sei Dank immer wieder auch frohen und liebevollen Erfahrungen, mit denen wir alle im Leben konfrontiert werden. Gewiss, die Kirchen haben kein Monopol, solche Fragen zu beantworten. Aber sie bergen einen Schatz an Glaubens- und Hoffnungserfahrungen, die gerade in unserer zerrissenen und oft orientierungslosen Welt von unschätzbarem Wert sind.

Herr Tobler, wir wollen Sie nicht bekehren und werden Sie kaum davon abbringen können, Ihre Kirche zu verlassen. Aber Sie sollen wissen, dass uns ihr Austritt schmerzt, wie jeder andere Kirchenaustritt auch. Sollten Sie sich jedoch nochmals öffentlich mit dem Thema Kirchenfinanzierung befassen, hoffen wir auf mehr journalistische Sorgfalt. Sehr gern können Sie sich auch bei uns persönlich informieren. Wir würden uns freuen.

 

Franziska Driessen-Reding, Synodalratspräsidentin der Katholischen Kirche im Kanton Zürich

Pfr. Michel Müller, Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich

 

Das Interview mit Franziska Driessen-Reding finden Sie hier