Kirche aktuell

Interview-Reihe Kirche leben in Corona-Zeiten - mit Carlo D'Antonio

Wir fragen kirchlich engagierte Menschen, wie sich ihr Leben und ihre Arbeit im Lockdown verändert haben. Und was nach Corona davon bleibt. Heute mit Carlo D'Antonio, Sakristan in der Pfarrei Buder Klaus in Urdorf.
28. Mai 2020 Katholische Kirche im Kanton Zürich

 

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Was war für Sie das einschneidenste Ereignis seit dem Lockdown?

Es ist eine Situation, die wahrscheinlich viele erlebt haben.

Nach dem Tod meines Vaters hatte meine Mutter, die in Italien wohnt, eine schwierige Zeit. Ich wollte sie besuchen, aber über Nacht war das nicht mehr möglich.

Das Virus hat die Verhältnisse innerhalb Italiens auf den Kopf gestellt. Das reiche Norditalien kämpft mit der Pandemie. Das Zentrum Italiens und der Süden, die weniger davon betroffen sind, reagieren besser. Es ist dort weiterhin verboten, sich von einer Gemeinde zur nächsten zu begeben.

Wie gehen Sie persönlich mit der neuen Situation um?

Ich muss zugeben, dass ich die Lage am Anfang unterschätzt habe. In der Zwischenzeit bin ich sehr vorsichtig, vermeide die Stosszeiten, halte mich strikt an die Regeln. Der Verlust der Freiheit im Namen des kollektiven Wohlergehens ist ein Preis, den wir gerne bezahlen und eine moderne Art ,eine bürgerliche Revolution zu machen. In diesem Sinne ist es schön, gemeinsam, dasselbe Ziel zu verfolgen.

Ihr schönstes Erlebnis in der Corona-Zeit?

Die Krise hat uns dazu gebracht, Themen anzusprechen, die wir erst später implementiert hätten. Das Webseiten-Projekt unserer Pfarrei Bruder Klaus in Urdorf hat aufgrund der Pandemie einen starken Schub bekommen. Es ist uns gelungen, wertvolle Inhalte für die drei österlichen Tage zu produzieren und im Netz zu veröffentlichen. Es sind viele Komplimente eingetroffen, was uns natürlich sehr gefreut hat.

Hat Corona die Kirche verändert?

Nicht die Kirche, sondern vielleicht die Art sich dem sacrum , dem Heiligen, anzunähern. Es scheint, dass die Menschen, die heute in dieser gedämpften und surrealen Stille in die Kirche eintreten, dies auf eine feierliche Weise tun, mit der Erinnerung an den Gottesdienst, den sie noch vor kurzem in der Gemeinschaft feiern durften.

Mir ist aufgefallen, dass der Verbrauch von Votivkerzen deutlich zugenommen hat. Tagsüber ist es nicht mehr selten, einen Gläubigen zu treffen, der zum Gebet innehält.

Was soll nach dem Ausnahmezustand für das kirchliche Leben bewahrt werden?

Dass die Willenskraft als kollektiver Akt eine ausserordentliche Stärke besitzt und dass die Kirche von dem gemeinschaftlichen Zeugnis lebt. Wenn es keine Gefahr mehr gibt, wäre es schön volle und dichte Kirchenbänke zu sehen.

Was haben Sie persönlich aus der Corona-Krise gelernt?

Vor Tagen habe ich über die Zukunft nachgedacht. Ich glaube, dass die moderne Gesellschaft den Begriff der Zukunft so instrumentalisiert, dass daraus ein Missbrauch resultiert. Man denke nur an die Tatsache, dass uns die Buchung von Ferien Monate im Voraus oder der Abschluss von 30-jährigen Verträgen nicht seltsam erscheinen, sondern klare Fakten darstellen, auf die wir setzen. Die Zukunft ist keine Selbstverständlichkeit.

Darüber hinaus akzeptieren wir heute unfreiwillig die Zwischenphasen unseres Handelns. In unserer technologisch fortgeschrittenen Mentalität ist das Vorher zunehmend mit dem Nachher verbunden. Da wir nicht wissen, wie es mit Warten ausschaut, sind wir jetzt gezwungen, dies zu tun. Das hat seine Vorteile, da in diesem Bereich nicht nur Unbekannte und Ängste existieren. Diese Zeit ist in sich faszinierend und fruchtbar.

Hat der Lockdown neben all der bedrückenden Seiten auch etwas Gutes?

Ich glaube, dass wir eines Tages feststellen werden, dass wir einen epochalen Wandel erleben. Alles, was nach dieser Ära - das wir Covidikum nennen könnten - kommt, wird unsere Sichtweise der Gegenwart und der Zukunft verändern.

Die Pandemie beschreibt unser Zeitalter besser als jedes andere soziologische Traktat; es erinnert uns an das, was uns am meisten interessiert: Nicht kontaminiert zu werden!

Das betrifft nicht nur das Virus, sondern alles, was von aussen kommt, alles, was da draussen ist. Den Kontakt zu vermeiden heisst die Devise.

Der Lockdown hat uns gezeigt, dass eine Konfrontation mit der Realität unvermeidlich ist. Die Lösung liegt nicht in der Ablehnung der Realität, sondern darin, sich denen anzuschließen, die angesichts von Missbrauch, Ungerechtigkeit und Diskriminierungen empört sind. Es wäre schön, wenn der Lockdown unser Gewissen bewegen würde und wir uns der Stimme des Protests anschliessen, um zu zeigen, dass eine Veränderung möglich ist.