Kirche aktuell

Ausstellung «Verschaff mir Recht» «Die Heiligen von Morgen»

Leiterin Spital- und Klinikseelsorge
Sabine Zgraggen
Sabine Zgraggen
Sabine Zgraggen* besuchte die Ausstellung «Verschaff mir Recht!» über die weltweite Kriminalisierung von LGBT-Menschen und was die katholische Kirche damit zu tun hat. Tief bewegt berichtet die Theologin von ihren persönlichen Eindrücken.
18. Mai 2022

Als ich im April eine Einladung zur Ausstellung erhielt, freute ich mich. Ausstellungen im kirchlichen Kontext unterstütze ich grundsätzlich, weil ich aus persönlicher Erfahrung heraus weiss, wieviel Herzblut, Engagement und Arbeit jeweils dahinterstecken! Am Donnerstag, 12. Mai, war es soweit: Die eindrücklichen Gesichter auf dem farbigen Flyer sprachen mich auch sofort an. Was hatten diese Menschen mir zu sagen?

Erst danach las ich den genaueren Titel der Ausstellung: «Kriminalisierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern und die katholische Kirche». Ein langer Titel. Ein komplexer Titel. An dieser Stelle gleich mein Coming Out:

Ich hatte bisher wenig Interesse, Zeit und Lust, mich mit Fragen dieser Art zu befassen. Wer persönlich nicht betroffen ist, hat meistens anderes zu tun. Doch nach dieser Ausstellung schäme ich mich genau dafür!

Weil wir in einem sicheren Land leben, in welchem es keine Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung gibt, brauchen die Verfolgten in anderen Ländern, u.a. weil die katholische Kirche dort immer noch grossen Einfluss auf das alltägliche Leben vieler Menschen hat, unsere kritische Stimme von hier! Uns drohen keine Nachteile, wenn wir uns zu Wort melden.

Geschichten von gläubigen Menschen, die sich trotz Diskriminierung in ihrer eigenen Kirche weiterhin für Christus und die Kirche engagieren, sind gemäss Martin Zimper, Professor für ausdiovisuelle Medien an der ZHDK, «die Heiligen einer Kirche von Morgen»!

Leider fanden sich nur wenige Besucherinnen und Besucher zur Ausstellungseröffnung ein. Der katholische Seelsorger Meinrad Furrer, Mentari Baumann von der Allianz Gleichwürdig Katholisch und Martin Zimper liessen sich nicht nicht beirren. So konnte ich mich auf das einlassen, was eben genau jetzt zu erfahren war.

referenten.jpg

Martin Zimper, Mentari Baumann und Meinrad Furrer an der Vernissage der Ausstellung «Verschaff mir Recht» (Foto: Sabine Zgraggen)

Wir wurden nicht enttäuscht. Ein hervorragender Vortrag seitens Meinrad Furrer faszinierte und öffnete neue Horizonte. Ich wünschte, dass noch viele kirchlich Engagierte den Vortrag in einem anderen Gremium anfordern und live hören werden!

«Verschaff mir Recht»

Das Zeugnis der hartnäckigen Witwe aus dem Lukasevangelium (18, 1-8), die den ungerechten Richter so lange nervt, bis dieser endlich zuhört, war der Auftakt. Menschen in Verfolgungssituationen, egal aus welchen Gründen, bedürfen grundsätzlich des Schutzes und der Hilfe von Christinnen und Christen! Selbstverständlich auch von der dahinterstehenden Autorität der Kirche. Einer in manchen Ländern noch immer mächtigen Kirche kommt umso mehr Verantwortung zu, als dass ihr ja alle Gläubigen anvertraut sind.

Dass Jesus sich für Randgruppen und Ausgestossene ohne jede Vorbedingungen einsetzte, muss ja hoffentlich niemandem mehr erläutert werden. Wenn wir die Eucharistie feiern, verbinden wir uns genau mit diesem biblisch offenbarten Christus.

Jede christliche Morallehre muss sich selbstredend durch alle Zeiten hindurch rückversichern, ob sie sich mit IHM noch im Dialog befindet.

Im Referat Furrers wurde deutlich: Die Weltkirche verhält sich, bedauerlicherweise, in Fragen der sexuellen Orientierung nach wie vor wie der in der Bibel dargestellte «ungerechte Richter». Aus den 14 Leitsätzen des Global Network of Rainbow Catholics (GNRC), möchte ich fünf Punkte herovrheben:

  • Die Kirche und alle Gläubigen sollen sich für Marginalisierte einsetzen.
  • Die theologische Auseinandersetzung muss auf allen Ebenen gefördert werden. Wir Theologinnen und Theologinnen müssen uns innerkirchlich zu diesen Fragen unbedingt gegenüber «Lehre-Verwaltern» einbringen.
  • Die Inklusion von Menschen mit anderen Erfahrungen, als es die katholische Morallehre vorsieht, gelingt uns schlecht. Die Angst ist hierbei grösser als unser Glaube.
  • Für queere Menschen wird spirituell kein Angebot durch uns kirchlich Seelsorgende gemacht! Wir lassen suchende Menschen aufgrund von Vorurteilen immer noch alleine. Inzwischen erwarten viele Menschen nichts mehr von uns – was mehr als verständlich ist. Wir verarmen und verkümmern dadurch letztlich selbst, weil wir uns von der durchlittenen Spiritualität diverser Menschen nicht inspirieren lassen wollen.
  • Die katholische Kirche muss sich dringend für die Abschaffung der Verfolgungsgesetzte in Ländern wie Afrika, Lateinamerika und Asien öffentlich einsetzen, wo es nach wie vor schwere Strafen für Homosexuelle und Transmenschen gibt. Die kirchliche Lehre unterstützt hierbei fatalerweise gewaltbereite staatliche Regime und macht sich somit aufgrund einer veralteten Morallehre an vielen Leiden mitschuldig.

Der Vortrag ging mit einer neuen Lesart einer Episode aus der Apostelgeschichte (8, 26 – 29) weiter. Der dunkelhäutige Kämmerer und Eunuch aus Äthiopien liest gerade aus Jesaja, als der Apostel Philippus zu ihm in den Wagen steigt und länger mit ihm spricht. Am Ende der Geschichte steht die Taufe dieses Menschen ohne jede Bedingung. Annahme total. Eine neue, queere Leseweise der Heiligen Schrift, so das Fazit, kann uns neu beleben!

Spirale von Ausgrenzung unterbrechen

Mentari Baumann führte am Ende der Veranstaltung aus, dass in Ländern, wo die Kirche als moralische Autorität Gehör findet, Eltern besorgt zum Imam oder Priester laufen, wenn sich eines ihrer Kinder als homosexuell oder lesbisch geoutet hat! Das, was sie dann vom Geistlichen zu hören bekommen, wird auf Jahre hinaus das Leben von Familie und Einzelnen mitbestimmen! An diesen verletzlichen Schnittstellen ist es elementar, dass kirchliche Repräsentanten endlich die Spirale von Ausgrenzung und Manipulation betreffend sexueller Orientierung unterbrechen.

Der Gang durch die Ausstellung im Lichthof der Uni ZH lohnt. Inmitten hunderter Studierender können die Zeugnisse verfolgter Christinnen und Christen an Stellwänden nachgelesen werden. Die Ausstellung ist noch bis zum 21. Mai in Zürich zu besuchen. Danach wandert sie nach Biel und Luzern weiter.

Mit einem gemeinsamen Gebet endete diese eindrückliche und berührende Veranstaltung:

LEBENDIGE

DU Geheimnis unseres Lebens,wir wenden uns DIR zu. Lernen, mit DEINEN Augen zu schauen, lernen, sich ansehen zu lassen, von DIR und voneinander, uns gegenseitig Ansehen schenken, darum bitten wir jetzt und immer wieder.


BARMHERZIGER

DU Geheimnis unseres Lebens, wir trauern mit DIR um jene, denen in DEINER Kirche Gewalt angetan, die missbraucht und erniedrigt wurden und immer noch ohne echtes Ansehen sind. Das Brot, das sie bekamen, schmeckt immer noch nach Gewalt, nach Lüge und Diskriminierung.


ZÄRTLICHE

DU Geheimnis unseres Lebens, wir vermissen mit DIR alle Menschen, die DICH in unserer Kirche nicht mehr erkennen. Die in unserer Kirche keine Heimat mehr finden, weil sie nicht mehr glauben können, dass unsere Kirche sich zu wandeln vermag. Öffne unser Herz, dass wir uns verwandeln und ebenso die verhärteten Strukturen unserer Kirche. Stärke unseren Blick auf die Schätze der Tradition: Befreiung, Ermutigung und Ermächtigung,Tanz, Aufrechtstehen und Schönheit.


GÜTIGER

DU Geheimnis unseres Lebens, wir folgen DIR nach. Wir wollen einander dienen und Strukturen schaffen, die möglich machen, dass es in unserer Kirche anders wird, dass Macht zwischen Menschen geteilt wird und die Verantwortung ebenso.

(Auszug aus dem Synodengebet)

* Sabine Zgraggen ist katholische Theologin. Sie war 15 Jahre als Psychiatrieseelsorgerin tätig und kennt die psychischen Leiden, bis hin zur Suizidalität, die in der Folge eines Coming-Outs in religiösen Familien geschehen.