Kirche aktuell

Kirchen-Statistik 2017: Zahlen und Interpretationen

Kirchen-Statistik 2017: Zahlen und Interpretationen
Gottesdienst in St. Peter und Paul, Winterthur. Foto: zvg
Das Bundesamt für Statistik und das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) haben kürzlich neue Zahlen zur Religions- und Kirchenstatistik publiziert. Diese wurden auch von den Medien aufgenommen. RKZ-Generalsekretär Daniel Kosch hat sich ebenfalls mit den Entwicklungen beschäftigt und mahnt zur Sorgfalt im Umgang der Religions- und Kirchenstatistik. Hier seine Einschätzung.
10. Februar 2017 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Die NZZ spricht zum Beispiel von den «Schäfchen», die «davonlaufen» und in der Online-Ausgabe von einem «Exodus» an dem die katholische Kirche leide. Es dient auch den Kirchen nicht, wenn sie die Zahlen schönreden. Dennoch ist es wichtig, die Fakten klar und differenziert wahrzunehmen. Folgendes ist festzuhalten:

Anteil der grossen Kirchen an der Gesamtbevölkerung

Der Anteil der Mitglieder der römisch-katholischen und der evangelisch-reformierten Kirchen an der Gesamtbevölkerung geht deutlich zurück. Aber mit über 60% der Gesamtbevölkerung im Alter von über 15 Jahren sind die beiden Kirchen immer noch gross und mitgliederstark.

Jahr

Evangelisch-Reformiert

Römisch-Katholisch

Total

1910

56.2%

42.5%

98.7%

1970

48.8%

46.7%

95.5%

2000

33.9%

42.3%

76.2%

2015

24.9%

37.3%

62.2%

Quelle hier

Anteil der Konfessionslosen

Die Zahl der Konfessionslosen steigt und diese Entwicklung hat sich bis 2010 beschleunigt. In den Jahren 2010 bis 2015 steigt die Kurve jedoch weniger steil an als zwischen 2000 und 2010. Dennoch in der Schweiz leben 1,65 Millionen über 15 Jahre alte Personen, die sich als konfessionslos deklarieren. Im Jahr 2000 waren es noch 670‘000, ihre Zahl hat also in 15 Jahren um eine Million zugenommen.

 

1970

1980

1990

2000

2010

2015

Anteil Konfessionslose

1.2%

3.9%

7.5%

11.4%

20.1%

23.9%

Zunahme

 

2.7%

3.6%

3.9%

8.7%

3.8%

Quelle

Kirchenaustritte

Für die Zahl der Kirchenaustritte gibt es keine gesamtschweizerische Statistik. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Erklärung des Kirchenaustritts gegenüber den staatlichen Behörden hauptsächlich in jenen Kantonen bedeutsam ist, wo die Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlich anerkannten Kirche mit der Pflicht verbunden ist, Kirchensteuern zu bezahlen. Das ist aber in etlichen Kantonen der lateinischen Schweiz (GE, NE, VD, VS, TI) nicht der Fall. Die vom SPI erhobenen Zahlen zeigen dennoch eine Entwicklung, die den Kirchen zu denken geben muss:

Quelle SPI St. Gallen

Katholische Kirche: Noch nie so viele Mitglieder

Vor allem was die römisch-katholische Kirche betrifft, ist klar zwischen dem rückläufigen Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung (minus 5% in 15 Jahren) und der Entwicklung der Zahl der Mitglieder zu unterscheiden. In absoluten Zahlen ist die katholische Kirche nicht kleiner geworden, sondern grösser. Sie hatte noch nie so viele Mitglieder. Das relativiert die Aussage «Auch die katholische Kirche leidet an einem Exodus» (NZZ online) deutlich.

 

1910

1970

1980

1990

2000

2010

2015

Katholiken über 15 J.

1‘595‘150

2‘136‘719

2‘287‘279

2‘538‘698

2‘482‘406

2‘516‘432

2‘576‘616

Anteil Katholiken an
Gesamtbevölkerung

42.5%

46.7%

46.2%

46.2%

42.3%

37.9%

37.3%

Quelle hier.

Faktor Migration

Ein wichtiger Faktor für diese Entwicklung ist die Migration. Deshalb lohnt sich auch ein Blick auf die Zahl der Ausländer (ebenso wichtig wäre die Zahl der eingebürgerten Migrantinnen und Migranten, doch gibt es dazu keine offiziellen Zahlen):

 

1910

1970

1980

1990

2000

2010

2015

Kath. Ausländer über 15 J.

383‘648

543‘883

463‘820

559‘963

532‘290

579‘787

635‘226

Ausländeranteil in der kath. Kirche

24.1%

25.5%

20.3%

22.1%

21.4%

23,0%

24.7%

Quelle

Fazit

  • Die Religionslandschaft in der Schweiz ändert sich – und zwar tiefgreifend und innerhalb von relativ kurzer Zeit. Die wichtigste Entwicklung ist die Zunahme der Konfessionslosigkeit.
  • Die Austrittsneigung nimmt zu, was dem aus anderen Untersuchungen bekannten Trend zu wachsender Kirchendistanzierung entspricht.
  • Die beiden grossen Konfessionen haben aber mit einem Anteil von über 60% an der Gesamtbevölkerung nach wie vor grosses Gewicht.
  • In absoluten Zahlen ist der Mitgliederbestand der katholischen Kirche stabil, ja sogar grösser als in früheren Jahren.

Wichtig, aber in dieser Überblicksdarstellung nicht berücksichtigt ist zudem die Feststellung, dass die aufgezeigten Entwicklungen nicht überall gleich verlaufen. Die Unterschiede zwischen den Regionen und Kantonen, aber auch zwischen Stadt und Land sind beträchtlich.

Ebenfalls zu berücksichtigen ist die Tatsache, dass die Entwicklung in den beiden grossen, oft in einem Atemzug genannten Kirchen unterschiedlich verläuft. Während die evangelisch-reformierte Kirche deutlich an Mitgliedern verliert (von 2.32 Mio. Mitgliedern über 15 Jahren 1970 zu 1.72 Mio. im Jahr 2015) ist die Zahl der Mitglieder der römisch-katholischen Kirche konstant. Dementsprechend sind auch die Herausforderungen nicht dieselben.

Schlussfolgerungen

Während die Phänomene Austritte, Konfessionslosigkeit, sinkende Mitgliederzahlen und Säkularisierung in der medialen Öffentlichkeit grosse Resonanz finden, werden die Phänomene des nach wie vor hohen Anteils der Kirchenmitglieder an der Gesamtbevölkerung und der stabilen Mitgliederzahl der römisch-katholischen Kirche deutlich weniger wahrgenommen. Es scheint nicht unwichtig, angesichts negativer Schlagzeilen einen Gegenakzent zu setzen. Dabei geht es nicht darum, die «guten» Nachrichten zu nutzen, um die Probleme und Herausforderungen kleinzureden. Die vertrauten Kirchengestalten «verschwinden» zwar vielleicht nicht gerade, aber sie «verändern» sich markant, was mit grossen Herausforderungen für die Kirchen verbunden ist.

Eine realistische und differenzierte Gesamtbeurteilung ist deshalb eine unerlässliche Grundlage für das eigene Handeln, für die Positionierung der Kirchen in der Gesellschaft wie auch für Diskussionen rund um die Weiterentwicklung des staatlichen Religionsrechts und die Bedeutung von Religion und Kirchen in der Bildung, in den Heimen und Spitälern und im gesamten öffentlichen Raum.

Daniel Kosch ist Generalsekretär der Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ). Diese ist der Zusammenschluss der kantonalkirchlichen Organisationen  («Landeskirchen»).

Sie besteht seit 1971 und ist als Verein organisiert