Kirche aktuell

Papst und Patriarch. Eine Wertung aus orthodoxer Sicht

Papst und Patriarch. Eine Wertung aus orthodoxer Sicht
Redaktionsteam
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Die Beiträge im Blog geben die Haltung der Autoren wider und müssen nicht in jedem Fall mit der offiziellen Haltung der kirchlichen Körperschaft übereinstimmen.
Katholische Kirche im Kanton Zürich
01. März 2016

Mit grosser Überraschung haben die kirchliche und säkulare Öffentlichkeit auf das Treffen von Seiner Heiligkeit, Patriarch Kyrill von Moskau und ganz Russland, und seiner Heiligkeit Papst Franziskus von Rom am 12. Februar in Havanna reagiert. Entsprechend gross waren auch die Schlagzeilen: Allenthalben war von einem «historischen Treffen» die Rede. Mir scheint dies etwas gross gegriffen. Nicht nur aus historischen Gründen – auch wenn der russischen Kirche der Besuch ihres Metropoliten Isidor beim Konzil von Ferrara-Florenz (1438 – 1445) in schlechter Erinnerung ist – sondern vor allem, weil man nicht mit gutem Gewissen so tun kann, als ob keine hochkarätigen Treffen zwischen der katholischen und den orthodoxen Kirchen stattgefunden hätten. Man erinnere sich nur daran, wie oft der Papst schon mit Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel zusammengekommen ist. Dennoch auch wir russisch-orthodoxen Gläubigen in Zürich schätzen dieses Treffen als ein wichtiges Ereignis ein. Die Symbolik von Zeit und Ort dieses Treffens, vor allem aber der Text der gemeinsamen Erklärung , scheinen mir wegweisend zu sein:

Die Oberhäupter unserer beiden Kirchen haben sich zu einer Zeit zu einem Treffen zusammengerauft, in der wir Zeuge massiv verstärkter religiöser Intoleranz und Verfolgung werden. Sie geben uns damit ein starkes Zeichen, dass wir heute angesichts dieses Schreckens zusammenstehen müssen. Sie haben sich auch bewusst in der neuen Welt getroffen. Ein Zeichen, dass wir die lange Geschichte von Trennung und gegenseitiger Verfolgung nicht negieren, uns aber auch nicht von ihr bestimmen lassen wollen. Dass unser Zusammenstehen in vollem Bewusstsein der Trennung und der historischen Wunden stattfindet, macht es zu einem umso stärkeren Zeichen.

In dem Sinn kann die gemeinsame Erklärung uns als Wegweiser dienen. Sie benennt und umschreibt Inhalte und Stossrichtung eines gemeinsamen Zeugnisses: Erstens sollen wir gemeinsam die Stimme erheben für unsere verfolgten Brüder und Schwestern im Nahen Osten und anderswo und Wege finden, ihnen gemeinsam eine helfende Hand hinzustrecken. Zweitens fordern uns der Papst und der Patriarch auf, eins zu sein «in der Sendung, das Evangelium Christi in der Welt von heute zu verkündigen» (Gemeinsame Erklärung, Abs. 24).

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Feierliche orthodoxe Liturgie in der Auferstehungskirche in Zürich

In Zürich können wir auf eine lange Tradition guter und fruchtbarer Kontakte zurückblicken. Unvergessen ist gerade in unserer Gemeinde, wie uns die katholische Körperschaft und die evangelische Landeskirche über lange Zeit organisatorisch und finanziell unterstützt und vor dem Ruin bewahrt haben. In jüngster Zeit denke ich unter anderem an die grosszügige und geradezu enthusiastische Hilfe, welche beide Kirchen dem neuen Verband Orthodoxer Kirchen angedeihen lassen. Mir fällt dabei aber auf, dass die Kontakte vor allem formeller und administrativer Natur sind.

So liegt die Bedeutung des Havannaer Treffen meiner Meinung nach vor allem in der Aufforderung, Wege gemeinsamen Handelns zu suchen über rein formelle Kontakt hinaus. Nicht, indem wir eine Einheit reklamieren, die es nicht gibt. Aber auch nicht darin, dass wir uns auf das Trennende versteifen, sondern dass wir dort gemeinsam Zeugnis ablegen, wo dies realisierbar ist. Diese Möglichkeit gilt es im Gefolge dieses Treffens auszuloten. Uns scheint die Botschaft von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill klar zu sein: Angesichts der zugenommenen religiösen Intoleranz und Verfolgungen und angesichts einer säkularisierten Welt, in der die Gute Nachricht kaum mehr gehört wird, haben wir gar keine Wahl, als zusammenzustehen, «stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt» (Erster Petrusbrief 3,15).

dani schärer orthodoxe
Lektor Dani Schärer, Kirchenältester der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche, Zürich