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Wir haben alle Angst, Fehler zu machen

Wir haben alle Angst, Fehler zu machen
Gina Bucher
Gina Bucher studierte Publizistik und arbeitet als Redakteurin und freie Journalistin. Sie ist Herausgeberin verschiedener Bücher im Kunstbereich.
Gina Bucher
22. Mai 2018

Warum reden wir ungern über Fehler? Journalistin Gina Bucher suchte Antworten, hörte zu und begegnete dadurch auch immer wieder Religion und Spiritualität. Ihr Buch «Der Fehler, der mein Leben veränderte – Von Bauchlandungen, Rückschlägen und zweiten Chancen» erzählt Geschichten aus dem Leben. Im Blog erzählt sie von ihren Erfahrungen und Einsichten.

Einen grossen Teil der letzten zwei Jahre habe ich damit verbracht, Menschen zuzuhören, die einen Fehler bereuen. Nicht als Pfarrerin im Beichtstuhl, sondern als Journalistin, die an einem Buch übers Fehlermachen schrieb.

Auch wenn Scheitern in den letzten Jahren zu einem feuilletonistischen Modethema geworden ist – in unserer Kultur wird nach wie vor ungern über Fehler, Fehlentscheidungen, Naivität oder zu grosse Risiken gesprochen. Besonders, wenn sie das eigene Privatleben nachhaltig erschüttern.

Ich wollte wissen, warum das so ist und begann nach Menschen zu suchen, die mir übers Fehlermachen erzählten.

Was, wenn Fehler und gescheitere Lebensträume, einfach nur wehtun?

Natürlich gibt es Bereiche, die essenziell vom Fehler leben: etwa die Wissenschaft, das Design, überhaupt die Kunst, die Wirtschaft und bis zu einem gewissen Grad auch der Sport. Was aber ist mit den Fehlern und gescheiterten Lebensträumen, die einfach nur wehtun? Die zuerst einmal keinen – und womöglich auch später nicht – direkten Nutzen mit sich gebracht haben, ausser dass man «fürs Leben» gelernt hat? Die ganz grundsätzlich hinterfragen, wer man denn eigentlich ist und warum?

Während knapp zwei Jahren sammelte ich über 20 Geschichten von Menschen in der Schweiz und in Deutschland, die mir genau davon erzählten. Gefunden habe ich sie über Zeitungsinserate, über den Kontakt zu Selbsthilfegruppen, über Freunde, über Sozialarbeitende oder Seelsorgende.

Buchcover

Buchcover „Der Fehler, der mein Leben veränderte“

Was ist ein Fehler? Was Scheitern?

Zuerst einmal machte ich die Erfahrung, dass sich meine Gegenüber kaum um Definitionen oder philosophische Feinheiten kümmerten. Die Abgrenzung zu «tragischen» Lebensgeschichten oder Pech war zuweilen schwer auszumachen. Überhaupt: was sind Fehler und was ist mit Scheitern gemeint? Ich suchte nach Menschen, die vom Fehlermachen erzählen. Gefunden habe ich oftmals Menschen, die vom Scheitern sprachen. Während manche deutlich «mein Fehler» betonten, zweifelten andere am Ende unseres Gesprächs: «Ich weiss nicht, ob man wirklich von einem Fehler sprechen kann: Denn ohne das, was passiert ist, wäre ich nicht die Person, die ich heute bin.»

Es ging mir in keinem der Gespräche darum, wer wie Schuld an einem Fehler trägt. Vielmehr wollte ich wissen: Was ist passiert? Gefolgt von der weitaus wichtigeren Frage: Wie kommt man da wieder raus?

Es gibt immer einen Ausweg

Als ich kürzlich in Berlin zum ersten Mal aus dem Buch vorlas, kommentierte ein Zuhörer aus dem Publikum die Geschichten mit dem Satz: «Bei vielen Geschichten bekommt man als erstes einen Fluchtimpuls zu spüren – dennoch will man mehr wissen.» Tatsächlich erging es mir auch beim Zuhören und Aufschreiben der Geschichten ähnlich. Manche Geschichten verlangen einem viel ab: Etwa die Ärztin, die von einem fatalen Behandlungsfehler erzählt, der Mann, der seine Frau tötete oder der Jugendliche, der seine Wut zu kontrollieren versuchte. Doch: Was zuerst nach modernen Schauermärchen klingen mag, wird nach der Lektüre hoffentlich zu beruhigenden Begegnungen. Denn das war eine weitere Erfahrung: Alle Geschichten reduzieren sich bald auf handfeste Probleme mit konkreten Lösungsmöglichkeiten. Es gibt immer einen Ausweg. Wer Fehler macht, kann sich entschuldigen, Geldschulden zurückzahlen, Strafe absitzen.

Strategien im Umgang mit Fehlern

Alle Geschichten erzählen letztlich von unterschiedlichen Strategien, mit Fehlern umzugehen: aushalten, objektivieren, improvisieren, Selbstironie anwenden, ja, Solidarität annehmen. Und in allen Begegnungen kommen helfende Hände vor, die beim Aufstehen helfen – so man denn wieder aufstehen möchte. Der Anwalt, der überraschenderweise Rabatt gewährt, der geduldige Gefängnisseelsorger, der Sozialarbeiter, der nicht lockerlässt. Die Versicherungsangestellte, die einen realistischen Deal einfädelt – Freunde und Familie, die trösten. Opfer, die vergeben. Was zur Erfahrung führte: Dass wir überhaupt Fehler machen und scheitern können, verbindet uns Menschen auch.

Existenzielle Erfahrungen bringen Gott ins Spiel

Bald nach den ersten Gesprächen sprach ich auch mit Menschen, die sich von Berufes wegen mit Fehlern auseinandersetzen: Seelsorgende, Psychologen, Sozialarbeitende, Soziologen und Philosophinnen. Wie gehen sie damit um, wenn ihr Gegenüber von Fehlern erzählt?

Besonders beeindruckten mich dabei die Seelsorgenden. Auch, weil ich selbst als Konfessionslose keinen näheren Zugang zu Religion oder Spiritualität hatte. Bald aber fiel mir auf, dass gerade jene Protagonisten, die länger im Gefängnis waren oder eine andere existentielle Erfahrung machten, immer wieder Gott und Glaube ins Gespräch brachten. Alle betonten sie stets, dass sie nie besonders gläubig gewesen seien – bis …

Religion bietet urteilsfreien Raum zum Nachdenken

Ich fragte bei Seelsorgenden nach und wollte wissen, wie sie sich dieses Phänomen erklärten – und auch: ob man es sich so nicht zu einfach mache? Plötzlich an einen Gott zu glauben, den man bislang verschmähte? So kam ich ins Gespräch mit einem jungen, katholischen Pfarrer aus dem Kanton Zürich, der Beichten abnimmt, einem reformierten Pfarrer, der viel mit straffälligen Jugendlichen zu tun hat, einer jungen, reformierten Pfarrerin, die ihre Magisterarbeit über Schuld und Sühne geschrieben hatte, und einem Gefängnisseelsorger, der in Berlin über Jahrzehnte Gefangene betreute. Die Antworten fielen unterschiedlich aus, aber allen war gemein, dass die Religion bestenfalls einen Raum bieten kann, in dem nachgedacht werden kann. Zuerst urteilsfrei, später unterstützend. Ein Raum, in dem die Frage nach Sinn und Zweck eines Fehlers nicht an erster Stelle kommt, sondern zuerst einmal gefragt wird: Wie geht es dir heute?

Journalistin und Autorin Gina Bucher

Journalistin und Autorin Gina Bucher

Die Autorin: Gina Bucher studierte Publizistik und arbeitet als Redakteurin und freie Journalistin. Sie ist Herausgeberin verschiedener Bücher im Kunstbereich. Gina Bucher lebt in Zürich. Mehr: www.albertina.ch

Wer Gina Bucher bei einer Lesung begegnen möchte, trifft sie an folgenden Daten und Orten:

  • Zürich: Literaturhaus Zürich, 29. Mai 2018, 19.30 Uhr
  • Luzern: Bourbaki Luzern, 4. Juni 2018, 19 Uhr
  • Wil: Stadtbibliothek Wil, 7. Juni 2018, 19.30 Uhr

Das Buch: «Der Fehler, der mein Leben veränderte – Von Bauchlandungen, Rückschlägen und zweiten Chancen», Piper 2018, erschienen am 2. Mai 2018 https://www.piper.de/buecher/der-fehler-der-mein-leben-veraenderte-isbn-978-3-492-05599-4