Kirche aktuell

Armutsforum der Caritas Zürich Armut bekämpfen braucht Zeit und Geld

An einer Fachtagung diskutierten auf Einladung der Caritas Zürich zahlreiche Fachleute Erkenntnisse aus der Arbeit mit Armutsbetroffenen sowie Herausforderungen und Möglichkeiten zu deren Bekämpfung. Denn auch in der reichen Schweiz wird die Zahl der Armutsbetroffenen immer grösser. Wir haben dazu Björn Callensten, Direktor von Caritas Zürich, befragt.
03. November 2023 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Interview mit Björn Callensten, Direktor Caritas Zürich, zum Armutsforum 2023

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Wieso ist so ein Forum wichtig? Was bringt es unter dem Strich für Betroffene?

Das Armutsforum richtet sich an Fachleute aus öffentlichen, privaten und kirchlichen Institutionen des Sozialwesens sowie an Forschende, Sozialpolitiker und -politkerinnen und weitere Interessierte. Es soll aber keine geschlossene Blase sein: Vielmehr wollen wir, dass die vermittelten Erkenntnisse in den Arbeitsalltag der Teilnehmenden einfliessen. Auch sehen wir viel Potenzial beim Transfer von evidenzbasierten Forschungsergebnissen in die Politik. Am Schluss ist uns wichtig, dass die gewonnenen Ideen, Perspektiven und Ergebnisse den Armutsbetroffenen zugutekommen.

«Vereinsamung ist schliesslich
eine der ungesündesten Nebenwirkungen der Armut»

Was waren die wichtigsten Erkenntnisse des Forums?

Zeit und Geld sind die wichtigsten Ressourcen, um Armut zu bekämpfen. Geld, um Rechnungen zu bezahlen, klar. Mindestens genauso wichtig ist jedoch Zeit: Zeit für Weiterbildung, für Selbst-Arbeit, für soziale Interaktion und nicht zuletzt auch für qualitative Erholung. Zeit und Geld sind in der Gesellschaft ungerecht verteilt, und das müssen wir ändern: Mit fairen Mindestlöhnen, Ergänzungsleistungen für Familien, Anhebung der Ansätze in der Asylfürsorge, risikofreiem Zugang zur wirtschaftlichen Sozialhilfe, Weiterbildungsmöglichkeiten, bezahlbarer Kinderbetreuung, Chancengerechtigkeit in der Schule, Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe. Die Vereinsamung ist schliesslich eine der ungesündesten Nebenwirkungen der Armut.

«Zeit und Geld sind die wichtigsten Ressourcen, um Armut zu bekämpfen»

Angesprochen wurde dir Schwierigkeit, sich aus- oder weiterzubilden, wenn jemand sich in prekären finanziellen Verhältnissen befindet. Was macht die Caritas dagegen bzw. was sind Ihre Forderungen an die Politik?

Viele Armutsbetroffene stecken in diesem Teufelskreis, in dieser Blockade von «Keine Existenzsicherung ohne Bildung – keine Bildung ohne Existenzsicherung» fest. Dabei ist Bildung oftmals der einzige Weg aus der Armut. Caritas Zürich ist stark im Bereich der Grundkompetenzen engagiert. In unserer Lernstube in Zürich-Altstetten können Menschen sich diese aneignen, um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Forderungen siehe oben.

In einem der Referate wurde die Empfehlung / Forderung zu einer 4-Tage-Arbeitswoche ausgesprochen? Was soll das bringen? Die Wirtschaft spricht von Fachkräftemangel und dann soll weniger gearbeitet werden?

Es ist jetzt nicht so, dass wir als Caritas Zürich konkret die 4-Tage-Woche fordern. In einem der Referate wurde aber die Frage aufgeworfen, wie man Zeit besser und gerechter verteilen könnte. In diesem Zusammenhang kamen auch Modelle zur Sprache, die weniger Zeit für Erwerbsarbeit, dafür mehr Zeit für Care- und Selbst-Arbeit wie auch für die politische Partizipation beinhalten.

Leisten denn armutsbetroffene Personen überhaupt Sorgearbeit? In welchem Umfang?

Unbedingt. Unter unseren Klientinnen und Klienten sind zum Beispiel viele Alleinerziehende, die sich neben einem oder mehreren prekären Jobs um ihre Kinder kümmern.

Wieso ist Sorgearbeit so wichtig?

Darf ich die Frage umformulieren: Warum wird Sorgearbeit so wenig gewürdigt? Warum muss Sorgearbeit gratis sein und kann nicht als «richtige» Arbeit angesehen werden?

Was siehst du aktuell als Hauptproblem bei armutsbetroffenen Menschen in Zürich?

Teuerung, hohe Mieten, steigende Krankenkassenprämien, mangelnde Weiterbildungsmöglichkeiten, Vereinsamung, mangelnde Chancengerechtigkeit für Kinder aus prekären Verhältnissen. Zudem ist zu befürchten, dass diese Herausforderungen für immer mehr Menschen zur Realität wird.

Was würdest du dir wünschen, wenn du drei Wünsche frei hättest?
Dieser Frage sind wir im Rahmen des Armutsforums auch nachgegangen. Aus der Glücksforschung wissen wir, dass oftmals das Glück im Kleinen, wie beispielsweise ein Spaziergang durch den Herbstwald, verborgen liegt, und vor allem auch von der Interaktionen mit liebgewonnenen Menschen abhängt. In diesem Sinne wünsche ich für mich persönlich mehr Zeit für Familie und Freunde, mehr Musse und Energie um diese Zeit aktiv zu geniessen. Für uns als Gesamtgesellschaft wünsche ich mir eine fairere Verteilung von Geld und Zeit.