Kirche aktuell

Ferien für Flüchtlingsfamilien: Sorglose Tage

Ferien für Flüchtlingsfamilien: Sorglose Tage
Eine Ferienwoche für Flüchtlingsfamilien im Berner Oberland. Hier wird der oft belastete Erinnerungsspeicher mit positiven Erfahrungen gefüllt.
20. September 2018 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Weitere Themen im aktuellen forum: Eltern stärken; Leise Filme ganz gross; im Rhythmus der Gottsuche u.a.

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«Fertig gespielt!» Remy Beusch steht auf der Treppe und versucht, rund sechzig Kinder in Richtung Esssaal zu bewegen, während diese noch auf der Wiese vor dem Lagerhaus herumwuseln. Grosse und Kleine rennen hier am Hasliberg durcheinander, spielen mit Hula-hopp-Reifen, Springseilen und Fussbällen.
Daneben stehen Mütter und Väter, geniessen die Sonne auf der grossen Terrasse, tadeln bei Bedarf ihre Kinder und helfen beim Aufräumen der Spielsachen. Man hört Arabisch, Kurdisch, Farsi, Deutsch und Spanisch. In all diesen Sprachen wird gesungen, gerannt, gehüpft und gepurzelt.

Ein Sommer-Erlebnis schaffen
18 Familien nehmen diesen Sommer an der Ferienwoche im Berner Oberland teil. «Ab in die Berge» lautet ihr Motto. Für eine Woche sollen Familien, die sich keine Ferien leisten können, unbeschwerte Tage erleben und die Schweiz von ihrer schönsten Seite kennenlernen.
Enid, die zum Team der 15 freiwilligen Leiterinnen und Leiter gehört, erklärt: «Die ursprüngliche Idee für diese Ferienwoche entstand aus der Beobachtung, dass Kinder von geflüchteten Familien nach den Sommerferien nie mitreden können, wenn die anderen Kinder von ihren Reisen erzählen.»

Mit diesen Ferientagen soll nun auch ihnen dieses Erlebnis geschenkt werden – und den Eltern etwas Ruhe gegönnt sein. Dazu fördern die Bergferien aber auch die Integration der Familien in der Schweiz. Unterstützt wird die Ferienwoche von reformierten und katholischen Kirchgemeinden, welche die Teilnehmerbeiträge der Familien teilweise oder sogar komplett übernehmen. Dabei arbeiten die Kirchgemeinden eng mit dem Verein «solinetz» zusammen.
Die Hauptleiter der Ferienwoche, Remy Beusch, Sozialdiakon der reformierten Kirche in Uster, und Priska Alldis, Leiterin der Fachstelle Flüchtlinge bei der Caritas, wollen anderen Menschen etwas ermöglichen, was für die meisten Schweizer normal ist: im Sommer zu verreisen.
Neben Ausflügen zum Ballenberg, Wanderungen und einer Schifffahrt zu den Giessbachfällen bleibt Zeit, gemeinsam zu essen, sich kennen zu lernen oder auch einfach unbeschwerte Familienzeit zu geniessen.

Engagiertes junges Leiterteam
Enid unterrichtet Deutsch und hat auch für diese Woche ihre Lernmaterialien mitgenommen. Am Abend wird sie draussen unaufgefordert von einer Gruppe kurdischer und afghanischer Frauen umringt, die mit ihr Deutsch repetieren möchten. Heutiges Thema: Frageworte. Auch das mitgebrachte Schweizer Märchenbuch stösst auf grosses Interesse unter den Eltern.
Während Enid draussen spontan Deutsch unterrichtet, hilft die 26-jährige Natalie beim Kinderprogramm mit. Auf die Frage, weshalb sie sich freiwillig engagiert, gibt sie eine klare Antwort: «Menschlichkeit». Gemeinsam mit den weiteren zumeist jungen Leitenden organisiert sie das Lager.

Auch Max, 23-jähriger Psychologiestudent, ist mit vollem Einsatz dabei: «Wir geben hier alle Vollgas. Die Kinder sind unsere Priorität.» Trotz ständig hohem Lärmpegel, verletzten Knien und Konflikten unter den Kindern bewahren die Leiter ihre gute Laune. Sie motivieren die Kleinen und erklären den Erwachsenen geduldig das Tagesprogramm.
«Jeder Leiter ist für eine Familie verantwortlich und erledigt mit ihnen die Ämtlis. Dieses System funktioniert sehr gut», meint Priska Alldis, «Und die Eltern möchten immer gerne helfen, sich beteiligen.» Auch beim abendlichen Leiterhöck wird klar: Das sind tiefe Beziehungen, die zwischen den verantwortlichen Leitern und «ihren» Familien entstehen.

Konflikte aushalten
«Alle Kinder zu mir!» Der als Zwerg verkleidete Max aus Uster erklärt einer Gruppe von Kindern, die sich um ihn scharen, das Tagesprogramm. Mit gelber Zwergenmütze schafft er sich inmitten der Kinderschar mit lauter Stimme Gehör.
Die Gruppe steht auf dem Vorplatz der Gondelbahn in Richtung Muggenstutzweg, wo für heute eine zweistündige Wanderung geplant ist. Der Himmel ist stahlblau, die Luft heiss, und die Familien schauen interessiert zu den Berggipfeln, machen ein Foto nach dem anderen.
Auch hier wird Integration sichtbar: Verwundert haben die Familien am Abend zuvor gefragt, wie sie ohne Kinderwagen auf die Wanderung gehen können. Die Antwort der Leiter: «Wir tragen die Kinder!»

Dass trotz Ferienstimmung nicht alles paradiesisch erscheint, das ist sowohl den Leitern wie den Gästen klar: Menschen aus Afghanistan, Iran, Irak, Eritrea, Somalia, Ecuador und Syrien leben zusammen in einem Lagerhaus – das führt hin und wieder auch zu Spannungen unter den insgesamt über hundert Menschen.
Genauso wie jede Familie ihr eigenes Zimmer im Haus besitzt, besitzt auch jede ihre eigene Geschichte, ihr Trauma und ihre Kultur. Und obwohl diese Spannungen durchaus spürbar sind, so zeigen gerade die Kinder, wie einfach es sein kann, aufeinander zuzugehen.
Wirkt diese intensive, schnell vergehende Ferienwoche wirklich nachhaltig? Priska Alldis ist davon überzeugt. «Diese Menschen machen hier schöne Erlebnisse und positive Erfahrungen, von denen sie lange zehren werden. Es ist wichtig, dass sie ihren Speicher, der mit sehr viel negativen und schlimmen Erfahrungen gefüllt ist, auch mit positiven Erinnerungen füllen können.»

Die Kinder lernen, fremden Menschen und unbekannten Situationen – wie beispielsweise dem Seilbahnfahren – zu vertrauen. Es sind diese kleinen Momente, die Nachhaltigkeit schaffen. Nach diesen Ferien können die Kinder nicht nur in der Schule mitreden, wenn von den Sommerferien erzählt wird, sie machen hier auch Erfahrungen, die ihr Leben prägen können.

Text: Luana Nava, freie Mitarbeiterin