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Die neue Flughafenkirche: lebendig, multikulturell, spirituell

Die neue Flughafenkirche: lebendig, multikulturell, spirituell
Redaktionsteam
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Die Beiträge im Blog geben die Haltung der Autoren wider und müssen nicht in jedem Fall mit der offiziellen Haltung der kirchlichen Körperschaft übereinstimmen.
Katholische Kirche im Kanton Zürich
07. März 2017

„Jetzt ist ein tiefer Friede da. Das habe ich noch nie erlebt, mit Muslimen zusammen im gleichen Raum beten. So sollte es doch sein.“

Diese berührenden Worte fand eine Frau, die einmal in der Woche zur Meditation kommt. An diesem Nachmittag entscheiden wir uns, nicht im grossen Andachtsraum zusammen zu sein, sondern im kleinen Meditationsraum nebenan. Während wir in Stille vor einer brennenden Kerze sitzen, finden sich hinter dem Vorhang auf der anderen Seite des Raumes mehrere muslimische Männer zum Gebet ein.

Ihr stilles Murmeln in arabischer Sprache stört in keiner Weise unsere innere Einkehr. Im Gegenteil. Je tiefer wir in unseren Herzraum sinken, umso selbstverständlicher vereinigen sich die Geräusche der Aussenwelt, die Stimmen der Menschen des Flughafens, die von weitem in unseren Raum dringen, die Türen, die schwer in die Schlösser fallen, das Geräusch der Lüftung, die Gebete der Menschen zu einem lebendigen Klangkörper, an dem alles in Frieden aufgehoben und an seinem Platz ist.

Dankbar sind wir für die Möglichkeit, inmitten dieser pulsierenden Flughafenwelt eine Oase der Ruhe und Stille zu haben. Seit die Flughafenkirche im September die neuen, modernen Räumlichkeiten im Check-in 2 bezogen hat, ist es lebendiger geworden bei uns. Auch unsere freiwilligen Mitarbeitenden, die jeweils am Wochenende vor Ort sind, geraten ins Schwärmen.

„Es macht so viel Freude. Man kommt viel leichter und öfter ins Gespräch mit den zahlreichen Besuchern, die den Weg zu uns finden.“

Die prominente Lage beim Durchgang zur Zuschauerterrasse animiert viele Menschen, vermehrt auch Familien, einen Blick in unseren Andachtsraum zu werfen, eine Kerze an zu zünden oder staunend fest zu stellen, dass es so etwas – eine interreligiöse chapel – am Flughafen gibt. Seelsorgeräume, die gut sichtbar sind, füllen sich mit den Spuren der Menschen. Sie wollen Gefässe sein, in denen Menschen sich willkommen und aufgehoben fühlen.

Wärme. Energie. Stille. Geborgenheit. Raum zum Atmen.

Seelsorge am Flughafen will sich nicht verstecken und warten und hoffen. Sie will die vielen Gesichter, die sie hat, zeigen und offen da sein. Raum ist essentiell. Raum wird wahrgenommen. Räume zum Betreten, aber auch Raum, den wir Seelsorgenden für die Menschen haben. Zeiträume. Herzraum. Offenheit. Interesse. Gebet. Lebensraum teilen.

„Das erlebt man nur einmal im Leben. Ich bin so dankbar, dass ich dabei sein durfte.“

Dies die Worte einer Teilnehmerin an der interreligiösen Eröffnungsfeier im November 2016. Es gab Menschen, die waren zu Tränen gerührt von den Gesängen der Vertreter der verschiedenen Religionen, die in ihrer je eigenen Tradition Gebete gesungen und rituelle Handlungen vollzogen haben. Ganz nah beieinander waren wir alle. So nah, dass man die Wärme und den Atem des Anderen hat spüren können.

Im Flugzeug ist das nicht immer angenehm. Da kommen einem die Menschen manchmal zu nah. Es ist eng. Ich kann nicht weg. Angstschweiss, wenn die Turbulenzen zu stark sind. Ein junger Mann geriet in Panik. Er brauchte nach der Landung eine Seelsorgerin, die ihm Raum und Zeit gab, um irgendwie wieder bei sich an zu kommen. Er sah vermummte Gestalten auf den vorderen Sitzen. Die Welt provozierte bedrohliche Gedankenbilder in seinem aufnahmefähigen Geist.

Der Raum um uns her ist angefüllt, prallvoll mit Stimmen, Bildern, Meldungen, Meinungen, Ängste, Prophezeiungen, Medienberichte. Kaum Raum zum Atmen. Kaum eine Insel in Kopf und Herz zum Ausruhen und Sein.

„Darf ich denn hierbleiben“, fragt eine ältere Dame, nachdem wir unseren Inselmoment – unsere Meditation – abgeschlossen hatten.

„Natürlich. Sie sind herzlich willkommen. Bleiben sie, solange sie mögen.“

Es ist wunderbar still bei uns im Andachtsraum. Es ist still, obwohl von aussen Stimmen und Geräusche hörbar sind. Stille ist ein Klang, der im Menschen verortet ist. Der Kerzenkorpus füllt sich nach und nach mit brennenden Kerzen. Mit jedem Licht, das dazukommt, verstärkt sich das Gefühl der wohligen Geborgenheit. Der Raum lichtet sich.

„Thank you for this wonderful room – a muslim.“

Leise, sanft, schön: So muss Seelsorge sein!

Seelsorge muss ein Gefäss für Schönheit sein. Ich glaube, dass die Menschen sich nach Schönheit sehnen. Sie sehnen sich nach Sanftheit. Die allermeisten Menschen senken sofort die Stimme, wenn sie den Gebetsraum betreten. Ich hoffe, sie tun es nicht, weil sie sich klein fühlen und Angst vor einem urteilenden Gott haben, sondern weil die liebevolle, stille Gegenwart ihnen so gut tut. Weil das Leise und Sanfte Balsam ist für ihren aufgewühlten Geist.

„Ich weiss nicht, ob ich das schaffe, fünf Minuten still sein und nichts tun.“

Ja, wenn man sich auf Stille einlässt, dann wird’s oft zuerst laut im Kopf. Dann werden die Gedanken, das Chaos, die Unruhestifter in unserem Inneren „sichtbar“. Aber nach und nach verstummt das Vorlaute und eine andere Wirklichkeit beginnt zu klingen.

Spuren in unseren Andachtsräumen

Da hat wohl jemand bei uns geschlafen. Schön säuberlich liegen die Gebetsteppiche und das Meditationskissen nebeneinander. Fast kann man den Menschen, der hier die Nacht verbracht hat, noch fühlen. Seine unsichtbare Präsenz. Vielleicht ein Obdachloser, der hier ein Nest entdeckt hat. Gut möglich, dass die Polizeipatrouille ihn am frühen Morgen geweckt und freundlich gebeten hat, den Raum für das Gebet frei zu machen.

Menschengruppen in gelben Westen und mit weissen Besucherausweisen folgen dem Tour Guide, Jugendgruppen aus Kirchgemeinden finden sich in unseren Räumen ein. Eindringliche Gesänge einer Taizé-Pilgergruppe. Architekturstudenten „erfühlen“ auf leisen Sohlen, alle mit Kopfhörern ausgestattet, den Raum. Regelmässig nehmen Flight Attendants in Ausbildung bei uns Platz und hören aufmerksam zu, wenn wir von unserer Arbeit und dem Leben in den Seelsorgeräumen berichten.

Noch mehr Spuren

Bierdosen und eine grosse Pfütze, die übelriechend in die Nase drängt. Spuren eines Menschen. Schmierige Hand- und Fussabdrücke auf den schwarzen Stühlen. Wer wohl hier in der Nacht auf die Stühle gestiegen ist? Was hat diesen Menschen dazu bewogen? Eine Not, ein Trotz, eine Achtlosigkeit, eine Verwirrung? Wir werden es nie wissen.

Es ist gut, dass Menschen Spuren hinterlassen. Auch wenn sie nicht immer angenehm sind. Sie wecken auf. Rütteln an unseren Glaubenssätzen, an unserem gewohnten Gang.

Wir wollen mit den Menschen am Flughafen weitergehen. Unsere Räume sollen Leben haben, wollen Stille und Geborgenheit schenken. Ein Ort sein, an dem Sichtbares und Unsichtbares sich gegenseitig durchdringen. Ein Raum, der atmet. Im besten Fall gibt es hier gute Nahrung für die Seele.

Andrea Thali ist Künstlerin und Theologin und ist mit kleinen Unterbrechungen seit 2001 Seelsorgerin am Flughafen Zürich-Kloten. Seit 2014 leitet sie die Flughafenkirche gemeinsam mit einem reformierten Pfarrer.