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Wenn Querdenker zu Vordenkern werden

Informationsbeauftragter des Generalvikariates bis Ende April 2023
Arnold Landtwing
Arnold Landtwing
Sodeli, das wärs dann gewesen mit dem Lockdown und so hat der normale Büroalltag Einzug gehalten.
26. Juni 2020

Vom Kinderpult oder Küchentisch zurück im Büro weiss ich vor allem die ergonomische Einrichtung und ausreichend Platz neu zu schätzen. Eine Wohltat für Rücken, Beine und den Überblick über die Notizen. Angesichts zunehmender Sorglosigkeit im Alltag und steigender Dichte im öffentlichen Verkehr zweifle ich bereits am gesunden Menschenverstand und frage ich mich schon jetzt, wann wieder Einschränkungen folgen, und ob wir Weihnachten in einem zweiten Lockdown feiern werden.

Keine Rückkehr in die Normalität kennen Armutsbetroffene. Wer im Lockdown jeden Franken dreimal umdrehen musste, um über die Runden zu kommen, ist nicht von der Sorge ums tägliche Überleben entlastet, wenn er ihn jetzt nur noch zweimal drehen muss. 

Im Jahresbericht 2019 gibt die Caritas Zürich Einblick, wo sie Menschen aufgefangen hat, die durch die Maschen des Systems gefallen sind.  

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Schwester Ariane und der Küsnachter Pfarrer Karl Wolf haben mit einem grossen Team von Freiwilligen in einem kritischen Zeitpunkt unkompliziert grosse Not gelindert. Bis anfangs Juli suchen sie noch Freiwillige, die bei der Abgabe von Lebensmittelpaketen helfen, um dann diese Aktion abzuschliessen.

Eine andere Art von Abschluss vollzieht Willi Lüchinger: er tritt aus gesundheitlichen Gründen aus dem Synodalrat zurück. Weitere Informationen vor allem zur Regelung und der Suche einer Nachfolge gibt es auf unserer Homepage.

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Nicht gesucht, aber schon gefunden haben wir eine überraschende und interessante Reihe in Blick-TV. Der nach eigener Darstellung «schnellste Sender der Schweiz» sucht nach neuen Formaten und Themen, die die Leute von der Strasse interessieren. Zum Beispiel Antworten der Weltreligionen auf zentrale Fragen des Lebens. Ich meine: ja, Religion ist ein Thema. Und: Die Reihe ist spannend, anregend und gut gemacht. Deshalb waren wir uns im Kommunikationsteam einig: das ist ein Fundstück der Woche. Das Fundstück der vergangenen Woche ging übrigens durch die Decke, denn bis jetzt wurde der Werbefilm für das Theologiestudium in Chur bereits über 1'200 mal angeschaut. Kompliment! Das muss den zwei Studis erst mal einer nachmachen.

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Nachmachen muss man einem Tenor auch erst mal das Singen des hohen «C». Theologin Tatjana Disteli denkt in ihrem Blog aber nicht musikalisch nach, sondern politisch und fragt sich, ob das «C» der CVP sich aktuell im freien Fall befinde. Sie kommt zum Schluss, dass eine CVP mit neu glänzendem «C» nicht von gestern wäre, sondern «mehr als gefragt, positiv verstanden «modern» - mit Weitblick und Tiefgang, zukunftsfähig!». Damit ist sie auf einer Linie mit dem Walliser CVP-Ständerat Beat Rieder, der in einem Radio-Interview daran erinnert, dass die Basis dieses «C» die progressive christliche Soziallehre mit Stichworten wie Freiheit, Solidarität und Subsidiarität sei. Er vermutet, dass diese ideologische Basis bei den CVP-Mitgliedern verloren gegangen ist, weil man die CVP als Marke behandelt habe. Jetzt, so Rieder, müsse man die Marke wieder mit Werten füllen. Ein spannendes Radio-Interview, das mit einem Video aus der Redaktion gleich noch ein Beispiel für Medienkonvergenz auf unterschiedlichen Kanälen liefert. Als sängerischer Fundamentalist (Bass) möchte ich zu dieser Diskussion anmerken, dass es die reine Bruststimme ist, die einzigartig macht und überzeugt. Das darf durchaus auch politisch zu denken geben.

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Die neuen Glocken für St. Michael in der Giesserei.

Was es geläutet hat, wissen die Gläubigen der Pfarrei St. Michael Dietlikon bald aus eigener Erfahrung: am Samstag 4. Juli bekommt die Pfarrei zum 50-Jahr-Jubiläum endlich auch einen Kirchturm und Kirchenglocken. Mit Ross und Wagen werden die Glocken zur Kirche gefahren und – ein klingendes ökumenischen Zeichen - von den reformierten Kirchen am Weg mit Glockengeläut begleitet. Traditionsgemäss werden dann Kinder die Glocken an langen Seilen in den Turm aufziehen. Die Pfarrei musste 50 Jahre lang auf den Glockenaufzug warten, weil es zuerst einen Kirchturm zu bauen galt - was heutzutage einem abenteuerlichen Kraftakt gleichkommt.

Nicht einen Turm, sondern eine neue Kirche bauen wollten vor 200 Jahren die Reformierten in Gossau. Weil eine kleine Feier zur Aufrichte auf dem provisorischen Dachboden aus dem Ruder lief und die Warnungen der Handwerker ignoriert wurden, brachen die Balken ein. 25 Menschen starben und es gab viele Verletzte. Heute ist die Kirche eine beliebte Hochzeitkirche. Hochzeitpaare kann ich nur ermuntern: Kommt in die Kirche, um zu heiraten, der Segen Gottes ist stabil. Und das, was im Gebälk der offiziellen Kirche hüben und drüben als bedenkliches Knirschen zu vernehmen ist, das sind andere Geschichten.

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Wo stünde die katholische Kirche heute, hätte sie aufmerksamer auf die Stimmen und Impulse von Fachleuten wie Eugen Drewermann gehört, statt sie mundtot zu machen und gar zu verketzern? Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer bezeichnete Drewermann kürzlich sogar als «einen von der Kirche verkannten Propheten unserer Zeit“. Stephan Langer ist Redaktor der Zeitschrift «Christ in der Gegenwart» und hat zum 80. Geburtstag Drewermanns einen lesenswerten Artikel publiziert unter dem Titel «Hört früher auf die ‘Ketzer’!»

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In einem Gespräch über Kirche, Predigtverbot, Missbrauch und Corona sieht Eugen Drewermann eine zunehmende Glaubenskrise in der westlichen Welt. Gehe die Kirche nicht auf die Probleme und das Leid der Menschen ein, produziere sie immer mehr "Enttäuschungsatheisten". Dabei benötigten die Menschen mehr denn je Religion, weil die Naturwissenschaft keine Antworten auf ihr Leid gebe.

Zeit, am Wochenende wieder mal ins Büchergestell zu greifen, die Bücher der «Ketzer» zu lesen wie Hans Küng, Leonardo Boff oder Ernesto Cardenal - und mir bewusst zu werden: Diese Persönlichkeiten und viele andere begleiten mich seit meinem Theologiestudium. Sie haben mich geprägt, inspiriert und herausgefordert. Der kirchliche Umgang mit ihnen lässt mich bis heute noch fassungslos zurück. Für mich sind sie ein Teil meiner eigenen Kirchengeschichte, für viele höchstens noch ein Kapitel in einer Vorlesung.

Sodeli, das wars für heute von dieser Woche. Bevor ich beginne, mich vor lauter Rückblick alt zu fühlen, beende ich jetzt diesen Newsletter und sorge dafür, dass ich heute noch mit dem Bike eine Runde um Einsiedeln ziehen kann. Das ist zwar schweisstreibend, lüftet aber den Kopf und befreit. Für neue Inspirationen, für Erkenntnisse und Entscheidungen.

 

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten, befreienden und inspirierenden Sonntag.


Arnold Landtwing
Informationsbeauftragter Generalvikariat

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Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen