Über uns

Das Weihwasser brodelt

Informationsbeauftragter des Generalvikariates bis Ende April 2023
Arnold Landtwing
Arnold Landtwing
Ein neues Gutachten zu sexuellem Missbrauch, diesmal aus Deutschland, hat zwar sein Epizentrum in der Erzdiözese München und Freising, erschüttert die Weltkirche aber dermassen, dass im Herzen des Vatikans, nur einen Steinwurf vom Petrusgrab entfernt, der Putz von den Wänden platzt und es mächtig im Gebälk knirscht.
21. Januar 2022

Ein neues Gutachten zu sexuellem Missbrauch, diesmal aus Deutschland, hat zwar sein Epizentrum in der Erzdiözese München und Freising, erschüttert die Weltkirche aber dermassen, dass im Herzen des Vatikans, nur einen Steinwurf vom Petrusgrab entfernt, der Putz von den Wänden platzt und es mächtig im Gebälk knirscht. Auf gut 1900 Seiten und in kardinalsrote Buchdeckel gebunden, hat die Münchner Kanzlei «Westpfahl, Spilker, Wastl» gestern, wie sie selber sagten, eine «Bilanz des Schreckens» präsentiert.


Lausige Aktenführung? Verantwortliche, die sich aus der Verantwortung schleichen? Schutz der Täter und Vertuschung? Kaltherzigkeit gegenüber den Opfern? Kennen wir alles schon x-fach dokumentiert. Bei einem solch totalen Systemversagen sind wohl kaum neue Erkenntnisse zu erwarten. Die neue Dimension, die sich jetzt offenbart, reicht bis in die oberste Spitze zum Papstamt und hat das Potenzial, dieses irreparabel zu schädigen.


 
Papst emeritus Benedikt XVI. sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe einen bekannten Missbrauchstäter weiterhin in der Seelsorge eingesetzt und nichts unternommen. Benedikt versichert, er sei an der entscheidenden Sitzung nicht dabeigewesen. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller sagt in einer Sondersendung der ARD zum Thema, Benedikt habe «eindeutig gelogen, weil das Protokoll Dinge referiert, die nur er wissen kann aus einem Gespräch mit Johannes Paul II. Es ist wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass es um den Entzug der Lehrerlaubnis von Hans Küng ging. Das konnte nur er selbst referieren, also war er bei der Sitzung dabei.» Und in der ARD-Tagesschau zieht er die Bilanz: «Immer, wenn er in Bedrängnis gerät, wenn die Beweise auf dem Tisch liegen, bezieht er sich auf die Version ‘ich kanns nicht gewesen sein, ich war nicht dabei’. Er hat heute sein eigenes Lebensbild zerstört.»
 
 
trennlinie.png

Die Rolle von Josef Ratzinger, sei es als Erzbischof von München-Freising oder auch als späterer Papst, wird in der kommenden Zeit noch intensiv beleuchtet werden. Und zu reden geben. Mir stehen jedenfalls die Haare zu Berge, wenn er als Benedikt XVI. in einer Stellungnahme einen Pfarrer, der als Exhibitionist aufgefallen war, in Schutz nimmt, er sei «kein Missbrauchstäter im eigentlichen Sinn» und «Die Tathandlungen bestanden jeweils im Entblössen des eigenen Geschlechtsteils vor vorpubertären Mädchen und in der Vornahme von Masturbationsbewegungen (…). In keinem der Fälle kam es zu einer Berührung.»

Und so richtig gruselig wird es, wenn er bei einem Täter differenziert, dass er nicht als Priester erkennbar gewesen sei und deshalb als anonymer Privatmann agiert habe. Angesichts solch rabulistischer Sophisterei packt mich ein heiliger Zorn und ich möchte ihm in Angesicht widerstehen: «BENEDIKT! ES.GEHT.UM.KINDER!».
trennlinie.png

Wie auch immer die Rolle von Benedikt XVI. eingeordnet werden wird, klar dürfte eines sein: Eine Seligsprechung wird länger auf sich warten lassen als bei seinem Vorgänger Johannes Paul II., der dann ja auch noch in Rekordtempo als Heiliger zu den Ehren der Altäre erhoben wurde. Wenn wir schon in Polen sind: Ich frage mich gerade, was denn eine Untersuchung im Erzbistum Krakau unter Erzbischof Woityla an den Tag fördern würde. Aberkennung eines Heiligenstatus? Wäre mal was Neues in der Kirche.
 
trennlinie.png

Es gäbe noch viel zu kommentieren, zum Beispiel die Rolle von Kardinal Marx, der sich am Nachmittag in einer ersten Erklärung entschuldigte. Auch er kommt nicht ungeschoren davon, engagiert sich aber immerhin seit ein paar Jahren klar für Aufklärung und Opferperspektive. Mit Stirnrunzeln frage ich mich, wer ihm dazu geraten hat, zur Vorstellung des Berichts nicht anwesend zu sein und seinen Generalvikar zu delegieren. Die Juristen übergaben dann das in jeder Hinsicht schwergewichtige Gutachten einer Frau: Stephanie Herrmann, Amtschefin der Erzdiözese München und Freising. Für glühende Kohlen kann man Frauen in der Kirche also brauchen. Daran verbrennen sich die Herren lieber nicht die eigenen Finger.
 
 
Schwer zu stemmen hatte kürzlich auch Bischof Joseph Maria Bonnemain: Auf Facebook postete er das Foto einer Schokoladenhantel, die er geschenkt bekommen hatte. Da müssen Könner am Werk gewesen sein – denn die Detailtreue der rund 6 kg schweren Hantel begeisterte den Bischof. Garantiert kein Schokoschlecken wird für ihn die Missbrauchsstudie werden, die in der Schweiz aufgegleist ist. In einem bemerkenswerten Interview sagt Thomas Boutellier als Verbandspräses im Verband Katholischer Pfadi und Leiter der kirchlichen Fachstelle Jugend in Solothurn, dass es im Bereich Aufarbeitung und Prävention noch viel zu tun gibt und nur mit Übernehmen von Verantwortung die Nulltoleranz glaubwürdig umgesetzt werden kann.
 
trennlinie.png

Für die Schlusskurve im Newsletter brauche ich jetzt noch dringend Erfreuliches. Das hat es diese Woche durchaus auch gegeben und soll auch noch Platz bekommen. Zum Beispiel eine Seligsprechung. Am morgigen Samstag werden in San Salvador der Befreiungstheologe und Jesuit Rutilio Grande und seine Begleiter seliggesprochen. Er setzte sich für die landlosen Bauern ein, las mit ihnen die Bibel und öffnete ihnen die Augen für die soziale Ungerechtigkeit. Gleichzeitig ermächtige er sie, Führungsverantwortung zu übernehmen. Ihre Ermordung erschütterte Erzbischof Arnulfo Romero dermassen, dass er sich auf die Seite der Benachteiligten schlug – was auch ihm das Leben kostete. Der heilige Papst Johannes-Paul II hatte die Befreiungstheologie seinerzeit verurteilt...

Odilo Noti schreibt in einem Kommentar im Walliser Bote (Aboschranke), dass Papst Franziskus mit dieser Seligsprechung ein Statement abgibt: «Es ist die Erinnerung einer Kirche, die an die gesellschaftlichen und sozialen Ränder gegangen ist. Und es ist die Überzeugung, dass der Glaube ein Bekenntnis zur Gerechtigkeit ist, die an den Schwachen ihr Mass nimmt.»


An den Schwachen Mass genommen hat Max Elmiger: 16 Jahre lang war er Direktor der Caritas Zürich und ist davon überzeugt, dass Armut ein strukturelles Problem ist und kein naturgegebenes. «Mich haben Personen geprägt, die nach den gängigen Massstäben zu den Verlierenden gehören», sagt er in einem hörenswerten Interview mit Radio LifeChannel.
Er ist einer, der hinschaut, nachdenkt und dann auch handelt. Und er sagt im Gespräch mit dem forum auch offen, warum die Kirche mit Hilfswerken nicht so gut umgehen kann.

Seine Chancen für eine Seligsprechung sind wohl verschwindend gering – obwohl er als spirituell-religiöser Mensch mit seinem Wirken und seinem Team viele Wunder vollbracht hat. Dies würden alle bestätigen, die mit der Hilfe der Caritas Zürich aus der Armut herausgefunden haben.
 
Ich wünsche Ihnen neben dem Newsletter auch sonst anregende Lektüre und ein erholsames Wochenende.
 
Arnold Landtwing
Informationsbeauftragter Generalvikariat

trennlinie.png

Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.

Sie können den Newsletter hier abonnieren