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Aktuell im forum: Maria Magdalena

Aktuell im forum: Maria Magdalena
Kurz vor Ostern lief im Kino der aufwendig produzierte Bibelfilm «Maria Magdalena» an. Die Theologin Angela Wäffler-Boveland beschreibt die vielen Rollen, die Maria Magdalena im Laufe der Geschichte zugeschrieben wurden.
05. April 2018 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Weitere Themen im aktuellen forum: Jugendsynode, Lehrling für Zwei, Kulturerbejahr u.a.

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Interview

«Maria Magdalena eignet sich nicht zum Superstar»

 

Maria Magdalena galt im frühen Christentum als Apostelin der Apostel, dann deuteten sie die Kirchenväter zur Sünderin, später sogar zur Prostituierten um. Spiegelt sich in ihr das Frauenbild der Etablierten in der Kirche?
Angela Wäffler: Die Kirchenväter meinten, den «Wandel» bei Maria Magdalena genau diagnostizieren zu können: Zuerst war sie von Dämonen besessen, dann begegnete sie Jesus, die Dämonen wurden ausgetrieben, darauf begleitete sie Jesus und die Jünger bis zum bitteren Ende und wurde Zeugin und Botschafterin der Auferstehung. Das kann wie eine Bekehrungsgeschichte erzählt werden und eignet sich gut als Projektionsfläche mit Vorbildpotenzial. Diese Sichtweise ist mir zu plakativ und ungenau. Was die Kirchenväter als Bekehrungsgeschichte sahen, entspricht viel eher dem Muster einer prophetischen Berufung. Wie eigentlich alle Menschen aus dem engsten Kreis Jesu eignet sich auch Maria Magdalena nicht wirklich als Idol oder Superstar.

Häufig wird sie auch zur Sünderin oder Geliebten von Jesus stilisiert: Warum?
Dämonen wurden bei Frauen traditionell mit sexueller Triebhaftigkeit in Verbindung gebracht. Eine Sünderin wurde als Ehebrecherin oder Prostituierte angesehen, während ein Sünder viele Möglichkeiten des moralischen Fehlverhaltens hatte. Das hat offenbar von Beginn an zu einer prickelnden Doppelbödigkeit geführt; auf diese Weise konnten sich die Theologen legitim mit Prostitution befassen, legten sie doch nur die Bibel aus! Das gilt bis in die Neuzeit hinein auch für die Malerei und die Literatur; nackte Frauen, Prostituierte, sexuelle Aktivitäten wurden biblisch legitimiert. Susanna im Bad, die Hure von Jericho, Bathseba und der lüstern zuschauende David oder eben Maria aus Magdala boten gute Gelegenheit, das Leben in seiner ganzen Fülle darzustellen, ohne die Grenzen der Schicklichkeit zu übertreten.

Welche Rolle spielen apokryphe, nicht biblische Schriften, namentlich das Evangelium der Maria?
Anders als die Bibel erzählt das dualistisch- gnostisch geprägte Maria-Evangelium, das im 5. Jahrhundert entstanden sein dürfte, von der innigen Liebesbeziehung zwischen Jesus und Maria – wobei diese Maria nirgends ausdrücklich als Maria aus Magdala identifiziert wird. Hier wird Maria zur Gespielin Jesu, wie die Frau Weisheit in der «Weisheit Salomons», einer jüdischen Schrift aus hellenistischer Zeit, Gespielin Gottes ist. In diesem Zusammenhang ist wohl auch die ebenfalls gnostische Schrift der Pistis Sophia zu verstehen, die von mehreren Frauen um den Auferstandenen berichtet. Es gibt Überlegungen, ob diese Schriften wohl von Frauen verfasst worden seien.

Was sind die Kernanliegen dieser Schriften?
Offenbar geht es darin weniger um Maria Magdalena als um Jesus und die Frage, ob er wohl – ganz entgegen der jüdischen Tradition – unverheiratet gelebt habe. Dass ein 30-Jähriger ledig sein könnte, regt offenbar die Phantasie in vielerlei Hinsicht an. Sie ist natürlich auch verbunden mit der Frage, wie Jesus bis zu seinem öffentlichen Auftritt gelebt hat, und setzt die Kindheitserzählungen fort. Diese Perspektive wird von Dan Brown wieder aufgegriffen und im Lauf des Romans ad absurdum geführt: Welch ein destruktives, tödliches Chaos entsteht bei Brown durch die Frage der Nachkommenschaft Jesu!

In welche Richtung hat sich die theologische Deutung in jüngerer Zeit entwickelt?
Mir ist die Entdeckung, dass Maria Magdalena als erste Botschafterin der Auferstehung dargestellt wird, bereits während meiner Studienzeit Ende der Siebzigerjahre begegnet. Damals waren es die feministischen Theologinnen, die die Frauen in der Bibel wiederentdeckten – ebenso die Frauen in der Reformationszeit – und zwar als autonome, selbstbewusste und starke Gestalten und Vorbilder des Glaubens. Unterdessen ist einiges davon bis in die akademische Lehre vorgedrungen. Bei anderem schiesst sie meines Erachtens weit über das Ziel hinaus, wenn sie sich nun stärker den gnostischen Texten annähert, als bei den biblischen zu bleiben.


Filmkritik

Eine Frau in den Wehen. Maria wird gerufen und bringt die Gebärende mit Worten und eindringlichen Blicken dazu, sich zu beruhigen. Mutter und Kind überstehen die schwierige Geburt. Maria hingegen wird noch einige Hindernisse bewältigen müssen, bis sie selbst neu geboren werden kann. Nachdem sie sich einer arrangierten Ehe verweigert und eine Dämonenaustreibung überstanden hat, schliesst sie sich dem fremden Rabbi Jesus und seinen Jüngern an, die auf ihrer Mission auch Magdala besuchen. Zwischen Jesus und Maria besteht vom ersten Augenblick an eine Seelenverwandtschaft. Maria versteht – anders als die Jünger – die Botschaft der Gleichnisse, die Jesus erzählt. Und obwohl Maria immens leidet, begreift sie, weshalb sich Jesus kreuzigen lässt. Nachdem sie mit dem Auferstandenen gesprochen hat, berichtet sie den anderen Aposteln davon. Diese nehmen sie aber nicht für voll. Das kümmert Maria aber nicht. Sie verkündet: «Ich werde nicht schweigen. Ihr werdet von mir hören» und geht.

Der Spielfilm von Garth Davis versucht einerseits, aus der Perspektive von Maria die Jesusgeschichte der Evangelien neu zu erzählen. Dies gelingt nur teilweise. Zu sehr ist Davis den Konventionen des Jesusfilms verpflichtet, als dass er ganz neue filmische Wege wagen und Maria noch mehr zum Zentrum des Geschehens machen würde. Andererseits gibt es immer wieder eindringliche Szenen, die durchaus zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Maria von Magdala – von der Kirche viel zu lange als Prostituierte abgetan – und der Rolle der Frauen bei der Verbreitung der christlichen Botschaft führen können.

Natalie Fritz, Religionswissenschaftlerin und Redaktorin Medientipp